Hamburg. Spezialkräfte stürmen Wohnung von Volkan L. Der Dschihadist war in der salafistischen Szene aktiv. Zugriffe häufen sich.

Als der Einsatz beginnt, liegen schon Tage der Vorbereitung hinter den Spezialkräften. Um Punkt 6 Uhr stürmen schwer bewaffnete Beamte des Sondereinsatzkommandos der Polizei am Mittwoch zwei Wohnungen in Mehrfamilienhäusern an der Lyskerstraße. Ihr Ziel: Volkan L. (28). Der mutmaßliche Dschihadist war nach den Erkenntnissen bereits vor Jahren von der Gruppe „Islamischer Staat“ (IS) ausgebildet worden und stand auch nach seiner Rückkehr im Dienste der Terrormiliz. Gegen den in Hamburg geborenen Mann war am 11. April ein Haftbefehl vor dem Bundesgerichtshof ergangen.

Der Zugriff am Dienstag dauert nur Minuten. Dann ist der 28-Jährige überwältigt. Er leistet keinen Widerstand. Anschließend wird von zwei vermummten Polizisten der Spezialeinheit abgeführt. Um nicht erkannt zu werden, lässt sich der 28-Jährige ein dunkles T-Shirt über den Kopf legen. Er wird zunächst ins Polizeipräsidium gebracht und die sogenannte „Erkennungsdienstliche Behandlung“ durchgeführt.

Im Umgang mit Waffen geschult

Die Beamten nehmen neben Fingerabdrücken auch eine Speichelprobe – später wird Volkan L. von Beamten der Bundespolizei zum Flughafen gebracht und gegen 10 Uhr mit einem „Puma“-Hubschrauber nach Karlsruhe geflogen, um einem Ermittlungsrichter vorgeführt zu werden. Dieser sollte den nach Strafparagraf 129 wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland ausgestellten Haftbefehl bestätigen. Am späten Abend, so der Plan, sollte der Mann zurück nach Hamburg geflogen und hier ins Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis gebracht werden.

Der 28-Jährige Volkan L. gilt als gefährlich und im Umgang mit Waffen und Sprengstoffen geschult. Nach den Erkenntnissen der Ermittler war er im Jahr 2013 aus Hamburg Richtung Syrien ausgereist. Dort soll er eine mehrmonatige militärische Ausbildung in einem Camp des IS absolviert haben.

Er sollte neue Kämpfer rekrutieren

Schon kurz nach seiner Ankunft in dem Land habe er sich in die Entscheidungs- und Befehlsstrukur der Terroristen eingegliedert und eine militärische Ausbildung absolviert, hieß es von der Bundesanwaltschaft. Im März 2014 kehrte Volkan L. nach Deutschland zurück. Offenbar hatte er einen Auftrag. Er sollte neue Kämpfer für den IS rekrutieren, damit diese in Syrien für die Terrororganisation kämpfen. In mindestens einem Fall, so sind sich die Ermittler sicher, hat das geklappt. Die Ermittler konnten auch feststellen, dass Volkan L. mindestens einen Kontaktmann in Syrien hatte.

Wie genau die Anweisungen waren, die der 28-Jährige von dort bekam, wurde nicht bekannt. Volkan L. bewegte sich aber weiter in der radikalen salafistisch-dschihadistischen Szene. Dazu war er regelmäßig in Moscheen, die von diesem Klientel frequentiert werden – darunter auch die Taqwa-Moschee an der Anzengruber Straße in Wilstorf, die seit Jahren als Treffpunkt von gewaltbereiten Salafisten gilt.

Auch bei Koranverteilungen aktiv

Nach Abendblatt-Informationen soll sich Volkan L. an Ständen des inzwischen verbotenen Netzwerks „Lies!“ beteiligt haben, die über Jahre regelmäßig Korane in der Hamburger Innenstadt verteilt hat – und auch in weiteren Moscheen in anderen Bundesländern aktiv gewesen sein.

Sogenannte Rückkehrer wie Volkan L. stehen besonders im Fokus der Behörden. Offiziellen Angaben zufolge haben in den vergangenen Jahren 86 Menschen aus der Metropolregion Hamburg versucht, nach Syrien und in den Irak zu reisen, um sich den dortigen Kämpfen anzuschließen. Etwa ein Drittel der Ausgereisten sei inzwischen zurückgekehrt. „Diese Menschen sind in der Regel nach ihrer Rückkehr wieder in der islamistischen Szene aktiv“, so ein Sprecher des Verfassungsschutzes.

