Hamburg. Ob Asklepios, UKE oder Facharztklinik: Die Pläne wirbeln die medizinische Versorgung in Hamburg durcheinander.
Die Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) droht die Kliniklandschaft in Hamburg umzukrempeln. Mindestens jeder fünfte Patient müsste in Zukunft in ein anderes Haus, zahlreiche Stationen könnten geschlossen oder verlegt werden.
Die Reform sieht eine Einteilung aller Häuser in drei grobe Kategorien vor und neue „Zentren“, die es allerdings wie für Schlaganfälle (stroke units) oder Herzkatheter in Hamburg seit Jahren gibt. Von elf Häusern mit Geburtshilfe würden nach diesen Plänen nur sieben bleiben. Werdende Mütter müssten sich umorientieren. Das ist das Ergebnis einer Auswertung für die Krankenhausgesellschaft.
Deren Hamburger Geschäftsführerin Dr. Claudia Brase sagte dem Abendblatt: „Die finanzielle Lage der Krankenhäuser ist wegen der Kostenexplosion extrem angespannt, man muss bundesweit Insolvenzen fürchten. Außerdem belasten die Corona-Folgen die Häuser nach wie vor. Die Reform löst diese akute wirtschaftliche Notlage der Kliniken nicht.“
Krankenhaus Hamburg: Müssen Geburtskliniken schließen?
Brase sagte, das Ziel müsse doch sein, die medizinische Versorgung besser zu machen. „Sollten tatsächlich vier von elf Krankenhäusern keine Geburtshilfe mehr anbieten dürfen, müssten diese Kapazitäten an anderen Krankenhäusern aufgebaut werden. Da müssten neue Kreißsäle gebaut werden, Personal müsste wechseln – das ist sehr unrealistisch.“
Auch die Opposition hat erkannt, dass die Ampel-Regierung in Berlin die Genossen von Rot-Grün in Hamburg mit dieser Reform alles andere als glücklich macht. CDU-Fraktionschef Dennis Thering sagte dem Abendblatt, er mache sich ernste Sorgen um die medizinische Versorgung. „Die Zentralisierung spezialisierter Bereiche würde die Versorgungssicherheit in der Breite insgesamt verschlechtern. Die Versorgungssicherheit hat für uns als CDU oberste Priorität.“
CDU bemängelt fehlende Investitionen des Senats
Und er sagte: „Viele Krankenhäuser leiden akut unter Personalmangel und stark steigenden Kosten. Leider hakt es bei der Krankenhausfinanzierung in Hamburg, denn der rot-grüne Senat kommt seinen Verpflichtungen nicht nach. Der Investitionsbedarf liegt bei rund 175 Millionen Euro pro Jahr, von denen der Senat jedoch nur rund 110 Millionen Euro zahlt. Hamburg muss in der medizinischen Versorgung spitze sein und darf das nicht schleifen lassen.“
Tatsächlich beklagen die Krankenhäuser seit Jahren, dass die nötigen Investitionen vom Senat nicht hundertprozentig gedeckt sind, obwohl die Länder dafür gesetzlich verantwortlich sind. Mit anderen Worten: Die Kliniken müssen die fehlenden 65 Millionen Euro selbst erwirtschaften.
Eine Präsentation der Krankenhausgesellschaft („Kollaps der Krankenhäuser verhindern“) zeigt jedoch, dass wegen aktueller Trends bei drei von vier Häusern schon im Jahr 2023 Defizite auflaufen dürften. „Die ausbleibenden Investitionsmittel müssen die Krankenhäuser selbst erwirtschaften, übergangsweise durch Kredite finanzieren und dafür zusätzlich Zins- und Tilgungszahlungen leisten“, heißt es.
Doch wie soll das gehen, wenn sie nicht einfach die „Preise“ erhöhen können, also den Krankenkassen für Behandlungen mehr in Rechnung stellen?
Was ein internes Papier der Krankenhausgesellschaft zeigt
Das interne Papier zeigt: Allein die Sachkosten sollen 2023 um 12,08 Prozent steigen. Die Energiekosten, die den Häusern ausgeglichen werden, machen aber nur einen Anteil von vier Prozent aller Sachkosten aus. Der Löwenanteil sind medizinischer und allgemeiner Wirtschaftsbedarf.
Zudem fehlen darin die erwartbar stark steigenden Personalkosten. Die Tarifrunden bei Pflegekräften und Ärzten dürften kräftig ins Kontor schlagen. HKG-Geschäftsführerin Brase sagte drastisch: „Vor der Reform muss daher sichergestellt werden, dass die Krankenhäuser die Reform überhaupt erleben.“
Inflation, Sach- und Personalkosten seien das drängendste Problem. „Was uns durch die Tarifrunde mit steigenden Gehältern bevorsteht, lässt sich noch nicht abschätzen. Unsere Preise sind in diesem Jahr um 4,32 Prozent gestiegen, das steht bereits fest. Damit sollen wir alle Kostensteigerungen abfangen. Die Tarifsteigerungen können wir bei Ärzten und weiteren Mitarbeitern nur teilweise an die Krankenkassen weitergeben.“
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Sozialsenatorin Schlotzhauer: Wird nicht eins zu eins umgesetzt
So schlimm werde es schon nicht, beschwichtigt die Sozialbehörde, man sei mit Krankenhausgesellschaft und Krankenkassen im engen Austausch. „Die Regierungskommission hat einen systematischen Vorschlag zur Weiterentwicklung der Krankenhausfinanzierung gemacht“, sagte Senatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) dem Abendblatt. „Es war immer klar, dass dieser nicht eins zu eins umgesetzt werden wird.“ Hamburger Besonderheiten würden selbstredend berücksichtigt. Dafür werde sich die Behörde starkmachen.
