Hamburg. In drei Monaten wählen die Deutschen den Bundestag – und garantiert einen neuen Kanzler. Welche Tipps aussichtsreich sind.

Wette 1: Armin Laschet wird Bundeskanzler

Das ist keine wirklich mutige Wette. Derzeit liegt das Momentum beim Ministerpräsidenten aus Nordrhein-Westfalen. Sein Nachteil, im Tief der Maskenaffäre und des hässlichen Schwesternstreits mit der CSU gestartet zu sein, wandelt sich in einen Vorteil. Kontinuierlich, spätestens seit der Sachsen-Anhalt-Wahl, geht es aufwärts. Laschet steuert geräuscharm durch den Vorwahlkampf. Anders als Angela Merkel, inte­griert er zudem die Breite seiner Partei.

Er hat es geschafft, seinen Widersacher Friedrich Merz ins Team zu holen und wird mit Serap Güler, der nordrhein-westfälischen Staatssekretärin für Inte­gration, auch ein Zeichen in die Community der Migranten senden. Laschet bindet die Sozialausschüsse wie die Marktliberalen, den Merkel-Flügel wie Konservative ein. Selbst der frühere Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen – vorausgesetzt, er redet sich nicht um Kopf und Kragen – könnte der Partei am Ende sogar nutzen, weil er die rechte Flanke der Union schließt. Die CDU ist die letzte Volkspartei – und damit tendenziell für die meisten Menschen wählbar. Sollte große Patzer und Skandale ausbleiben, wird der Aachener am 26. September neuer Kanzler.

Wette 2: Annalena Baerbock wird Bundeskanzlerin

Noch vor wenigen Wochen war die grüne Spitzenkandidatin die Favoritin, zumindest die Favoritin mancher Medien. Aber der Weg von der Kandidatenkür bis ins Kanzleramt ist rau und steinig – das mussten zuletzt auch die SPD-Anwärter Peer Steinbrück und Martin Schulz erfahren: Auf Vorschusslorbeeren sollte man sich nicht ausruhen. Im Wahlkampf wird härter geschossen und genauer hingeschaut, jeder Fehltritt kann Stimmen kosten. Die „Lebenslauf-Affäre“ von Annalena Baerbock ist eigentlich eine Lappalie – negativ aber wirkt, wie unprofessionell die Partei damit umging.

Offenbar hat die Grünen auch der mediale Liebesentzug überrascht. Hinzu kommt das Momentum, das bei Baerbock negativ ist: Die 28 Prozent in manchen Umfragen aus dem April waren Stimmungen, nie Stimmen: Nun bei rund 20 Prozent wird sie an diesen (absurden) Zahlen gemessen. Zum Vergleich: Bei der vergangenen Bundestagswahl landeten die Grünen bei 8,9 Prozent. Dieses Mal dürften es deutlich mehr werden – aber die Grünen kennen noch einen weiteren De­moskopie-Effekt aus leidvoller Erfahrung: Grundsätzlich schneiden sie in Umfragen besser ab als an der Urne. Wer aber ins Kanzleramt möchte, muss mindestens 20 Prozent der Stimmen holen.

Wette 3: Olaf Scholz wird Bundeskanzler

Das grüne Problem könnte zur roten Hoffnung werden: Lange Zeit schien das Rennen um das Kanzleramt wie ein Duell – alle Augen blickten auf Laschet oder Baerbock. Angesichts dieses personalisierten Zweikampfs sah Olaf Scholz wie der unglückliche Dritte aus – der wie Marcus Weinberg bei der Bürgerschaftswahl unter dem Radar bleibt und dem die beiden großen Parteien gleichermaßen Stimmen absaugen.

Zwar ist der Aufschwung der SPD in den Umfragen noch verhalten, ja homöopathisch, aber der Abschwung der Grünen bringt Scholz trotzdem zurück ins Spiel. Je nach Umfrageinstitut trennen die beiden Spitzenkandidaten nur noch drei bis sechs Prozentpunkte. Klar ist: Die großen Kanzlerduelle im Fernsehen werden nun -trielle; Scholz ist wieder im Spiel. Allerdings hat er nur dann realistische Chancen auf das Kanzleramt, wenn auch er über 20 Prozent kommt und einen deutlichen Vorsprung auf die Grünen einfährt. Und dann muss er noch aus drei Parteien eine Koalition schmieden. Nicht einfach, aber nicht unmöglich.

