Hamburg. Der Finanzminister und Altbürgermeister über den Bundestagswahlkampf, seine Rolle als Kanzlerkandidat der SPD und die Corona-Krise.
Das Gespräch mit Bundesfinanzminister und Ex-Bürgerneister Olaf Scholz (SPD) zum Neujahrsempfang des Hamburger Abendblatts wurde am Montagabend per Videokonferenz aufgezeichnet. Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider war im Hotel Atlantic, Scholz in seinem Ministerium in Berlin.
Lars Haider: Lieber Herr Scholz, ein Neujahrsempfang ohne Sie ist kein Neujahrsempfang, Sie waren in den vergangenen zehn Jahren neunmal dabei. Ich würde Sie heute gern schon für 2022 einladen. An welche Adresse soll ich denn die Einladung schicken?
Olaf Scholz: Bundeskanzleramt! (lacht)
Haider (lacht auch): Ich hatte auf diese Antwort gehofft. Sie sind bisher der einzige feststehende Kanzlerkandidat einer großen Partei. Wen erwarten Sie von den beiden anderen, von CDU/CSU und den Grünen?
Olaf Scholz: Das ist ja eine alleinige Entscheidung dieser Parteien, und ich nehme es, wie es kommt. Das war immer mein Grundsatz, und es ist ja für die Demokratie auch die richtige Einstellung.
Es gibt eigentlich immer ein TV-Spitzenkandidatenduell. Muss es da jetzt nicht einen Dreikampf geben?
Olaf Scholz: Ich vermute, dass das der Fall sein wird, aber das entscheiden ja die Medien in eigener Verantwortung.
Saskia Esken, eine der beiden SPD-Vorsitzenden, hat bei uns im Interview gesagt, dass sie mit der SPD auf 20 bis 30 Prozent oder sogar mehr kommen will. Wie soll das gehen?
Olaf Scholz: Ich bin davon überzeugt, dass die SPD in den Umfragen erheblich zulegen kann im Laufe des jetzigen Jahres. Wir haben uns gerade deswegen entschieden, so frühzeitig mitzuteilen, wer der Kanzlerkandidat der SPD sein soll, weil wir wussten, dass wir dazu eine lange Zeit brauchten. Das letzte Jahr haben wir dafür genommen, die SPD auszurichten für die Fragen der Zukunft und das, was im Wahljahr ansteht. Und jetzt werden wir die Zeit nutzen, um auch in den Umfragen voranzukommen. Spannend wird es ja, wenn die meisten Bürger mitkriegen, dass tatsächlich jetzt bald die Wahl ist. Frau Merkel wird nicht wieder kandidieren. Die Situation im nächsten Bundestag wird nicht so sein wie vor 20 Jahren. Die stärkste Partei wird nicht so stark sein wie die stärksten Parteien damals. Und es wird möglich sein, auch mit einem Ergebnis, das sehr deutlich oben in den Zwanzigern liegt, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden. Das will die SPD mit mir erreichen.
Historischer Neujahrsempfang des Hamburger Abendblatts
Unterschätzt die CDU ein bisschen die Wirkung von Angela Merkel auf ihre Wahl- und Umfrageergebnisse?
Olaf Scholz: Weiß ich nicht. Aber ich höre immer mal wieder Politiker der CDU/CSU, die davor warnen, diese Sache zu unterschätzen. Tatsächlich ist das Spiel neu und offen. Es spielen viele Fragen eine Rolle. Wer hat einen richtigen Plan für die Zukunft? Ich habe einen, die SPD auch. Es geht um Respekt, die Frage, wie wir unsere wirtschaftliche, ökologische und technologische Zukunft gestalten. Und es geht um die Frage, wie Europa eine starke Rolle spielen kann in einer unsicherer werdenden Welt. Aber es geht eben auch darum, wen man sich als Kanzler vorstellen kann.
Und da sind Sie Angela Merkel am ähnlichsten. Das sagen auch viele in der SPD. Wird das im Wahlkampf eine Rolle spielen?
Olaf Scholz: Wahlkampf macht man für das, was man selber vorstellt – sowohl als Person wie als Programm. Und darum wird es auch gehen. Im Übrigen habe ich es nie als unangenehm empfunden, mit einer erfolgreichen Frau verglichen zu werden.
Ich stelle mir ein Wahlplakat mit Ihnen und Frau Merkel und der Überschrift vor: „Einer muss den Haushalt ja machen!“ Gemeint ist dann nicht Angela Merkel, sondern Sie als Finanzminister. Das wär‘ doch was.
Olaf Scholz: Naja, solche Plakate kann man entwickeln, aber zu witzig sollten die auch nicht werden. Es geht ja tatsächlich um eine sehr ernste Sache. Und was ich bestimmt auch nicht sagen werde, obwohl es naheläge: Sie kennt mich!
Wahlkampf in Coronazeiten: Wie wird das aussehen? Oder wird Corona zu Beginn des Wahlkampfes nicht mehr ein so großes Thema für uns sein?
