Hamburg. Der “Stern“-Chefredakteur über sein Interview mit dem scheidenden SPD-Chef Sigmar Gabriel – und wie er den Inhalt geheim halten konnte.
Alle sprechen über den „Stern“ und seinen Gabriel-Scoop. Im Exklusiv-Interview mit dem Hamburger Magazin hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel verkündet, dass er auf eine Kanzlerkandidatur verzichten wolle. Das Hamburger Abendblatt sprach mit „Stern“-Chefredakteur Christian Krug.
Seit wann wussten Sie, dass Gabriel nicht antreten würde?
Christian Krug: Am 5. November hat er mir zum ersten Mal auf einem Flug von Hongkong nach Berlin gesagt, dass er sich mit dem Gedanken trage, nicht als Kanzlerkandidat anzutreten und als Parteivorsitzender zurückzutreten. Da war allerdings nicht die Rede von Martin Schulz. Man merkte die ersten fast schwermütigen Gedanken, dass er der Partei die Möglichkeit geben will, mit einem anderen in den Wahlkampf zu gehen. Das hat sich verdichtet in vielen weiteren Gesprächen und Mails. In der vergangenen Woche hat er sich dann endgültig entschlossen und seine engsten Vertrauten informiert, zu denen auch mit Sicherheit Olaf Scholz gehört, den Sigmar Gabriel sehr schätzt.
Wann hat er es Ihnen gesagt?
Krug: Wir hatten seit Längerem vereinbart, dass ich vor der für kommenden Sonntag geplanten Kandidatenkür noch ein Gespräch mit ihm führe. Dazu war ich am vergangenen Sonntag bei Sigmar Gabriel zu Hause in Goslar. Ich war schon vor dem Gespräch davon überzeugt, dass er nicht antritt – und damit in der „Stern“-Redaktion ziemlich allein. Er hatte ja auch am Anfang des Jahres noch eine Zeit des vollen politischen Aktionismus, die vielen anderen den Eindruck vermittelt hat, er sei entschlossen, Kanzlerkandidat zu werden. Ich habe mich davon nicht beirren lassen. Aber am Ende war es auch nicht mehr als ein Bauchgefühl.
Sie haben das Interview selber geführt. Warum?
Krug: Ich habe den Eindruck gewonnen, dass er mir vertraut. Er wollte kein Gruppeninterview. Es war von einem bestimmten Zeitpunkt an klar, dass das eine Sache zwischen ihm und mir ist.
Wie haben Sie es geschafft, den Inhalt des Interviews geheim zu halten?
Krug: Wir haben das im allerkleinsten Kreis behandelt, es wussten nur der Fotochef, die Artdirection und die Chefredaktion Bescheid. Sigmar Gabriel hatte ja mein Wort, dass ich es nicht publiziere, bevor er die Gremien informiert hat. Er wusste, dass ich den Erscheinungstag des „Stern“ von Donnerstag auf Mittwoch vorgezogen habe.
Wusste er auch, dass das Interview schon am Dienstag bekannt werden würde?
Krug: Das Interview selbst gab es erst am Mittwoch im „Stern“. Die Meldung zu seinem Rücktritt aber, die musste am Dienstag kommen. Selbstverständlich wusste er das. Und er wusste auch, dass im politischen Betrieb in Berlin die Nachricht spätestens nach seinem Auftritt vor der Fraktion durchgesickert wäre. Deswegen hat er mir genau danach gesagt, dass wir die Vorabmeldung herausgeben können.
Kommentar: Schulz ist nur der zweitbeste Kandidat
Zuvor hatte der Fachdienst „Meedia“ darüber berichtet.
Krug: „Meedia“ hat sich auf irgendeine Weise den Titel besorgt, von uns kam er nicht. Ich hätte mir gewünscht, sie hätten das nicht veröffentlicht, weil dadurch eine unnötige Dynamik in die Sache gekommen ist.
Erwarten Sie ein starkes Auflagenplus für den „Stern“? Über genügend Aufmerksamkeit können Sie sich ja nicht beschweren.
Krug: Das ist einer der größten Scoops, die der „Stern“ seit geraumer Zeit hatte. Ich hoffe, dass es ein gut verkaufter Titel wird. Es bleibt trotzdem die Frage, ob den Leuten im Zeitalter von 140 Zeichen die Nachricht reicht oder ob sie das ganze Interview lesen wollen.
Können Sie Kollegen verstehen, die sich ärgern, weil Gabriel ihnen noch vor wenigen Tagen das Gefühl gegeben hat, dass er antreten wird?
Krug: Welches Gefühl Sigmar Gabriel Journalisten gegeben hat, kann ich nicht sagen, weil ich nicht dabei war. Es kann genauso gut sein, dass Journalisten in alles, was gesagt wird, gleich einen geheimen Plan interpretieren. Jetzt wird die Legende gebildet, Sigmar Gabriel hat einige Kollegen an der Nase herumgeführt. Ich kann nur sagen, das stimmt nicht. Was zum Beispiel die „Bild“-Zeitung geritten hat, sich auf ihn als Kandidaten festzulegen, entzieht sich meiner Kenntnis.
Wie hätten Sie es als SPD-Politiker gefunden, wenn Sie von Gabriels Rücktritt aus dem „Stern“ erfahren hätten?
Krug: Seine engsten Vertrauten haben es nicht aus dem „Stern“ erfahren, sondern von ihm persönlich. Das haben mir am Dienstag viele SPD-Politiker in Berlin erzählt. Sie wussten auch, dass er sich im „Stern“ erklären würde. Außerdem ist ja das Wesen einer Überraschung, dass sie überraschend ist. Du kannst doch eine solche Nachricht sowieso nicht mit allen Mitgliedern teilen.
Der SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel sprach davon, dass das Interview im „Stern“ zur Kommunikationsstrategie der SPD gehört. Das war eine Ausrede, oder?
Krug: Ich habe nur mit Gabriel persönlich zu tun gehabt, mit niemandem sonst. Was die in der SPD sich als Strategie ausgedacht haben mögen, entzieht sich meiner Kenntnis. Berlin ist ein großer Hort der Legendenbildung. Was glauben Sie, mit wie vielen Journalisten ich gestern gesprochen habe, die mir gesagt haben: Wir wussten das ja auch schon seit zwei Wochen. Unglaublich. Es stand nur keine Zeile darüber irgendwo. Aber das hat sicher etwas mit dem eitlen Berliner Politikbetrieb zu tun, in dem jeder alles wissen muss.
Letzte Frage: Gabriel nennt in Ihrem Interview auch die Familie als Grund für seinen Rückzug. Ist der Job als Außenminister familienfreundlicher?
Krug: In seinen Augen schon. Er hatte ja bisher drei Jobs. Nun hat er noch einen. Das ist für ihn ein Fortschritt. Er ist aber sicher weltweit der erste Politiker, der sagt, er habe als Außenminister nicht mehr so viel zu tun wie vorher.