Hamburg. Rund 2500 Bauwerke werden regelmäßig überprüft. Doch von der Bundesanstalt für Straßenwesen gibt es schlechte Noten.
Nach dem verheerenden Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua, fragen sich viele Hamburger: Kann das eigentlich auch bei uns passieren? In der Hansestadt, dem "Venedig des Nordens" mit seinen rund 2500 Brücken, sind die Anforderungen an die Sicherheit besonders hoch und die Behörden betreiben einen großen Aufwand, um für die Erhaltung zu sorgen.
"Ein Unglück wie in Genua kann niemals mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden, ist aber in Deutschland eher unwahrscheinlich", sagt die Sprecherin der Hamburger Behörde für Wirtschaft und Verkehr, Susanne Meinecke. "Wir haben ein erprobtes System von Bauwerksbesichtigungen und -prüfungen nach DIN 1076." Darüber hinaus seien die Hamburger Wegewarte in der Stadt, beziehungsweise die Autobahnmeister täglich auf Kontrollfahrt. "Gefahrenstellen werden so mit höchster Sicherheit rechtzeitig erkannt."
Ergänzend gebe es ein spezielles Programm, mit dem potenziell gefährdete Bauwerke überprüft würden. So habe man zum Beispiel die Hohenfelder Brücken vorbeugend gesichert, obwohl keinerlei sichtbare Schäden vorlagen. "Alle Straßenbrücken in Hamburg sind stand- und verkehrssicher", verspricht Meinecke. Man saniere mit "Hochdruck", was aber auch immer wieder Verkehrsbeeinträchtigungen durch Baustellen nach sich ziehe.
Schlechte Noten für Hamburg
Die jüngste Bewertung der Bundesanstalt für Straßenwesen kommt allerdings zu einem anderen, weitaus schlechteren Urteil: Danach sind die Brücken in kaum einem Bundesland so marode wie in Hamburg. 27 Prozent der gesamten Brückenfläche in der Hansestadt seien in schlechtem Zustand, nur das Saarland komme mit 29 Prozent auf einen noch höheren Wert, heißt es in der Untersuchung. In allen anderen Bundesländern außer dem Saarland ist die Situation demnach besser als in der Hansestadt. Zum Vergleich: In Berlin sind 15 Prozent der Brückenfläche in schlechtem Zustand, in Bremen lediglich vier Prozent.
Hinzu kommt: Während sich der Zustand der Brücken in den meisten Bundesländern in den vergangenen Jahren durch Sanierung oder Neubau insgesamt verbessert hat, wurde er in Hamburg noch schlechter. Laut einer Auswertung des umfassenden Datenmaterials durch „Spiegel Online“ waren 2015 noch 18 Prozent der Hamburger Brückenfläche in schlechtem Zustand. In nur drei Jahren hat sich dieser also um 50 Prozent oder neun Prozentpunkte auf den aktuellen Anteil von 27 Prozent schlecht benoteter Brückenflächen erhöht – und das in Zeiten fürstlicher Steuereinnahmen.
Wer ist für welche Brücken zuständig?
Insgesamt gibt es rund 2500 Brücken in der Hansestadt. 1176 städtische Bauwerke verwaltet dabei die Verkehrsbehörde, dazu kommen noch weitere 297 Brücken im Bundeseigentum. (darunter etwa die A7-Autobahnbrücken südlich des Elbtunnels). Um 394 Brücken kümmern sich die Bezirke, 119 Brücken betreut die Hafenverwaltung HPA (darunter die Köhlbrandbrücke) und weitere 481 die Hochbahn.
Welchen Belastungen sind die Bauwerke ausgesetzt?
Da viele Hamburger Brücken schon vor Jahrzehnten gebaut wurden, konnten die Konstrukteure noch nicht alle heutigen Belastungen, etwa mit überlangen oder besonders schweren Lkw voraussehen. Gerade solche Fahrzeuge sind heute aber auf den alten Bauwerken unterwegs. Über die 1974 eröffnete Köhlbrandbrücke brettern etwa täglich 35.000 bis 40.000 Fahrzeuge. Deren Lebenszeit wird nach früheren Angaben im Jahr 2030 überschritten sein, weshalb derzeit ermittelt wird, ob sie durch einen höheren Neubau oder einen Tunnel ersetzt werden soll. Schon jetzt gibt es Einschränkungen. Für Lastwagen gilt seit 2012 ein Überholverbot.