Zu diesen bedrohten Spezialitäten der hiesigen Krankenhauslandschaft zählt auch die Facharztklinik neben dem UKE. Dort operieren niedergelassene Ärzte unter anderem an Schultern, Knien und Grauem Star rund 7000 Patienten pro Jahr. Diese Einrichtung verkörpert geradezu den politisch gewollten Trend zu mehr ambulanter Behandlung statt längerer Krankenhausaufenthalte.
Der Ärztliche Geschäftsführer der Facharztklinik, Dr. Torsten Hemker, sagte dem Abendblatt: In Lauterbachs Konzept gebe es keinen Platz für seine Einrichtung. Ohne Notaufnahme und Intensivstation sei die Facharztklinik „unterstes Level“. Dabei ist es in Eppendorf wie nebenan in Eimsbüttel, wenn in der Geburtshilfe bei Agaplesion mal ein Baby auf die Intensivstation muss: Dann fährt man die Patienten auf kurzen Strecken ins UKE oder die Spezialabteilung eines anderen Hauses. Für Notfälle gibt es Pläne – und kurze Hamburger Wege.
Facharztklinik von Lauterbachs Reform bedroht?
Lauterbachs Reform kennt solche Lösungen nicht. Wäre die Facharztklinik, die auch Endoprothesen macht und ein zertifiziertes Wirbelsäulenzentrum ist, als Ganzes bedroht? Hemker ist besorgt, erkennt bei Lauterbach aber auch „viel heiße Luft“.
So dürfte das die Sozialsenatorin nicht sagen. Sie spricht von einem „gemeinsamen Arbeitsprozess zwischen Bund und Ländern“. Entspannter sieht das offenbar ebenso Deutschlands größter Krankenhaus-Konzern Helios, der in Hamburg die Endo-Klinik, das Mariahilf und Medizinische Versorgungszentren betreibt.
Helios-Vorstandschef Robert Möller sagte dem Abendblatt: „Mit Gesamtblick auf unsere Helios Kliniken in Deutschland sind wir Stand heute nach einer Reform weiterhin in allen drei Leistungsstufen vertreten. Ich gehe auch davon aus, dass die Fachkliniken wie etwa die Endo-Klinik selbstständig bleiben, denn sie brauchen keinen großen Bruder, sprich einen Maximalversorger oder eine Uniklinik, der ihnen sagt, wie gute Medizin funktioniert.“
Helios-Vorstandschef Möller: Nicht jede Klinik muss alles machen
Er halte es derzeit für unseriös, konkrete Aussagen zu einzelnen Häusern zu machen. Helios investiere weiter in Personal, Technik und Behandlungsmethoden. Möller sagte: „Die Reform geht aus meiner Sicht jedoch in die richtige Richtung, wenn Behandlungen stärker in Kompetenzzentren konzentriert werden sollen. Bei Helios forcieren wir das schon seit Jahren. Denn es ist medizinisch überhaupt nicht sinnvoll, dass jede Klinik alles anbietet.“
Die Vorstandschefin des Krankenkassenverbandes VDEK (Techniker, Barmer, DAK und andere), Ulrike Elsner, erklärte: „Natürlich sind städtische und ländliche Räume unterschiedlich zu betrachten und selbstverständlich wollen wir weiterhin eine flächendeckende Basisversorgung mit guten Notfallstrukturen. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen hat zusammen mit den Partnern der gemeinsamen Selbstverwaltung mit der novellierten Krankenhausplanung bereits Pionierarbeit geleistet.“
Krankenhaus Hamburg: Politische Drohgebärden gegen Lauterbach
Das war ein Seitenhieb auf Lauterbach, denn der befindet sich gerade im Clinch mit NRW-Gesundheitsminister Karl Laumann (CDU). NRW, Schleswig-Holstein und Bayern wollen Lauterbachs Reform sogar dahingehend prüfen lassen, ob sie dem Grundgesetz widerspricht.
Dieser politischen Drohgebärde will sich Hamburg nicht anschließen, wie die Sozialbehörde erklärte. Man beobachte das allerdings. Senatorin Schlotzhauer erklärte den Abstimmungsprozess zwischen Bund und Ländern für vertraulich. Dennoch sagte sie dem Abendblatt, ohne ihren Kollegen im Bundesgesundheitsministerium zu erwähnen: „Am Ende entscheiden die Länder im Rahmen ihrer Planungshoheit, denn Krankenhausplanung ist Ländersache.“