Wette 4: Schwarz-Grün übernimmt

Eine Zweierkonstellation erscheint in diesen Tagen fast utopisch – selbst die einstige „Große Koalition“ fände derzeit keine Mehrheit der Stimmen. Und da eine Neuauflage des Bündnisses zwischen Union und SPD utopisch ist (siehe unten), gibt es eine wahrscheinliche Möglichkeit: Schwarz-Grün. Dazu wird es aber nur kommen, wenn die CDU klar auf Platz 1 und die Grünen unter 20 Prozent landen – sonst wäre der Ehrgeiz der Grünen zu groß, es mit zwei anderen Partnern im Kanzleramt zu versuchen.

Ein gutes Ergebnis von 15 Prozent plus dürfte den Grundstein für Schwarz-Grün legen. Sollte indes das grüne Ergebnis weit hinter den jetzigen Umfragen zurückbleiben, wird es nicht nur rechnerisch knapp. Dann dürften manche Grüne kritisieren, die Partei habe sich zu wenig von der Union abgegrenzt. Allem schwarz-grünen Liebeswerben zum Trotz darf man nicht übersehen: Gerade die Basis und der Mittelbau der Partei fühlt sich auf der linken Seite viel wohler – und favorisiert andere Bündnisse.

Wette 5: Jamaika kommt

2017 platzten die Sondierungsgespräche mit einem lauten Knall, nachdem die FDP zu der Erkenntnis kam: „Es ist besser, nicht zu regieren, als schlecht zu regieren“. Offenbar sehen selbst die Liberalen das heute anders, sie drängen an die Macht. Zudem hat sich die Partei nach dem Wiedereinzug in den Bundestag personell und programmatisch konsolidiert. Was spricht also gegen ein Dreierbündnis?

Personell erst einmal wenig: Christian Lindner und Armin Laschet kennen und schätzen sich, anders als unter Angela Merkel wird sich die FDP nicht zurückgesetzt fühlen. Im Umkehrschluss aber bedeutet das: Nun könnten die Grünen sich ausgegrenzt fühlen. Die Partei hat schon mit der Union ihre politische Müh und Not, die bei einer Beteiligung der ungeliebten Liberalen wachsen. Zudem steht die Ökopartei in diesem Dreierbündnis eher am Rand und dürfte ihre Klima-Agenda schwer durchsetzen – für die Grünen wäre es die ungeliebteste aller Varianten, die sie, wenn eben möglich, vermeiden werden.

Wette 6: Die Ampel wird Realität

Da erscheint die Ampel realistischer – vor allem mit der Farbe Rot an der Spitze. Der grünen Basis wie den sozialdemokratischen Genossen ist diese Farbkombination lieber als jede Schwarze Ampel namens Jamaika oder den Oppositionsbänken. Fraglich nur, ob die Liberalen große Lust verspüren, in ein solches Bündnis einzutreten – tendenziell würden sie dann am Rande stehen. Eine Wahl von Annalena Baerbock hat FDP-Chef Lindner schon ausgeschlossen. Andererseits kann sich die FDP nicht ein weiteres Mal wie 2017 verweigern. Zudem kennt FDP-Generalsekretär eine funktionierende Ampel aus eigener Erfahrung: Volker Wissing war bis Mai Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz, er kann mit Sozialdemokraten und Grünen.

Wette 7: Rot-Rot-Grün gewinnt

Manche halten Rot-Rot-Grün nur für ein Schreckgespenst, mit dem die Union erfolgreich Wähler mobilisiert. 2013 hätte es für dieses Bündnis schon einmal zur Mehrheit gereicht – 320 der 631 Sitze erreichten SPD, Grüne und Linke damals, die CDU stand bei 311 Parlamentariern. Trotzdem entschied sich die SPD für eine neuerliche Große Koalition – auch weil die Linken damals als nicht regierungsfähig galten. Die außenpolitischen Positionen sind es bis heute nicht.

