Hamburg. Die Steg Hamburg kümmert sich um Sanierungsgebiete. Ausgerechnet der eigene Bürobau Paulihaus stößt auf Widerstand.

Die Hamburger Steg ist Kummer gewöhnt: Als die Politik 1989 die Stadtentwicklungsgesellschaft aus der Taufe hob und im Karoviertel an den Start schickte, hagelte es Proteste: Noch bevor alle Mitarbeiter überhaupt Schreibtische hatten, machten sich die ersten Besetzer im Büro breit. Stadtentwicklung bedeutet Veränderung, und Veränderungen machen Angst. Für eine städtische Gesellschaft, die Altbauten instand setzen und verfallene Quartiere sanieren sollte, galt das im Besonderen.

Aber Widerspruch und Widerspruchsgeist finden manchmal zusammen. Heute versteht sich die Steg als „68er mit ein­em Hang zum Pragmatismus“ und konnte in den zurückliegenden Jahren mit dem Hafenkrankenhaus, dem Rinderschlachthof oder dem Gängeviertel manche stadtentwicklungspolitische Kuh vom Eis bugsieren.

Nun spürt die Steg wieder heftigen Gegenwind – dieses Mal nicht durch die betreuten Projekte, sondern den eigenen Bürobau im Paulihaus. Kürzlich verhinderten Gegner Rodungen an der Ecke Budapester Straße/Neuer Kamp. Initiativen im Stadtteil stören sich an dem sechsstöckigen Neubau, sehen darin nur einen weiteren „Bürokoloss“, fürchten Baulärm und Vertreibung. „Ihr bellt den falschen Baum an“, sagt nun Hans Jochen Rösner, von 1997 bis 2020 Geschäftsführer und heute Berater und Gesellschafter der Steg, im Podcast „Was wird aus Hamburg?“

Eigener Bürobau im Paulihaus stößt auf heftigen Gegenwind

Es dauert nicht lange, bis der studierte Politologe und Stadtgeograf zur Verteidigungsrede ansetzt. „Derzeit stehen dort eingeschossige Behelfsbauten – das ist doch kein städtebaulich zufriedenstellender Zustand“, sagt Rösner. Niemand habe diesem Bau in der Vergangenheit Beachtung geschenkt, auch die nicht, die dort nun „eine städtebauliche Perle“ entdecken wollen. Seit fünf Jahren plant die Steg gemeinsam mit drei anderen Hamburger Unternehmen das Paulihaus.

Während die 2015 veröffentlichte Planung in den ersten vier Jahren kaum auf Interesse stieß, baute sich zuletzt eine Wutwelle auf, die auch vor Gewalt nicht haltmache. „Als der grüne Bunker durch war, haben manche offenbar einen neuen Gegenstand gebraucht.“

Die Kritik, das Gebäude sei zu hoch und zu groß, weist Rösner zurück: Wir halten uns an die Vorgaben: Wir haben die Öffentlichkeit regelmäßig informiert und einen Architekturwettbewerb unter Vorsitz des Oberbaudirektors und mit Vertretern des Bezirks sowie des Stadtteils veranstaltet.“ Dabei sei ein an den Höhen umliegender Gebäude orientierter Entwurf herausgekommen, „weder zu groß noch zu mächtig“.

Er hofft, mit dem genehmigten Bau bald beginnen zu können. „Das ist ein wichtiges Projekt für den Stadtteil. Man muss auf St. Pauli auch noch arbeiten können“, sagt Rösner. Das Projekt gilt längst als Symbol für die Frage, was auf dem Kiez noch möglich ist.

Paulihaus: Ein Büro, das wie eine WG funktionieren soll

„Unser Unternehmen ist hier seit 30 Jahre zu Hause“, betont Rösner. Es komme kein gesichtsloser fremder Investor von weither eingeflogen, um mit exorbitanten Mieten Kasse zu machen. „Wir suchen für mehr als 400 Mitarbeiter unserer vier Firmen in der Baugemeinschaft einen neuen Standort – auch weil wir selbst von einem fremden Eigentümer unabhängig werden wollen.“ Seit knapp 30 Jahren mietet die Steg Räume am Schulterblatt. Sie sieht sich selbst als Betroffene des Immobilienmonopolys: „Mehr als 20 Jahre gehörte das Haus einem privaten Vermieter aus Hannover, mit dem wir prima klarkamen – da gab es einen persönlichen Bezug zur Immobilie.“

In den vergangenen zwölf Jahren hat der Eigentümer nach Aussagen von Rösner viermal gewechselt, nun gehöre das Haus namenlosen Investoren. Er fürchtet die Spirale von Verwertung und Vernachlässigung: Während die Miete deutlich gestiegen sei, werde in die Immobilie kaum noch investiert.

