Hamburg. „Kollaps im Jugendhilfesystem“: Fraktionschefin Boeddinghaus geht Behörden wegen Pannen bei Hilfe und Entführung an.

Das Bangen um eine junge Familie ist beendet: Die Mutter aus Altona, die ihre beiden Kleinkinder aus einer Schutzeinrichtung in Heimfeld entführt hatte und mit ihnen verschwunden war, wurde am Sonnabend in Bottrop angetroffen. Das teilte die Polizei Hamburg mit. Die beiden Jungen seien wohlbehalten in Obhut genommen und an das örtliche Jugendamt übergeben worden.

Die Linksfraktion in der Bürgerschaft sah in dem Fall die Probleme des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) in Hamburg wie unter einem Brennglas.

Im Gespräch mit dem Abendblatt sagte Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus, obwohl es eine Security in der Einrichtung gebe, konnten die Mutter und ihr Lebenspartner die beiden in Obhut genommenen Kinder (zwei und drei Jahre alt) von dort entführen.


„Seit Monaten zeichnet sich ein Kollaps im Jugendhilfesystem ab, der vom Senat gedeckelt und heruntergespielt wird“, so Boeddinghaus. Sie hatte in mehreren Anfragen auf die Situation im ASD aufmerksam gemacht. „Der Senat benennt auch in der Antwort auf unsere jüngste Anfrage als einen der Gründe für die Überlastung im ASD die Belastung in den Familien durch die Folgen der Corona-Pandemie.

Hamburg: Nach Kindesentführung – Linksfraktion sieht großes Problem bei den Behörden

Doch geraten Familien auf gefährliche Weise an ihre Grenzen, bedeutet dies ein oft über Monate andauerndes hilfloses Verharren innerhalb nicht funktionierender, überlasteter Strukturen.“ Das sei unverantwortlich gegenüber den Menschen.

Die Sozialbehörde konnte aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Angaben zum Einzelfall machen. Jedoch hieß es aus dem Haus von Senatorin Melanie Schlotzhauer (SPD): Gerade bei Fällen von Kindeswohlgefährdung handele man besonders schnell und nach einem klaren Leitfaden.

Bei solchen „Lagen“ würden alle personellen Ressourcen darauf konzentriert. Im Internet hat der Senat ausführliche Handlungsanweisungen, Adressen, Telefonnummern und Vorgehensweisen veröffentlicht.

Bisher gingen bei der Polizei nur wenige Hinweise ein

Die Polizei hatte eine Öffentlichkeitsfahndung nach der Frau und dem von ihr getrennt lebenden Vater der Kinder herausgegeben. Die Eltern sollen die Jungen in der Einrichtung am Eißendorfer Pferdeweg besucht und von dort ohne großen Widerstand der aufsichtführenden Mitarbeiter mitgenommen haben.

Zunächst waren nach Abendblatt-Informationen trotz der breiten Öffentlichkeitsfahndung nur wenige Hinweise bei der Polizei eingegangen. Die Ermittlungen fanden auch im größeren Stil im Ruhrgebiet statt. Der leibliche Vater, der von der Mutter getrennt lebte, wohnt in Bottrop.

Seit dem 28. Februar waren die beiden Kinder in Heimfeld. Sie waren vom Jugendamt der Mutter entzogen worden, nachdem bekannt geworden war, dass die Frau einen Suizidversucht mit Gas begangen hatte, bei dem auch die beiden Kinder in Gefahr gewesen sein könnten.

Mutter der Kinder machte dem Jugendamt große Vorwürfe

Die 35-Jährige war nach dem Suizidversuch in einer psychiatrischen Einrichtung behandelt worden und wurde nach wenigen Tagen wieder entlassen. Zwischenzeitlich hatte die Frau eine Online-Petition gestartet, aus der hervorgeht, dass sie davon ausging, dass ihr das Sorgerecht für ihre Söhne entzogen werden soll. Außerdem machte sie dem Jugendamt Vorwürfe. Ihr sei keine Hilfe angeboten worden.

Am Mittwoch war sie unangemeldet zusammen mit dem Vater im Jugendschutzzentrum aufgetaucht. Von dort war das Quartett verschwunden, ohne dass Eltern und Kinder aufgehalten worden sein sollen. Die von Mitarbeitern alarmierte Polizei hatte noch im größeren Umfang nach den vier gesucht.

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Die Staatsanwaltschaft sprach von einer psychischen Ausnahmesituation, in der sich die Mutter offenbar befinde. Linken-Fraktionschefin Boeddinghaus sagte, die Umstände der Entführung, so man sie so bezeichnen könne, würfen Fragen auf. Die Mutter hatte in ihrer Online-Petition erklärt, sie sei keine Gefahr für ihre Kinder.

Hamburg: Kinder waren im Schutzhaus womöglich in unpassender Gruppe

Boeddinghaus mutmaßte, dass die Kinder zudem in Heimfeld in einer Gruppe für ältere Kinder untergebracht worden seien, die für sie nicht geeignet gewesen sei. „Eigentlich hätten die Kinder – wenn überhaupt – im direkt nebenan gelegenen Kinderschutzhaus Harburg untergebracht werden müssen – es ist für 0- bis 6-Jährige angelegt“, heißt es in einer Mitteilung der Fraktion. Die Sozialbehörde widersprach. Die Kinder seien in der für ihre Altersklasse gedachten Gruppe gewesen.

Boeddinghaus: „In diesem Fall muss die Behörde den Eltern jetzt eine Brücke bauen, damit diese Situation nicht immer weiter eskalieren kann – das ist sie allein schon den beiden Kindern schuldig, die wir alle wohlbehalten in guten Händen sehen wollen.“

Den Einsatz von Sicherheitsmitarbeitern im Zusammenhang mit der Arbeit des ASD sieht Boeddinghaus kritisch: „Der Einsatz von Security gehört aus fachlicher Sicht definitiv nicht dazu – und kann dann im Ernstfall nicht mal helfen, wie die aktuelle Situation zeigt.“