Hamburg. Olaf Scholz hat als stellvertretender SPD-Vorsitzender auf dem Berliner Parkett eine durchaus turbulente Woche hinter sich.

Na gut, dann eben wieder Rathaus und die Niederungen der Landespolitik: Bürgermeister Olaf Scholz hat als stellvertretender SPD-Vorsitzender auf dem Berliner Parkett ja eine durchaus turbulente Woche hinter sich, in der weder er noch SPD-Chef Sigmar Gabriel, sondern Ex-EU-Parlamentspräsident Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD ausgerufen wurde. Am Freitagnachmittag präsentierte Scholz, wieder ganz Landesvater, seinen langjährigen Vertrauten und Kultur-Staatsrat Carsten Brosda als neuen Kultursenator.

Brosdas Beförderung mag sehr naheliegend und nachvollziehbar sein, die Umstände ihrer Bekanntmachung glichen eher einer Sturzgeburt. Um 11.44 Uhr verschickte die Senatspressestelle die Einladung zur Vorstellung eines neuen Senatsmitglieds für 16.45 Uhr, dazwischen lagen eilig einberufene Sondersitzungen der Regierungsfraktionen von SPD und Grünen, bei denen Scholz und Brosda auftraten. Dabei wäre diese Hast eigentlich gar nicht nötig gewesen, weil sich Scholz, wie er später vor Kameras und Mikrofonen bekannte, schon Ende 2016 auf Brosda als neuen Kultursenator festgelegt hatte.

Kennenlernen im Schweinsgalopp

Die Abgeordneten der Regierungsseite sind in dieser Hinsicht Kummer schon gewohnt: Die Mitglieder der SPD- und der Grünen-Fraktionen lernen künftige Senatoren in der Regel im Schweinsgalopp kennen – immerhin kurz bevor Scholz den Aspiranten der Öffentlichkeit präsentiert. Eine halbe Stunde hatte Scholz den Sozialdemokraten zugestanden, 15 Minuten den Grünen. Da bleibt nicht viel Zeit für interessierte oder gar kritische Nachfragen der Parlamentarier, die den Personalvorschlag des Senatspräsidenten schließlich mit ihrer Mehrheit in der Bürgerschaft bestätigen müssen. Das wird voraussichtlich am kommenden Mittwoch der Fall sein.

Die Sozialdemokraten durften sich wieder einmal an den Satz erinnert fühlen, den ihnen Scholz mit auf den Weg gegeben hatte, als sie ihn 2009 zum Landesvorsitzenden wählten: „Wer Führung bei mir bestellt, bekommt sie.“ Das gilt allemal für die Personalplanung des Bürgermeisters, bei der er selbst ihm nahestehende Parteifreunde kaum in die Karten schauen lässt. Scholz kennt das politische Geschäft lange genug, um zu wissen, dass die Vertraulichkeit selten gewahrt wird, wenn es zu viele Mitwisser gibt – Parteifreund hin oder her. Und es ist ein eisernes Prinzip von Scholz, dass er gerade bei Personalien zu jeder Zeit Herr des Verfahrens bleiben will.

Auffällige Diskrepanz

Da ergibt sich doch eine auffällige Diskrepanz zu der anderen Personalie, besser gesagt zu dem ganzen Personalpaket, das in dieser Woche ungleich höhere Wellen geschlagen hat als die Nominierung des neuen Kultursenators: der Rücktritt von Sigmar Gabriel als SPD-Vorsitzender, sein Verzicht auf die Kanzlerkandidatur und die Nominierung von Martin Schulz als Herausforderer von Kanzlerin Angela Merkel.

Die SPD-Bundestagsabgeordneten erfuhren am Dienstag von dieser absolut überraschenden Wendung des monatelangen Dramas, das die SPD-Spitze um die Kanzlerkandidatur aufführte, aus einem „Stern“-Interview, das Gabriel gegeben hatte. Damit war der SPD-Vorsitzende und Da-noch-Wirtschaftsminister zwar auch Herr des Verfahrens – allerdings um den Preis, die SPD-Bundestagsabgeordneten kräftig brüskiert zu haben.

Selbstfindung des SPD-Vorsitzenden

Scholz war in die Selbstfindung des SPD-Vorsitzenden zwar von Beginn an eingeweiht, ja mehr noch: Zusammen mit der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hatte Scholz Gabriel über Monate vertraulich beraten. Beide – Kraft und Scholz – hatten den zaudernden, in der Partei und beim Wahlvolk nicht besonders beliebten Gabriel letztlich überzeugt, dass es besser sei, einem anderen die Kanzlerkandidatur zu übertragen. Aber die Umsetzung der Lösung der K-Frage dürfte dem in diesen Dingen sorgsameren Hanseaten gegen den Strich gegangen sein.

Es war ausgerechnet der Kandidat selbst, für den es am überraschendsten war, dass die Wahl auf ihn fiel: Martin Schulz hatte sich darauf eingerichtet, als Nachfolger von Frank-Walter Steinmeier an die Spitze des Außenministeriums zu wechseln. Erst sehr spät hatte Gabriel sich entschieden, selbst auf diesen prestigeträchtigen Posten zu wechseln, dessen Amtsinhaber fast immer höchste Zustimmungswerte in der Bevölkerung haben. Am großen Rad der Politik wollte Gabriel dann doch trotz Verzichts auf die Kanzlerkandidatur weiter mitdrehen, gerade in diesen stürmischen Zeiten. Das bedeutete aber, dass Schulz leer ausgehen würde.

Scholz mit sich im Reinen

Bis dahin war es durchaus eine nicht unwahrscheinliche Variante, dass Olaf Scholz ins Rennen gegen Merkel geht. Der stellvertretende Parteivorsitzende, von dessen Hamburger Wahlergebnissen die Genossen in anderen Ländern und im Bund nur träumen können, hatte nie wie Martin Schulz mit den Hufen gescharrt. Aber Scholz hatte die Tür auch nie zugestoßen. Für Scholz hätte fraglos seine Kompetenz gerade in der Innenpolitik gesprochen. Letztlich gab Schulz’ größere Bekanntheit und seine volksnahe, in Formulierungen auch mal zuspitzende Art den Ausschlag.

Angesichts von Umfragewerten im Bereich von 20 Prozent für die SPD dürfte sich die Enttäuschung bei Scholz in Grenzen gehalten haben, dass nun Schulz ins Rennen geht. Etwas anders könnte es bei der Frage aussehen, wer als künftiger Parteichef Nachfolger von Gabriel wird. Es könnte durchaus sein, dass sich Scholz, der ein enges und durchaus emotionales Verhältnis zu seiner Partei hat, diesen Schritt vorstellen konnte. Doch Gabriel befand, dass Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz in eine Hand gehören.

Wie auch immer: Am Freitag, bei der Vorstellung von Brosda, wirkte Scholz entspannt und mit sich im Reinen.