Hamburg. Ungewollte Kinderlosigkeit und die Strapazen, die Paare als medizinische Hilfe auf sich nehmen, belasten enorm – und sind tabuisiert.
Jede sechste Frau, der man im Supermarkt begegnet, trägt ein Thema in sich, das diese mit der zwölften Einkäuferin hinten am Kühlregal verbindet. Doch die beiden wissen es nicht voneinander, logisch. Dieses Bild soll auch nur veranschaulichen, wie verbreitet der unerfüllte Kinderwunsch ist.
Wie viele Frauen und Paare es betrifft, dass sie auf natürlichem Wege kein oder kein weiteres Baby bekommen können. Dass darüber, was in den mittlerweile mehr als Tausend Reproduktionszentren, Fertilisationskliniken, Kinderwunsch-Praxen in Deutschland passiert, geschwiegen wird. Wir wollen gern darüber reden, das Tabu etwas aufweichen, um den Schmerz, die Hilflosigkeit und Einsamkeit etwas erträglicher zu machen.
Hamburgerin begleitet Frauen durch Kinderwunschbehandlung
In unserem Familienpodcast erzählt Alexandra Schuffenhauer, die als Coach Frauen auf ihrem Weg emotional durch die Kinderwunschbehandlung begleitet, was gesellschaftlich geschehen muss, damit offener mit dem Thema umgegangen wird. „Die wichtigste Botschaft, die ich aussende, ist: ‘Du bist nicht alleine und musst diesen Weg auch nicht alleine gehen’“, sagt die Winterhuderin mit Praxis am Mühlenkamp. „Ich unterstütze die Frauen darin, Zuversicht und Vertrauen zu behalten und das Warten bestmöglich zu nutzen.“ Denn darum geht es. Das Warten. Die lange Zeit, die es dauern kann, bis sich ein Embryo einnistet, eine Schwangerschaft entsteht. Acht Jahre? Zehn Versuche? Drei Jahre, bis es klappt?
Oder leider auch gar nicht zu einer Geburt kommt. „Natürlich kann ich auch nicht garantieren, dass die Frau schwanger wird“, sagt sie, „aber ich denke, die psychische Komponente ist sehr bedeutend. Denn während medizinisch gut weitergeholfen werden kann, werden die emotionale Seite und die Belastungen für die Frau oft gar nicht berücksichtigt.“ Gefühle, um die es geht, werden zur Privatangelegenheit erklärt, dabei toben oft Angst, Wut, Scham und Trauer oder Neid in den Betroffenen. „Auch die Sorge, wenn alle im Freundeskreis nach und nach Kinder bekommen, nur man selbst noch nicht, dass man dann vielleicht nicht mehr dazugehört“, sagt Schuffenhauer, sei ein Gedanke. „Irgendwann dreht sich das ganze Leben nur noch ums Schwangerwerden und das Wunschkind, es wird sehr lebensbestimmend“, sagt sie.
„Wollt ihr denn eigentlich gar keine Kinder?“
Schwer wiegen zudem oftmals Aussagen und Fragen Außenstehender, die sehr verletzend sind – obwohl der oder die andere gar keine böse Absicht hegte. „Und, wann ist es bei euch so weit, ihr seid ja jetzt verheiratet?“ „Wollt ihr denn eigentlich gar keine Kinder?“ „Vielleicht musst du dich mal etwas entspannen, fahrt doch in den Urlaub, dann klappt es bestimmt!“„Wann kommt denn das Geschwisterchen?“ Sie klingen nur interessiert, aber sie treffen die Achillesferse der Betroffenen. Denn das scheinbar „Natürlichste der Welt“ klappt eben nicht auf natürlichem Wege.
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„Da empfehle ich meinen Frauen, die negative Bewertung herauszunehmen und die Frage neutral zu betrachten“, weiß die Fachfrau. „Wenn einem derjenige nahe steht, dann rate ich, offen zu sein – das erfordert Mut und eine Vertrauensbasis. Bei einem entfernten Bekannten darf man aber auch ganz klar sagen, dass es sich um ein privates Thema handelt, ohne sich rechtfertigen zu müssen.“ Auch für das Umfeld sei es schwierig, damit umzugehen. Jedoch: „Wenn das Paar so weit ist, etwas zu verkünden, dann wird es das schon machen“, sagt sie.
Rücksicht von Arbeitgebern
Ihrer Erfahrung nach ist das Darübersprechen oft ein Schlüssel. Sogar mit Vorgesetzten. „Eine Kinderwunschbehandlung schreibt oft Termine vor, die eingehalten werden müssen – der Personalabteilung das im Vertrauen zu sagen oder dem Vorgesetzten, das stößt auf Verständnis, und manche erzählen sogar ihre eigene Geschichte. Außerdem nehmen die Fragen danach dann gerade ab.“ Andere Themen rückten dann wieder in den Vordergrund.
Ein Plan B sei übrigens immer gut in der Schublade zu haben, denn viele Frauen legen alles auf Eis, da der Gedanke, dass eine Schwangerschaft sich just in dem Moment einstellt, beherrschend ist. „Ich erarbeite gerne mit Frauen, wo es etwas länger dauert oder aber der Kinderwunsch langsam abgeschlossen wird, zu schauen, was eigentlich hintenan steht – ein Umzug vom Land in die Stadt, eine große Reise oder ein Jobwechsel.“ Schuffenhauer ermutigt dazu, andere schöne Dinge ins Leben zu lassen. Dann lasse die Anspannung oft nach, das Blickfeld erweitert sich. „Das Kind soll und darf kommen, aber die Gedanken daran sind nicht mehr Dreh- und Angelpunkt.“
Mehr Akzeptanz für künstliche Befruchtung
Diese Haltung rät sie Paaren, genauso wie Frauen, die ohne Partner schwanger werden wollen. Welche Herausforderungen sich für die „Single Moms of choice“ zusätzlich stellen, erzählt sie im Podcast.
Grundsätzlich plädiert sie für mehr Akzeptanz: „Ich wünsche mir, dass es natürlich ist in der Wahrnehmung, dass man nicht natürlich schwanger wird, dass auch eine künstliche Befruchtung kein Tabuthema mehr ist und dass es gesellschaftlich anerkannter ist, wenn gleichgeschlechtliche Paare Eltern werden oder Mamis allein oder ältere Mamis.“ Bei allen diesen Menschen sei nämlich eines gleich: Kinder herzlich willkommen.