Auf der A7 südlich des Elbtunnels sind mehr als 120.000 Autos pro Tag unterwegs. Dort wird voraussichtlich von Jahresende an eine marode 400 Meter lange Tunnelrampe zwischen Waltershof und der Elbtunnel-Einfahrt abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Anschließend wird eine vier Kilometer lange Hochstraße der Autobahn von sechs auf acht Spuren ausgebaut.
Wie viel Geld wird für den Erhalt der Brücken aufgewendet?
Der Unterhalt der Bundesbrücken kostet etwa neun Millionen Euro, für die Hamburger Brücken wird eine Summe in der gleichen Größenordnung aufgewendet. Die HPA gibt vier Millionen Euro aus, die Hochbahn noch einmal ein bis zwei Millionen.
Eine Brücke in Schleswig-Holstein ungenügend
Das Nachbarland Schleswig-Holstein hat Entwarnung gegeben: Nach Behördenangaben ist nur eine einzige der 2506 Brücken in „ungenügendem Zustand“. Es handle sich dabei um die Eiderbrücke Pahlen, eine Klappbrücke, teilte der Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr auf Anfrage am Mittwoch mit. Die Brücke werde aber bereits instandgesetzt.
Zudem bedeute die Klassifizierung „ungenügender Zustand“ nicht zwangsläufig, dass die Standsicherheit gefährdet sei. In „nicht ausreichendem Zustand“ sind in Schleswig-Holstein 74 Brücken. Das heißt, es müssen „in näherer Zukunft“ Instandsetzungsmaßnahmen erfolgen. Alle anderen Straßenbrücken seien in „sehr gutem“ bis „ausreichendem“ Zustand.
Verkehrsminister Bernd Buchholz (FDP) betonte, dass die Fachleute die Brücken im Norden – auch die mehr als 50 Jahre alten – als „absolut sicher“ einstufen. Mit regelmäßigen Kontrollen und einem klaren Regelwerk werde sichergestellt, dass so etwas wie in Genua „bei uns nicht passieren kann“, sagte Buchholz in einem vom Ministerium auf der Internetplattform YouTube verbreiteten Beitrag. Werden Mängel festgestellt wie zum Beispiel bei der Rader Hochbrücke auf der A7, würden Maßnahmen ergriffen, um die volle Belastbarkeit wiederherzustellen oder für weniger Belastung zu sorgen, sagte Buchholz.
Entwarnung für Niedersachsen
Auch Niedersachsens rund 5000 Brücken sind nach Ansicht der Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr vor einer Katastrophe wie in Genua geschützt. Vergleichbare Konstruktionen wie bei der eingestürzten Brücke in Italien gebe es zudem nicht, sagte am Mittwoch Harald Freystein, Leiter der Abteilung konstruktiver Ingenieurbau bei der Landesbehörde.
Die Brücken würden in regelmäßigen Abständen kontrolliert. „Insofern sind wir überzeugt, dass wir ein Versagen der Brücke, so wie es jetzt in Genua passiert ist, rechtzeitig erkennen und entsprechende Maßnahmen ergreifen können, um Unglücke wie diese zu vermeiden“, betonte er.
In Niedersachsen stünden 430 Brücken unter spezieller Beobachtung, sagte Freystein. Bei 300 davon sei die Sonderprüfung bereits abgeschlossen; dabei wurden Beschränkungen wie reduzierte Verkehrsführungen oder auch konstruktive Verstärkungen angeordnet. Viele andere Brücken müssten jedoch ersetzt werden. Von einem Sanierungsstau könne man in Niedersachsen aber nicht reden, der Zustand der Brücken gelte als zufriedenstellend.
Problematisch sei, dass viele Brücken für den heutigen Schwerlastverkehr nicht ausgelegt seien. Einige wurden noch auf einer Grundlage gebaut, die den Verkehr aus dem Jahre 1953 zugrunde legte. Zudem seien viele Brücken nun mehrere Jahrzehnte alt. „Wir haben jetzt schon Brücken, die an die 80 Jahre herangehen – die meisten sind jetzt so zwischen 40 und 60 Jahre alt“, sagte Freystein.