In attraktiven Lagen geht diese Strategie oft auf: „Auch wenn Corona die Nachfrage um fünf bis zehn Prozent senkt, wird es keine Leerstände geben.“ Viele Unternehmen seien am Standort groß geworden und eng mit ihm verbunden – sie wollen dort weiterwachsen können. Das Paulihaus selbst versteht sich zudem als ein „neues Modell des Zusammenarbeitens und Zusammenlebens“, ein Büro, das wie eine WG funktionieren soll.

Die Steg erlebt auf dem Kiez, was mehrere Investoren durchmachen

„Wir nutzen gemeinsam Empfang, Besprechungsräume, Cafeteria, Kantine.“ Ein Großteil der alten Mieter wie Tonstudio oder Autowerkstatt wird im neuen Gebäude reintegriert. „Wann ist in den vergangenen 20 Jahren ein Bürohaus mit einer Autowerkstatt gebaut worden“, fragt Rösner rhetorisch. Nur mit dem Betreiber des Restaurants Maharaja seien die Verhandlungen gescheitert.

Die Steg erlebt auf dem Kiez, was mehrere Investoren durchmachen: „Leider sind Schwierigkeiten heute auf St. Pauli Teil der Normalität. Es gibt kein Projekt mehr, das nicht auf Kritik stößt. Wahrscheinlich darf nicht einmal der FC St. Pauli etwas bauen.“ Einen wachsenden Widerwillen gegen jede Form von Veränderung macht Rösner nicht nur auf dem Kiez, sondern überall in der Stadt aus. „St. Pauli ist nur extremer – gerade in einem Stadtteil, der doch fortschrittlich sein will, zeigt man sich sehr konservativ. Alles soll so bleiben, wie es ist. Aber ist das die Zukunft der Stadt?“

So sieht Rösner die Beteiligungsprozesse, die in den vergangenen Jahren wichtiger geworden sind, in Teilen auch kritisch. „Nicht überall funktioniert ein Beteiligungsprozess – und manchmal ergibt er auch nur wenig Sinn“, sagt Rösner. Beim Paulihaus etwa seien 95 Prozent der Fläche durch die Baugemeinschaft selbst genutzt oder für Bestandsmieter reserviert – worüber solle man da diskutieren?

Diskussionsformate verkommen schnell zu Tribunalen

Er sieht weitere Probleme: Ein Übermaß an Beteiligung entmachte die demokratisch gewählten Politiker zugunsten von Gruppen, die laut seien, deshalb aber nicht unbedingt repräsentativ. Schlimmer noch: „Diskussionsformate verkommen schnell zu Tribunalen.“ Zudem liege in den Beteiligungsformaten die Gefahr, zu viel zu versprechen und damit Enttäuschungen zu produzieren.

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Andererseits gebe es auf St. Pauli viele Projekte, die von einer intensiveren Bürgerbeteiligung profitiert hätten. So hält Rösner die Bebauung des früheren Bavaria-Geländes, die sogenannte „Hafenkrone“ zwischen Hopfenstraße, Zirkusweg, Bernhard-Nocht-Straße und Davidstraße in den Nuller-Jahren für zu wirtschaftlich geprägt. „Da vermisse ich den Bezug auf St. Pauli.“ In der eigenen Arbeit habe die Steg viele Beteiligungsprozesse moderiert – wie etwa nach der Schließung des Hafenkrankenhauses 1997. Im Dialog mit den Bürgern des Stadtteils wurden die alten Gebäude zu einem medizinischen und sozialen Versorgungszentrum umgewidmet.

 Ringen um das Paloma-Viertel

Als gelungenes Beispiel gilt das Ringen um das Paloma-Viertel, das auf dem früheren Esso-Areal entstehen soll. Hier hat die Planbude über Ideenwerkstätten viele stadtteilnahe Nutzungen in das Gesamtkonzept hineinverhandelt, etwa Wohnprojekte, Kleingewerbe, ein Basketballdach und Sozialwohnungen. „Über die Planbude habe ich mich gefreut – das war ein guter Prozess. Wir waren aber immer gespannt, wie die Umsetzung gelingt“, sagt Rösner. „Wenn man viele Ansprüche in ein Projekt hin­eindrückt, kann man ein solches Projekt auch überfrachten. Dann wird es schwierig.“ Nun musste die Stadt in die Bresche springen, weil sich keine Baugemeinschaften fand. Sein Rat: „Wir müssen im Vorfeld klären, welches Maß an Wünschen realisierbar ist.“

Die ehemalige Kantine der Rindermarkthalle Ecke Neuer Kamp/Budapester Straße.
Der Flachbau an der Ecke Neuer Kamp/Budapester Straße soll einem sechsgeschossigem Neubau weichen. © HA | Roland Magunia

