Hamburg. Damit es nicht zu einer Katastrophe wie in Genua kommt, kontrolliert Hamburgs „Brücken-Hausmeister“ die Bauwerke regelmäßig.
Knapp 120.000 Fahrzeuge rollen jeden Tag über die Norderelbbrücke, ein Viertel sind Laster, immer häufiger auch Schwertransporte mit einem Gewicht von mehr als 100 Tonnen. Gerade erst wurden Schiffsschrauben mit einem Gewicht von 208 Tonnen über die Norderelbbrücke in den Hafen gekarrt. 208 Tonnen!
Buchstäblich schwer belastet, viel befahren, nicht mehr die Jüngste – um die Norderelbbrücke, die Überleitung von der A 255 auf die A 1, könnte einem bang werden. Damit sich eine Katastrophe wie in Genua nicht wiederholt, wo vor zwei Wochen eine Autobahnbrücke zusammenbrach und Dutzende Menschen unter sich begrub, werden Hamburgs Brücken alle drei Jahre einer Kontrolle unterzogen – abhängig vom Zustand auch deutlich häufiger. Am Wochenende war die Norderelbbrücke dran. Das Abendblatt war dabei.
Ausschließen lässt sich ein Einsturz nicht
Die Barkasse „Neßsand“ pflügt durch die Elbe, voraus liegt die blaue Norderelbbrücke, eine schlanke Konstruktion mit zwei 60 Meter hohen Pylonen. Kay Ahrens müsste jetzt das Herz aufgehen, der 58-Jährige schwärmt für Brücken und hat deshalb wohl den idealen Job. Beim Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) ist er verantwortlich für das Bestandsmangagement der Brücken, am Sonnabend schlüpft er zudem in die Rolle des Brückenerklärers. Verkehrsstaatsrat Andreas Rieckhof (SPD), der mit an Bord ist, hat augenzwinkernd eine etwas griffigere Jobbezeichnung parat: „Ahrens ist der Hausmeister für unsere Brücken“.
Seine Arbeit verrichtet der „Hausmeister“ gewöhnlich eher unbemerkt. Doch seit Genua kann er sich vor Fragen kaum retten. Die am häufigsten gestellte lautet: Kann so etwas auch in Hamburg passieren? „Ganz ausschließen lässt sich so etwas natürlich nicht“, sagt Ahrens. „Aber die Brücken werden regelmäßig genaustens von uns überprüft. Ich schlafe ruhig.“ Verschweigen will er aber nicht, dass es Konstruktionen gibt, die ihm Sorgen machen. „Natürlich reagieren wir sofort, wenn wir ein Problem feststellen.“ Entweder werde die Brücke sofort instandgesetzt oder sie werde eben engmaschiger kontrolliert.
Fotos werden gesichtet
Sanft schiebt sich die „Neßsand“ unter die Norderelbbrücke mit ihren markanten blauen Stahlträgern, die zusammen mit den Pylonen hohe Stabilität und Standsicherheit garantieren. Über die Laufgänge der riesigen Brückenuntersichtgeräte, sechs hat der LSBG für die Kontrolle in Hamburg herangeschafft, gelangen die Ingenieure am Sonnabend zu den Prüfpunkten. Sie kontrollieren jede einzelne Schweißnaht und die für Verschleiß besonders anfälligen Fahrbahnübergänge. Sie prüfen die Brückenlager und die Stahlbleche. Und sie schießen Fotos, Tausende Fotos, die bei unklarem Befund von den LSBG-Fachleuten noch einmal gesichtet werden können. Wichtig sind die gesammelten Daten zudem für die Berechnungen zur Statik der Brücke – sie werden später in den „digitalen Zwilling“ des Bauwerks eingespeist.
Dreitägige Inspektion
60 Ingenieure sind während der dreitägigen, seit März geplanten, 400.000 Euro teuren Inspektion im Einsatz, nur zwei Spuren sind deshalb auf der Brücke frei. Damit die Sichtkontrolle zügig abgeschlossen und die Brücke am Sonntagabend wieder komplett für den Verkehr freigegeben werden kann, arbeiten sie im Zweischichtenbetrieb. Bauarbeiten auf der A 1 unmittelbar südlich der Norderelbbrücke und die Sonderprüfung selbst sorgten am Freitag und Sonnabend für kilometerlange Staus. Ähnliche Szenen dürften sich wiederholen, wenn am 8. und 9. September die Pylonen der Brücke überprüft werden.
27 Prozent in schlechtem Zustand
Über zu wenig Arbeit kann sich Kay Ahrens nicht beschweren: Knapp 1200 Brücken sind im Bestand des LSBG, weitere 1300 werden von der Deutschen Bahn, der Hochbahn, der HPA und den Bezirken betrieben. Ahrens ist stolz auf sein 37-köpfiges Team, stolz darauf, was es leistet, eine Arbeit, die, wie er sagt, „unmittelbar sinnstiftend“ ist. Anders gesagt: Gäbe es Ahrens und sein Team nicht, würden die städtischen Brücken früher oder später kollabieren. Schließlich leiden die Bauwerke unter den extremen Belastungen, denen sie rund um die Uhr ausgesetzt sind. Nach einer Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen sind die Brücken in kaum einem Bundesland so marode wie in Hamburg: 27 Prozent der gesamten Brückenfläche seien in einem schlechten Zustand. Auch die Norderelbbrücke musste schon mehrfach repariert werden. Vor fünf Jahren erhielt sie neue Widerlager, im März 2014 wurden Risse im Stahl der Brückenträger geschweißt und Stahlleisten zur Verstärkung angebracht.
1963 erbaut und 1983 „ertüchtigt“, durch verstärkte Stahlbleche entlang der Außenbahnen, erfüllt die Stahlbetonkonstruktion seit 35 Jahren die Normen der höchsten Brückenklasse 60/30, das heißt: Sie hält Belastungen stand, wie sie entstehen, wenn ein 60-Tonner auf der Hauptspur von einem 30-Tonner überholt wird. „Mit der Gesamtbelastung kommt die Brücke gerade so klar“, sagt Ahrens. Gut zehn Jahre muss sie noch halten, dann geht sie in den Ruhestand: Im Zuge des achtstreifigen Ausbaus der A 1 Ende 2020 wird nahe dem jetzigen Standort eine neue, noch belastbarere Norderelbbrücke entstehen und die alte zurückgebaut. Geschont wird sie bis dahin nicht. Das Verkehrsministerium geht davon aus, dass der Güterverkehr bis 2030 gegenüber 2010 um 38 Prozent wachsen wird.