Erst vor Kurzem forderte Grünen-Chef Robert Habeck ein Bekenntnis der Linken zur Nato – und blitzte ab. Auch der grüne Übervater Joschka Fischer lässt kein Mikrofon aus, um seine Meinung kundzutun: „Die Linken als dritte Partei? Ich sehe nicht, wie man mit denen eine Koalition formen kann. Die Linkspartei ist gespalten zwischen dem Westen und romantischen Träumen über Russland“, sagte er kürzlich. Sozialdemokraten und Grüne sind klug genug, nicht am Fliegenfänger einer rasch scheiternden Koalition hängen zu bleiben.

Wette 8: Die dritte Große Koalition in Folge

Unwahrscheinlicher geht es nicht – schon mathematisch wird es für die beiden einst großen Volksparteien eng. Und nach acht Jahren Zweckehe liegen beide Partner längst im Stellungs- und Scheidungskrieg, gemeinsame Positionen gibt es kaum mehr, die Groko hat sich leer regiert. Nur noch eines verbindet die Partner von einst: Die Sehnsucht nach neuen Konstellationen.

Wette 9: Schwarz-Gelb bekommt die Mehrheit

Eine klare Außenseiterwette. Sie setzt gleich zwei Dinge voraus: CDU und CSU müssen mit ihrem Kanzlerkandidaten Armin Laschet deutlich über 30 Prozent kommen, und die FDP muss Richtung 15 Prozent marschieren. Beides ist nicht wahrscheinlich, aber auch nicht unmöglich. Zudem reicht für die absolute Mehrheit der Sitze am Ende vielleicht auch ein Stimmenanteil von zusammen 46 Prozent. Immer mehr Wähler machen ihr Kreuz bei den sogenannten „Sonstigen“.

Die Freien Wähler haben schon bei einigen Landtagswahlen den Sprung ins Parlament geschafft und könnten auf drei Prozent kommen. Zudem treten mit der Europapartei VOLT und den Corona-Politik-Kritikern „Die Basis“ zwei weitere Gruppierungen an, die Stimmen ziehen könnten. Hinzu kommt ein weiterer Kessel Buntes mit Grauen, Braunen, Tiefroten, Kleinkarierten und Buntgescheckten. Je mehr Stimmen unter dem Strich bleiben, umso mehr Mandate erhalten rechnerisch die Parteien über fünf Prozent – siehe 2013.

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Wette 10: Die FDP überholt die SPD

Eine Wette für Spieler. Forsa ermittelte kürzlich jeweils 14 Prozent für beide Parteien – steht damit aber unter den Umfrageinstituten alleine da. Es müsste zweierlei passieren: Einerseits muss die FDP weiter zulegen.

Sie dürfte sich mit ihrer kritischen Corona-Politik, welche die Folgen des Lockdowns früh und laut angesprochen hat, neue Wählergruppen erschließen. Für ein zweistelliges Ergebnis dürfte es langen. Aber Olaf Scholz wird als erfahrener Wahlkämpfer tendenziell in den kommenden Wochen noch zulegen. Vielleicht greift sogar ein Mitleidseffekt alter SPD-Wähler, die diese große Traditionspartei eben nicht im Niemandsland der Kleinparteien verschwinden sehen wollen.

Wette 11: Die AfD fliegt aus dem Bundestag

Dürften sich viele Wähler etwas wünschen, würde die AfD ab September nicht mehr dem Bundestag angehören: Eine große Mehrheit lehnt die Rechtspopulisten ab. Aber eine ausreichend große Minderheit möchte die Alternative für Deutschland weiter im Bundestag sehen. Auch wenn die Umfragen ein deutlich schwächeres Ergebnis als 2017 erwarten, als die AfD aus dem Stand mit 12,6 Prozent zur stärksten Oppositionspartei wurde, wird es im September für den Bundestag reichen.

Die Partei von 2021 ist aber eine andere als die von 2017, als Frauke Petry Spitzenkandidaten war. Die Radikalisierung schreitet voran: Inzwischen stuft der Verfassungsschutz die AfD als Verdachtsfall ein. Wie wenig Protestwähler diese Entwicklung schreckt, hat Sachsen-Anhalt gezeigt: Hier büßte die Partei kaum ein und gewann 20,8 Prozent der Stimmen. Ihre starke Anhängerschaft im Osten dürfte ausreichen, sie locker über die Hürde zu hieven.