Olaf Scholz: Die Corona-Pandemie schüttelt die Welt durch, Europa und unser Land. Wir haben uns mit großer Kraft dagegen gestemmt. Nein, es ist unwahrscheinlich, dass Corona uns zum Zeitpunkt des Wahlkampfes nicht auch noch beschäftigen wird. Aber es besteht doch angesichts der vorhandenen Impfstoffe und der Aussicht auf weitere die Aussicht, dass es allmählich zu Ende geht. Eine Lehre kann man aus dieser Krise auf alle Fälle ziehen: Wir brauchen ein wirtschaftlich starkes Gemeinwesen, aber auch eins, das zusammenhält. Das hat Deutschland besser geholfen. Andere Länder haben das nicht.
Man konnte in den vergangenen Monaten den Eindruck gewinnen, das Geld reicht, egal wie lang der Lockdown dauert. Ist das so?
Olaf Scholz: Wir haben die fiskalische Kraft, so viel Geld einzusetzen, wie nötig ist. Das ist eine unglaublich wichtige Aussage, weil unglaublich viele Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger ihre privaten Entscheidungen von dieser Auskunft abhängig machen. Wir haben in den letzten Jahren gut gewirtschaftet, und wir haben eine stabile wirtschaftliche Grundlage. Wir können das Notwendige tun und werden es auch.
Wir haben mit dem Chef der Bundesagentur für Arbeit und mit dem Chef der Hamburger Agentur für Arbeit gesprochen. Beide rechnen nicht mit einem großen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Sehen Sie das genau so?
Olaf Scholz: Ich sehe das genau so. Das hat etwas zu tun mit der starken Wirtschaftskraft Deutschlands, und es hat etwas zu tun mit der starken fiskalischen Antwort, die wir gegeben haben. Ohne die wäre es ganz anders. Es hat auch mit einem Instrument wie der Kurzarbeit zu tun, die wir in Deutschland einsetzen. Das berührt mich besonders, denn das erste Mal ist es als große Krisenbekämpfungsmaßnahme entwickelt worden, als ich Arbeits- und Sozialminister war. Dass das jetzt in vielen Ländern nachgemacht wird, zeigt ja, dass da mal etwas wirklich hinhaut. Dass wir das bis zum Ende dieses Jahres durchhalten können, ist eine gute Botschaft.
Viel von dem Geld, das Sie zur Verfügung gestellt haben, ist noch gar nicht angetastet worden. Warum eigentlich? Haben Sie zu viele Kredite aufgenommen?
Olaf Scholz: Wir nehmen nur die Kredite auf, die wir wirklich brauchen. Was wir haben, sind Haushaltsermächtigungen des Bundestages. Wenn ich die nicht alle brauche, ist das eine gute Botschaft. Warum ist das so? In vielen Fällen haben sich die Unternehmen schneller berappelt, als manche vorhergesehen haben, auch dadurch, dass wir schnell und groß gehandelt haben.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum der zweite Lockdown nicht die Ergebnisse gebracht hat, die die Wissenschaftler der Leopoldina vorhergesagt haben? Die haben ja gesagt, dass Deutschland Anfang dieses Jahres Inzidenzen haben würde, die deutlich in Richtung 50 gehen würden.
Olaf Scholz: Mit dem Teil-Lockdown ist das in bestimmter Hinsicht gelungen, aber nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben. Deshalb haben wir uns entschlossen, noch härtere Maßnahmen zu ergreifen. Es gibt nur eine einzige richtige Strategie in der Pandemiebekämpfung: nämlich jeden Tag wachsam zu sein und sich ständig zu korrigieren, wenn man sieht, dass Maßnahmen, die man getroffen hat, nicht ausreichen.
Gibt es etwas, was Sie als Bundeskanzler in der Corona-Krise anders gemacht hätten?
Olaf Scholz: Wir haben gemeinsam gehandelt und uns eng miteinander abgestimmt. Das sollte auch das sein, was uns durch diese Krise trägt. Eine Regierung muss in dieser Situation die Regierung des Landes sein und nicht eine Partei.
Die Beiträge des 33. Abendblatt-Neujahrsempfangs
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Wie froh sind Sie, wenn Sie Bundeskanzler werden sollten, dass Sie nicht mehr Donald Trump treffen werden?
Olaf Scholz: Tja, die Zeit der Diplomatie ist ja vorbei. Ich kann offen sagen, dass ich mich sehr freue, dass Herr Biden die Wahl gewonnen hat. Übrigens mit einem Thema, das auch mich sehr bewegt: Respekt. Wie können wir sicherstellen, dass jeder in diesem Land weiß, dass es auch um seine Leistung geht? In der Coronakrise ist ja vielen Beifall geklatscht worden. Aber wir müssen dafür sorgen, dass dieser Beifall auch in bare Münze umgewandelt wird und bessere Gehälter gezahlt werden. Das muss anders werden in unserem Land - und zwar dauerhaft. Respekt ist in einer sich ausdifferenzierenden Gesellschaft von großer Bedeutung. Niemand darf sich als etwas Besseres fühlen.
Die Zeit der Diplomatie ist vorbei, sagen Sie. Letzte Frage: Was hat eigentlich Donald Trump Ihnen beim G20-Gipfel in Hamburg gesagt, als Sie ihn auf dem Flughafen empfingen? Sie sind danach halb lächelnd und halb kopfschüttelnd weggegangen.
Olaf Scholz: Ich erinnere mich nicht mehr und habe es mir auch nirgendwo aufgeschrieben. Es war, glaube ich, nicht so, dass es mich verpflichtet hat, es mir genau zu merken.