Hamburg. Köchin, Putzfrau, Taxifahrerin, Lehrerin – Hamburgerin Sonja Baum hat in ihrer Familie eine neue Struktur eingeführt. Wie das klappt.
„Ich bin Mutter. ‚Mami‘. Und. Ich bin Köchin. Ich bin Putzfrau. Ich bin Haushälterin. Ich bin Taxifahrerin. Ich bin Logistikerin. Und das sind NICHT die Berufe, die ich damals ins Poesie-Album geschrieben habe. Definitiv nicht. Achja! Und dann bin ich noch etwas: Ich bin am Rande des Wahnsinns. Und dann. Kam auch noch Corona.“ So schreibt es die Hamburger Dreifach-Mutter Sonja Baum in ihrem humoristischen Ratgeber-Büchlein mit dem aussagekräftigen Titel „Mama managed die Corona-Krise“.
Corona brachte für Baum und alle anderen Eltern, die ihre Kinder dann zuhause hatten, weitere Berufsbezeichnungen ein: Lehrerin zum Beispiel. Drei Schulkinder, drei Charaktere, drei unterschiedliche Aufgabenstellungen, Medien, Anforderungen. Baum versucht, allen gerecht zu werden, jedes Kind zu begleiten. „Ich hatte Tage, da bin ich von einem Zimmer zum anderen gerannt bin um die Brände zu löschen“, sagt Baum. „Ich bin kein Lehrer, ich weiß zwar, was herauskommt, aber kann meinem Kind nicht nahebringen, wie es ein System entwickelt, die Aufgaben zu lösen.“
Homeschooling belastetete die Hamburger Familie
Den Stress am Schreibtisch mit den Hausaufgaben der Kinder kennen die meisten Eltern, es ist von Tränen, Geschrei, Verweigerung zu hören. Doch offen darüber reden möchte niemand, höchstens im Vertrauen wird erzählt, dass die Schulthematik die gesamte Familie stark belastet. „Ich bin nicht so strukturiert, wie es gut gewesen wäre, es funktionierte mit drei Kindern bei uns einfach nicht“, sagt Baum hingegen ehrlich. „Wir haben erst alle am Küchentisch gesessen, aber das ist dann komplett eskaliert, sodass dann jeder in sein Zimmer gezogen ist und ich gerannt bin.“
Ab Jahresbeginn ging Baum dann aber offener damit um, wie anstrengend und kräftezehrend der Pandemie-Homeschooling-Alltag ist. Sie sprach mit anderen Müttern, outete sich im Klassenchat. Und bekam in vielen privaten Nachrichten zu hören, dass sie ganz und gar nicht allein ist. „Ich habe da wohl einen Nerv getroffen und gebe dieser Thematik eine Stimme.“
Belohnungssystem für Arbeiten im Haushalt
In der aktuellen Folge des Familienpodcasts erzählt Sonja Baum, wie ihr Weg durch diese schweren Zeiten mit Mini-Entspannungsübungen (für die Mutter) und einem Belohnungssystem (für die Kinder) führte. Um zu entstressen, um den Alltag ohne jegliche Termine besser zu strukturieren und um nicht alle anfallenden Arbeiten allein erledigen zu müssen.
Denn Sonja Baum, die eigentlich Molekularbiologin ist, bringt den Müll ebenso ungern raus wie jede andere. „Viele Tätigkeiten im Haushalt laufen für die Kinder ab wie Zauberei: Sie setzen sich an einen gedeckten Tisch, ihr Schrank ist immer voll sauberer Wäsche, die Mülltüten sind immer leer“, sagt Baum. Mit dem Bonuspunkteprogramm macht Helfen Spaß, dazu sehen die Kleinen, was alles in einem Familienhaushalt anfällt und sie gewöhnen sich daran, mitzuhelfen.
Happy-Waffel-Nachmittag mit Schokosauce
Auch, wenn solche Systeme oft abgelehnt oder kritisch betrachtet werden – die intrinsische Motivation werde dadurch komplett überspielt, erwünschtes Verhalten materiell entlohnt – hat sich Baum dafür entschieden: „Bei meinem System – ich habe mich lange damit beschäftigt – können die Kinder ihre gesammelten Punkte für Tisch abräumen, Betten machen, Post reinholen für Gemeinschaftsaktionen einlösen“, sagt sie. „Auch gibt es nicht einfach eine Tafel Schokolade, sondern die gemeinsame Herstellung beispielsweise eines Essens ist ja ein großer Teil des Ganzen.
Besonders beliebt ist bei uns übrigens der Happy-Waffel-Nachmittag, das ist im Grunde eine Waffelschlacht mit Sahne, Schokosauce, bunten Streuseln, Schokostreuseln. Sie kündigen das glücklicherweise an, damit ich alle Zutaten auch zuhause habe.“
Familienausflüge in Hamburg auch ohne Punkte
Klassiker wie Lieblingsessen wünschen oder auch buntes Popcorn machen, Kinoabend oder Ausflug in den Park mit Picknick gibt es grundsätzlich auch mal ganz ohne Punkte. „Das fand ich ganz wichtig, denn es weicht dieses Gefühl der Bestechung auf. Tatsächlich ist es so, dass wir einmal pro Woche sowieso einen Fernsehabend machen.“ Dennoch klappt es. „Ich merke aber, es ist bei meinen Kindern eine Mischung aus: ‚Ich sehe, Mami freut sich und dazu die Freude darüber, den Aufkleber für den Bonuspunkt abzufummeln und auf ihr Plakat zu kleben.“
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Seit einem Jahr nun lebt Familie Baum mit diesem strukturierenden System und genießt, dass es in den Alltag integriert ist und zur Selbstverständlichkeit geworden. „Das entlastet mich, aber es gibt mir noch keine Grundentspannung“, erzählt Baum, „im Alltag mit Kindern ist einfach so wenig planbar, das habe ich erst heute morgen gemerkt: Ich wecke die Kinder zwar rechtzeitig, damit alle pünktlich zur Schule kommen, doch die Fantasie reicht gar nicht raus, was alles passieren kann, was den Ablauf verzögert. Das bringt mit sich, dass immer so eine Grundanspannung da ist.“
Hamburgerin entwickelt Drei-Minuten-Entspannung
Für Yoga und Meditieren hatte sie keine Zeit oder war abends immer so müde, deshalb suchte sie nach „schneller Entspannung“. Das, was sich eigentlich widersprechen sollte, kommt in Baums Buch in Tricks á drei Minuten daher. Übungen, die einen im Alltag etwas „runterbremsen“. Sobald sie hektisch wird, weil die Zeit läuft, der Trockner piepst, die Tochter meckert und die Nudeln überkochen, macht Krisenmanagerin Baum eine Übung.
„Die bewusste Wahrnehmung ist meine liebste, da spüre ich alle Sinne besonders genau.“ Das gehe übrigens besonders gut beim Blumen gießen. „Kurz werde ich einmal aus meinem Gedankenkarussell rausgebremst, weil die Konzentration in einen ganz anderen Bereich geht.“ Wenn die Kinder dabei sind ist der „Körper-schüttel“-Trick gut und auch das tiefe Seufzen hilft und kann von allen mitgemacht werden. Und es bringt dann alle gemeinsam runter. Und das kann ja nie schaden.