Hamburg. Wenn Familien zerbrechen, gibt es oft Probleme. Wie „alte“ Kinder und „neue“ Stiefeltern lernen, sich gut miteinander zu verstehen.

Patchwork-Familien sind oft so bunt wie der namensgebende Flickenteppich: Es gibt „meine“ Kinder, vielleicht „deine Kinder“ und manchmal auch „unsere Kinder“, Stiefvater- oder Stiefmutterfamilien, Haushalte, in denen Kinder dauerhaft leben, und solche, bei denen sie nur zeitweise zu Besuch sind. Das klingt modern, ist aber oft mit zahlreichen Konflikten verbunden.

Wie man in solch ein komplexes System wieder Ruhe hineinbringt und die Kinder vor Loyalitätskonflikten schützt – kurz: wie diese Familien glücklich werden –, daran arbeitet Familiencoach Mareike Fell in ihrer 2016 eröffneten Praxis namens „Die Sinnstiftung“ in Blankenese.

„Oftmals haben sich die Ebenen unglücklich miteinander verstrickt“, sagt sie in einer neuen Folge des Erziehungspodcasts „Morgens Zirkus, abends Theater“, des Podcasts des Hamburger Abendblatts rund um Kinder, Jugendliche und Familien. Kinder haben häufig ein schlechtes Gewissen gegenüber der leiblichen Mutter oder Vater, wenn sie sich auch in der neuen Familienkonstellation wohlfühlen – eben weil Mama oder Papa nicht dabei ist.

Kommunikation auf Augenhöhe

„Sie müssen wissen, dass sie keinen Verrat an der leiblichen Mutter oder dem leiblichen Vater begehen“, sagt Mareike Fell. „Jedes Elternteil hat eine Wahnsinnsmacht darüber, ob der oder die Neue des Ex-Partners von dem Kind gemocht werden darf oder ob die neue Wohnung und vielleicht sogar Mama oder Papa selbst noch gemocht werden dürfen. Mit dieser Macht muss man sehr verantwortlich umgehen.“

In Fells Arbeit geht es viel darum, dass alle Beteiligten lernen, den anderen sein zu lassen und zu einer Kommunikation auf Augenhöhe zu finden. „Wir können zum Beispiel anerkennen, dass wir eifersüchtig sind, sollten aber nicht versuchen, die Schuld dafür dem anderen in die Schuhe zu schieben, oder darauf hinwirken, dass sich der Ex-Partner nicht mehr mit dem oder der Neuen treffen darf.“ Die Erwachsenen bestimmten durch ihr Verhalten weitgehend, ob die Kinder mit der Situation ein Problem haben.

 „Wenn wir keines haben und mit den Erwachsenenthemen gut umgehen, ist es auch für die Kinder okay – dann kommt da Ruhe hinein.“ Ideal wäre, wenn man dem Kind hilft, indem man die neue Wohnung des Ex-Partners unkompliziert mal gemeinsam anschaut. Oder wertschätzend fragt: „Ist das neue Baby von Papi süß?“ Kinder „laufen“ ganz eng an ihrem Elternteil, bei dem sie wohnen.

Verschiedene Ebenen

„Wenn wir da wirklich als Erwachsene aufmachen und unsere Kinder nicht in Loyalitätskonflikte bringen, ist es für sie viel einfacher“, sagt Mareike Fell. Die 46-Jährige war früher als Schauspielerin in Serien wie „Der Bergdoktor“ oder „Geliebte Schwestern“ zu sehen. Dann ließ sich die zweifache Mutter zum Coach und zur Heilpraktikerin für Psychotherapie ausbilden. In dieser Arbeit, sagt sie, hat sie ihre Rolle gefunden.

Und dann ist da die Sache mit den verschiedenen Ebenen, die die Dinge kompliziert machen: Bei den Ex-Partnern, die einmal eine Familie gegründet haben und dann auseinandergegangen sind, bestünden oft noch Trennungsnarben. „Auf der Paarebene bestehen häufig Verletzungen, die vielleicht auch zu Rachegedanken führen, da sind Schmerz, Ängste und Schuldgefühle“, sagt Fell.