Erstaunt zeigte sich Rösner, dass der Grüne Bunker nun umgesetzt wird. „Das hatte ich nicht erwartet. ich freue mich aber, dass solche Projekte aus Fantasie und Kreativität möglich sind. Das kann ein Leuchtturm werden, wenn es so wird, wie es versprochen wurde.“

Einen Leuchtturm alternativer Stadtteilentwicklung hat die Steg im Gängeviertel begleitet. Nach der Besetzung der letzten Reste althamburgischer Bebauung 2009 holte die Politik die Steg als Konfliktlöser mit ins Boot. Bis 2003 gehörte das Unternehmen der Stadt und wurde dann privatisiert – eigenständige und kritische Ideen hatten die Architekten, Stadtplaner, Projektentwickler und Kommunikatoren schon zuvor bewiesen. „Die Stadt vertraut uns problematische Aufgaben an“, sagt Rösner.

„Manchmal benötigt man ein dickes Fell"

„Manchmal benötigt man ein dickes Fell, weil man Kritik von allen Seiten bekommt.“ Zu Beginn lagen die Stadt und die Besetzer weit auseinander. In einem langen Diskussionsprozess gelang es, das Areal gemeinsam mit den Künstlern der Gängeviertel-Initiative zu entwickeln. „Ich hatte das Vergnügen, das zehn Jahre begleiten zu dürfen“, sagt Rösner. „Das Gängeviertel ist ein gutes Beispiel für eine gelungene Reparatur einer falschen Entwicklung.“ Der Verkauf an eine Investorengruppe sei ein Fehler gewesen, aus dem die Stadt gelernt habe. „Das mag kostspielig gewesen sein. Aber es hat die Stadt vorangebracht.“

Die ehemaligen Sanierungsgebiete – etwa Altona oder Ottensen – sind heute kaum wiederzuerkennen. Auch dieser Prozess, als Gentrifizierung beklagt, ist ein Ergebnis der Quartiersentwicklung. „Das ist zum Teil ja auch erwünscht. Etwa in Wilhelmsburg oder auf der Veddel wäre heute eine bessere Durchmischung sicherlich nicht falsch. Es gibt aber auch Stadtteile, wo die Gentrifizierung weit über das Ziel hinausgeschossen ist.“ Dieser Prozess sei wegen zu geringem Einfluss auf die Eigentümer nur begrenzt zu steuern.

Eine „schreckliche Entwicklung“ nennt Rösner die Grundstücksspekulation und das Weiterreichen ganzer Quartiere wie nun beim Hostenareal. Internationale Investmentgesellschaften werden immer dominanter, der Bezug zu den Gebäuden bleibt oft auf der Strecke. „Rendite ist dann wichtiger als Qualität. Am Ende kann da nichts Sinnvolles herauskommen, wenn ein Grundstück drei-, viermal mit Preisaufschlag weiter- verkauft wird. Damit steigt der Verwertungsdruck extrem an.“

In den vergangenen Jahren hat sich der Preis für Bauplätze für Mehrfamilienhäuser um den Faktor 2,9 erhöht – und diese Dynamik nimmt noch zu. Rösner meint, es wäre besser gewesen, wenn die Stadt das Grundstück von Holsten gekauft und dann im Erbbaurecht vergeben hätte.

Wie können die Menschen vor Ort profitieren?

Während manche Bauflächen als Brachen vor sich hindämmern und andere Projekte an Widerständen zu scheitern drohen, will Hamburg eigentlich jedes Jahr 10.000 neue Wohnungen bauen. „Da muss man sich Sorgen machen, ob wir diese Zielzahlen in Zukunft noch erreichen. Die Politik muss auch mal den Rücken gerade machen, etwa wenn es um Nachverdichtungen geht.“

Rösner, ganz Politologe, empfiehlt, die Menschen mit Qualität zu überzeugen. „Wir müssen das Positive kommunizieren: Was kann man gewinnen? Wie können die Menschen vor Ort profitieren? Es kann ja auch besser werden.“

Und noch etwas hält er für nötig: „Wir müssen stärker in die Höhe bauen, um Hamburgs Grünflächen und Randbereiche nicht weiter unter Druck zu setzen.“ Höher heißt für Rösner, zwischen zehn und zwölf Geschossen zu planen: Bislang gibt es einen Preissprung, sobald man über fünf bis sechs Stockwerke hinausgeht, weil dann verschärfte Auflagen greifen und die Baupreise in die Höhe schießen. Ökonomisch rechne sich ein Haus dann erst wieder ab neun, zehn Geschossen: „Das ist die einzige Dimension, die uns bleibt. Höher bauen heißt nicht schlechter bauen. Wir müssen diskutieren, wie das auch qualitätsvoll, ökologisch und trotzdem finanzierbar gelingen kann.“