Wette 12: Die Linkspartei scheitert an der Fünf-Prozent

Die Linkspartei ist in der Krise – mit sechs, sieben Prozent notiert sie in Umfragen so niedrig wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr: Und die Wahl in Sachsen-Anhalt hat gezeigt, dass auch im Osten die Wähler schwinden. Hinzu kommt, dass die Linken miteinander wie Kesselflicker streiten: Mit Verve gehen einige „Parteifreunde“ Sahra Wagenknecht an, die ungekrönte Königin der Talkshows, und fordern gar ihren Parteiausschluss.

Die Parteivorsitzende Hennig-Wellsow appellierte an alle, inhaltliche Differenzen zurückzustellen und sich voll in den Wahlkampf einzubringen. Ob das den Streit beendet? Unwahrscheinlich. Hinzu kommt: Durch die Konzentration auf zwei weitere linke Parteien – die Grünen und die SPD – bekommt die Linke im Wahlkampf ein Wahrnehmungsproblem, zudem sind die beiden Vorsitzenden noch wenig populär. Trotzdem dürfte es am Ende für die Linkspartei langen.

Wette 13: Die Grünen holen die meisten Direktmandate in Hamburg

Früher hieß es, die SPD können in den sechs Wahlbezirken auch einen Besenstiel aufstellen und würde gewählt. Noch bei den eher schwachen Gesamtergebnissen 2013 und 2017 gewannen die Sozialdemokraten fünf Direktmandate: Johannes Kahrs, Matthias Bartke, Niels Annen, Aydan Özoğuz und Metin Hakverdi holten ihren Wahlkreis – nur in Nord hatte Christoph Ploß von der Union die Nase vorn. Glaubt man den statistischen Hochrechnungen etwa von election.de, wird dieses Mal alles anders. Demnach haben dieses Mal die Grünen Chancen in vier Wahlkreisen, die SPD liegt nur in zwei Bezirken vorne. Aber das ist bloße Statistik, die sich auf den Höhenflug der Grünen im Mai bezieht. Hier können sie locker gegenhalten – möglich, dass die Grünen am Ende sogar leer ausgehen.

Denn der Vorsprung der Amtsinhaber auf die Grünen lag 2017 zwischen 14 und 27 Prozentpunkten. In Mitte ist zwar rechnerisch etwas drin, sollten die Grünen, wie in Umfragen prophezeit, 12 Prozent zulegen – doch dort muss der eher unbekannte Grüne Manuel Muja gegen den beliebten Bezirksamtschef Falko Droßmann (SPD) antreten. Droßmann ist klarer Favorit. Umkämpft zwischen gleich drei Parteien ist Nord – hier könnte es angesichts der Bekanntheit von Christoph Ploß sogar für die CDU reichen. In Wandsbek und Bergedorf ist der Abstand der SPD so groß, dass alles andere als ein SPD-Sieg eine Überraschung wäre. In Altona und Eimsbüttel dürfte der Vorsprung von Bartke und Annen kräftig schrumpfen, aber auch sie profitieren als Bundestagsabgeordnete von ihrer Bekanntheit. Gegen sie treten die Grünen mit Linda Heitmann und dem früheren Justizsenator Till Steffen an. Noch ein Aspekt spricht am Ende für die SPD: Sie hat ein Heimspiel: Der Spitzenkandidat der Bundes-SPD ist ein Hamburger, an Alster und Elbe dürfte das Ergebnis der Sozialdemokraten also tendenziell besser ausfallen.

Wette 14: Peter Tschentscher wechselt nach Berlin

Ein Wahlplakat der SPD aus Altona überrascht derzeit viele Passanten: Dort sind Matthias Bartke und Peter Tschentscher zu sehen – und darüber prangt der Slogan „Starke Stimmen für Berlin“. Möchte der Bürgermeister in die Hauptstadt? Er selbst dementiert pflichtschuldig: „Mein Platz ist in Hamburg“, aber Fakt ist auch: Tschentscher hat es in der Pandemie zu überregionaler Bedeutung geschafft, den Job als Fachpolitiker traut ihm nicht nur sein Förderer Olaf Scholz zu. Aber zwei Dinge machen den Wechsel unwahrscheinlich: Die SPD wird nicht allzu viele Regierungsämter zu vergeben haben. Und auf das Gesundheitsressort, das auf Tschentscher so gut passt, schielt ein Parteifreund, der ebenfalls ein Pandemiegewinner ist: Karl Lauterbach.