Deshalb gelte es erst einmal, Altes zu verabschieden, vielleicht auch das alte Lebensideal. „Aber Eltern bleiben immer gemeinsam in der Verantwortung.“ Die Paarebene spiele oft in diese Elternebene hinein. Gefährlich wird es, wenn ein Elternteil seinen Ärger oder die Eifersucht über die Kinder auslebe, etwa indem er sie dem Ex-Partner vorenthält oder die Stimmung zwischen ihnen vergiftet.

Thema Geld birgt Sprengstoff

Als dritte Ebene birgt das Thema Geld Sprengstoff – beispielsweise wenn gesagt wird: Ich brauche mehr Geld, sonst darfst du das Kind nicht so oft sehen. Manchmal entwickeln beispielsweise Mütter Schuldgefühle, weil sie dem Kind nicht so viel bieten können wie vielleicht der erfolgreiche Mann, der immer für das Geld gesorgt hat. Auch diese Ebenen sauber zu trennen sei hilfreich.

In einer Patchwork-Familie zur Stiefmutter oder zum Stiefvater zu werden ist nicht unbedingt eine dankbare Rolle. Oft werden sie von den Kindern erst mal abgelehnt. Bitte beachten: Erziehen oder gar bestrafen sollten die Neuen in der Familie nicht! „Wichtig ist, dem neuen Partner nicht eine Mutter- oder Vaterrolle zuzuschreiben – das wird häufig falsch gemacht.“

Wichtiger Tipp des Familiencoachs

Der sollte auch nicht Mama oder Papa genannt werden. „Das Stiefelternteil sollte immer das Plus sein, nie das Muss – der muss nicht erziehen, der kann der good guy sein. In die Rolle der leiblichen Mutter oder des leiblichen Vaters sollte man nicht reinfunken.“ Dennoch hat auch die Stiefmutter oder der Stiefvater Grenzen, und die sollten sie sichtbar machen, nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe. Je jünger die Kinder sind, desto eher können sie eine warme, fast elterliche Beziehung zum Stiefelternteil aufbauen – aber eben nicht den Elternteil ersetzen.

Ein Tipp des Familiencoachs: Wenn man den neuen Stiefelternteil in der Familie einführt, möglichst eng mit dem Ex-Partner abstimmen, um ihm deutlich zu machen: Ich brauche dich hier an meiner Seite, damit unser Kind nicht wackelt. Könntest du dir den neuen Partner oder die neue Partnerin mal anschauen und vielleicht zusammen mit dem Kind kennenlernen und dem Kind – uns – die Erlaubnis geben, dass der in unser System darf? „Patchwork-Arbeit sollte immer zugunsten des Kindes ausgerichtet sein. Wir Erwachsenen könnten uns ja lange streiten, aber die Kinder leiden darunter.“

Kinder in Betreuung des neuen Babys einbeziehen

Wenn in der Patchwork-Familie ein neues Kind erwartet wird, ist das für seine Halbgeschwister eine Herausforderung, gerade wenn sie selbst nur zeitweise in dieser Familie leben und eifersüchtig werden könnten. „Da ist es wichtig, dem Kind, das da immer wieder rein- und rauskommt, seinen Raum zu geben.“ Beispielsweise das Kind bei der Betreuung des neuen Babys mit einbeziehen.

Raum ist darüber hinaus ganz wörtlich gemeint: Auch ein Kind, das nur an einzelnen Tagen in der Familie lebt, braucht einen eigenen Bereich in der Wohnung, um zu spüren, dass es dazugehört. Ideal ist natürlich ein eigenes Zimmer, das zugleich auch als Gästezimmer genutzt werden kann. Wo das nicht möglich ist, sollte das Kind aber trotzdem eine Ecke haben mit seinem Bett, seinem Regal, seinem Schrank. „Sonst fühlt es sich nicht richtig gesehen.“

Weitere Tipps des Profis: Sich auch als Paar Zeit füreinander nehmen. Und auch mal nur mit dem eigenen Kind allein etwas unternehmen. Am Ende hilft – wie fast überall – auch die Zeit.