Hamburg. Angeklagte sollen Drogengeld in Millionenhöhe in bar entgegengenommen und verschoben haben. Streit um Corona-Regeln bei Gericht.
Es geht um Geldwäsche in diesem Großverfahren, das am Mittwoch vor dem Landgericht Hamburg startete, aber natürlich geht es in diesen krisenhaften Zeiten zuallererst um Corona und die Risiken für das eigene Wohl. Acht Angeklagte, vertreten durch 17 Verteidiger, dazu Justizbeamte, drei Richter, Schöffen, zwei Staatsanwältinnen, Angehörige, Berichterstatter – bis zu 47 Menschen mit Masken sitzen gefühlt doch bedenklich eng beinander im eigentlich sehr großzügig geschnittenen Saal 337.
„Die Frage ist: Wen kann ich in Haftung nehmen, wenn die Sache hier schiefgeht?“, ruft die bei geöffneten Fenstern frierende Anwältin Gül Pinar Richter Malte Hansen zu. Der Vorsitzende hatte schon vor Prozessbeginn entschieden, dass die Zahl der Menschen im Saal den Corona-Vorgaben des Arbeitsschutzes genügt.
Geldwäscheprozess als Corona-Gefahr?
Ganz anderer Ansicht ist indes Verteidiger Arne Timmermann: Unter diesen Bedingungen sei ein „Superspreader-Event“ zu befürchten, die Verhandlung müsse unterbrochen und in einen größeren Saal verlegt werden – möglicherweise außerhalb des Strafjustizgebäudes.
Weil nur acht Zuschauer inklusive der Berichterstatter zugelassen seien, sei zudem der Öffentlichkeitsgrundsatz gefährdet. Doch Hansen bleibt hart: „Ich werde fortsetzen“. Timmermann aber auch: Für den kommenden Prozesstag kündigte er ein Befangenheitsgesuch an.
Angeklagte Familie soll Bargeld nach Spanien geschmuggelt haben
Nach fast zwei Stunden ist die Staatsanwaltschaft am Zug: Sie wirft den Angeklagten vor, sich zu einer Bande zusammengeschlossen und Geldwäsche-Straftaten in bis zu 62 Fällen mit einem Volumen von fast acht Millionen Euro begangen zu haben. Angeklagt sind unter anderem Shanaz K. (70) und ihr Mann Habibollah C. Das Risiko einer Corona-Infektion sei schon deshalb um jeden Preis zu reduzieren, weil der 69-Jährige unlängst in der Haft einen Herzinfarkt erlitten habe, so die Verteidigung.
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Gemeinsam mit ihren Söhnen, den ebenfalls angeklagten Ali C. und Milad C., sollen sie im Auftrag Dritter aus dem Drogenhandel stammendes Bargeld zur Geldwäsche ins Ausland – insbesondere nach Spanien – geschafft haben, um ein „Auffinden der inkriminierten Gelder zu erschweren und die Gelder auf diese Weise dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden zu entziehen, wofür sie jeweils anteilig entlohnt wurden“, so die Staatsanwaltschaft. Zu diesem Zweck sollen die Angeklagten Geldkuriere eingesetzt oder das Bargeld im Wege des sogenannten Hawala-Bankings transferiert haben.
Summen zwischen 7000 und 750.000 Euro "ausgeliefert"
Das mutmaßliche Drogengeld nahmen die Angeklagten in „szenetypischer Stückelung“ entgegen, entweder in ihrem Wohnhaus in Poppenbüttel oder in den Räumen eines Goldhandels in St. Georg. Vor dem Transport ins Ausland tauschten sie, so die Staatsanwaltschaft, die kleinen Scheine (5, 10 oder 20 Euro) in große (50 oder 100 Euro) um, damit die Banknoten in den eigens mit Geldverstecken präparierten Koffern nicht so viel Platz wegnehmen.
Um den Transport zu den Empfängern sollen sich unter anderem die Angeklagten Ahmad A., Waseem A., Bizhan K. und Gökhan O. gekümmert haben. Sie schafften die Geldkoffer zum Hamburger Flughafen und von dort ins Ausland. Immer wieder trafen die Boten die unbekannt gebliebenen Empfänger in Barcelona oder Madrid. Pro Flug, so die Staatsanwaltschaft, erhielten die Kuriere ein Entgelt in Höhe von 500 und 1000 Euro, dazu die Kosten für Flug und Übernachtung. Die Beträge der Einzellieferungen reichten von 7000 Euro bis 750.000 Euro.
Encrochat half dabei, den Verdächtigen auf die Spur zu kommen
Auf die Spur der Angeklagten kam die Hamburger Polizei, als sie 2019 gegen zwei Drogendealer ermittelte. Hinweise lieferten unter anderem verdeckte Maßnahmen wie Fahrzeuginnenraum-Überwachung, Telefonüberwachung und Observationen, sagt Gerichtssprecher Kai Wantzen. Allein 6,4 Terabyte an Videodaten fielen durch die Überwachung der Wohnung in Poppenbüttel an.
Eine Rolle spielten offenbar auch Encrochat-Daten, die den Hamburger Ermittlern von ihren französischen Kollegen zur Verfügung gestellt worden waren. Im Vorjahr hatte die Gendarmerie das bei Kriminellen beliebte Encrochat-Netzwerk infiltriert und so Unmengen von belastendem Material gesammelt. Allein in Hamburg gab oder gibt es mehr als 50 Verfahren, in denen die Chatverläufe als Beweismittel von Relevanz sind. Hamburger Ermittler sprachen zuletzt mit Blick auf die Auswertung der Chats von einer wahren „Goldgrube“.
Im aktuellen Geldwäsche-Verfahren konnten die Behörden ein Encrochat-Pseudonym dem 42 Jahre alten Sohn des angeklagten Ehepaares zuordnen. „Die Staatsanwaltschaft verweist auch auf Erkenntnisse aus Encrochat-Daten, die zusätzlich zeigen sollen, dass es sich um Drogengelder handelt“, so Wantzen. Der Prozess wird fortgesetzt.