Per Helikopter wurde der Verdächtige nach Karlsruhe geflogen, um dort einem Ermittlungsrichter vorgeführt zu werden.
Per Helikopter wurde der Verdächtige nach Karlsruhe geflogen, um dort einem Ermittlungsrichter vorgeführt zu werden. © Unbekannt | Michael Arning

Laut Senat sind gegen sie „sowohl präventive als auch repressive Maßnahmen“ denkbar und würden den Einzelfällen entsprechend ausgewählt. Dazu gehört etwa eine genaue Klärung, welche Rolle die Rückkehrer bei den Kämpfen im Ausland eingenommen haben und ob es Ansätze für strafrechtliche Ermittlungsverfahren gibt. Auf der anderen Seite werden die Rückkehrer teils gezielt angesprochen oder ihr Pass entzogen, wenn sich Hinweise auf eine erneute Ausreise verdichten. In Hamburg ist die salafistische Szene über Jahre stark angewachsen und stagniert aktuell auf dem hohen Niveau von 771 Personen, wie ein Sprecher des Verfassungsschutzes auf Anfrage sagte. Davon gelten 410 Menschen als gewaltbereite Dschihadisten, darunter auch der jetzt festgenommene Verdächtige. Die größte Gruppe unter den Islamisten sind deutsche Staatsbürger oder Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit.

Drei weitere Festnahmen seit dem Herbst

Im vergangenen halben Jahr gab es mehrfach Aktionen der Polizei gegen Islamisten in Hamburg. So wurde im Dezember vergangenen Jahres zunächst eine 40 Jahre alte Frau verhaftet, die die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ unterstützt haben soll. Unmittelbar vor Weihnachten wurde auch der 18 Jahre alte Zineddin K. aus Bramfeld, ein Deutscher mit algerischen Wurzeln, festgenommen. Er hatte im Internet Propaganda für die Terrorgruppe betrieben und unter anderem ein Foto ins Internet gestellt, dass eine IS-Flagge vor der Elbphilharmonie zeigt. Im Januar erfolgte ein Zugriff von Spezialkräften gegen den Afghanen Hamid K. (39), der sich in Syrien in einem IS-Camp oder von der radikalislamischen Al-Nusra-Front zum Kämpfer hatte ausbilden lassen.

Im Juli 2017 ermordete der Palästinenser Ahmad A. in einem Supermarkt in Barmbek einen Mann und verletzte sechs weitere Menschen schwer. Er war vor gut einem Jahr vom Hanseatischen Oberlandesgericht wegen Mordes und sechsfachen versuchten Mord zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Zwar war der Asylbewerber nicht als Mitglied des IS eingeordnet worden. Er wird aber dem radikalen islamistischen Spektrum zugerechnet. Sich selbst hatte der Mann in Vernehmungen als „Terrorist“ bezeichnet.

Militärische Ausbildung

Die Tat hatte die Sicherheitsbehörden sensibilisiert. Denn es hatte Hinweise gegeben, dass der Mann sich radikalisierte. Ihnen war aber nicht energisch genug nachgegangen worden. Nach der Tat waren bei der Staatsschutzabteilung, dem LKA 7 neue Vorgaben zur Bearbeitung von Hinweisen eingeführt worden.

Wie schwer es ist, aus der Szene Erkenntnisse zu bekommen, zeigte sich bei der Vorstellung des letztjährigen Verfassungsschutzberichtes. Dabei musste zugegeben werden, dass es bis dahin nicht gelungen war auch nur bei einem Rückkehrer Erkenntnisse zu gewinnen, die belegen, dass er an Waffen und Sprengstoff ausgebildet war oder an Kampfhandlungen teilgenommen hatte.

Sicherheitsexperten gehen dagegen davon aus, dass zumindest die meisten nach Syrien ausgereisten Männer, die sich dort dem IS anschlossen haben, auch militärisch ausgebildet wurden. Denn immer wieder kamen aus Hamburg ausgereiste Islamisten in Syrien um. Es wird davon ausgegangen, dass etwa ein Drittel der ausgereisten Dschihadisten ums Leben gekommen ist.