Hamburg. Die Umweltbehörde prüft den Plan, statt Kohle Büsche aus Namibia zur Wärmegewinnung in Hamburg zu verfeuern. Das stößt auf Kritik.
Auf den ersten Blick wirkt das Vorhaben grotesk: Der Senat denkt darüber nach, Buschholz aus Namibia zu importieren, um es im Kraftwerk Tiefstack zu verfeuern. Damit soll zumindest teilweise die bisher genutzte, extrem klimaschädliche Kohle bei der Fernwärmeproduktion ersetzt werden. Tatsächlich gibt es bereits viel Kritik an den Plänen, in denen auf den weiten Transport hingewiesen oder vor neokolonialistischer Ausbeutung einer früheren Kolonie gewarnt wird. Diese Kritik kommt etwa vom der Linkspartei verbundenen Hamburger Energietisch, von der Umweltschutzorganisation Robin Wood oder aus FDP und AfD.
Es gibt aber auch viele Befürworter des Projektes, etwa unter Initiativen, Entwicklungshelfern, in der Bundesregierung und bei SPD und Grünen. Aus Sicht der Fürsprecher hilft das Vorhaben nicht nur Namibia, sondern auch dem Natur- und Klimaschutz insgesamt. Mittlerweile führen Anhänger und Gegner des Plans einen erbitterten Streit, legen unterschiedliche Gutachten vor und bezichtigen sich der Falschinformation der Öffentlichkeit.
Win-win-Situtation für Hamburg und Namibia
Hintergrund: In Namibia, bis 1915 als „Deutsch-Südwestafrika“ eine deutsche Kolonie, ist die Verbuschung weiter Landesteile zu einem großen ökologischen Problem geworden. Die dicht wuchernden Büsche senken den Grundwasserspiegel, verhindern Landwirtschaft und Viehzucht und können für Tiere zum Problem werden. Mittlerweile ist etwa die Hälfte der Landesfläche betroffen.
Beim Besuch einer namibischen Delegation in Hamburg, den die deutsche Entwicklungshilfeorganisation GIZ organisiert hatte, entstand 2019 die Idee eines gemeinsamen Projekts. Der Plan ist simpel: Namibia würde es helfen, wenn es Teile des Buschholzes verkaufen könnte. Und Hamburg könnte seinen CO2-Ausstoß reduzieren, wenn es Kohle durch Holz ersetzt. Denn Holzverbrennung gilt (abgesehen von Ernte und Transport) als klimaneutral, da lediglich das CO2 freigesetzt wird, das beim Wachstum von der Pflanze aufgenommen wurde.
Unterzeichnung „Memorandum of Understanding“
Ergebnis der Gespräche: Im Mai 2020 wurde ein „Memorandum of Understanding“ zur Prüfung einer „transkontinentalen Biomassepartnerschaft Hamburg – Namibia“ unterzeichnet, in die auch die Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW), das Institut für angewandtes Stoffstrommanagement (IfaS) der Hochschule Trier und die Hamburg Wärme GmbH eingebunden sind. Namibias Botschafter warb kurz darauf in einem Brief an Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) für das Projekt, und die Umweltbehörde von Senator Jens Kerstan (Grüne) setzte drei vereinbarte Arbeitsgruppen ein.
Diese sollen prüfen, „wie die Idee einer ‚Biomasse-Partnerschaft Hamburg - Namibia‘ langfristig und nachhaltig umgesetzt werden könnte“. Beteiligt sind Behörde, Hochschulen, namibische Regierung und Nicht-Regierungsorganisationen. Umweltstaatsrat Michael Pollmann (Grüne) betonte: „Die Bedingung ist, dass über die gesamte Lieferkette die soziale und ökologische Bilanz stimmt.“
Holzfeuerung klimafreundlicher als Kohleverfeuerung
Mittlerweile hat das beteiligte IfaS-Institut Berechnungen vorgelegt, nach denen die Holzverfeuerung in Hamburg auch bei einem Transport über die mehr als 10.000 Kilometer noch weitaus klimafreundlicher wäre als die Kohleverfeuerung. „Ich sehe zum ersten Mal die Chance für eine echte nachhaltige Partnerschaft auf Augenhöhe“, sagte IfaS-Leiter Prof. Peter Heck dem Abendblatt.
„Namibia kann ein Problem nationaler Größe nachhaltig, ökologisch und ökonomisch sinnvoll angehen und Klimaanpassung und Klimaschutz betreiben. Und Hamburg hätte die Möglichkeit, Sinnvolles zur Energiewende beizutragen und seinen CO2-Ausstoß zu senken.“
Energietisch gibt eigenes Gutachten in Auftrag
Bei Robin Wood und dem Hamburger Energietisch sieht man das ganz anders. Der Energietisch gab ein eigenes Gutachten bei Prof. Dietrich Rabenstein von der HafenCity Universität in Auftrag, das zu dem Schluss kommt, dass „von einer langjährigen energetischen Nutzung von namibischem Buschholz dringend abzuraten“ sei.
Nicht nur die Holzverbrennung führe zu Treibhausgas-Emissonen, sondern auch die „Methan-Emissionen“ der auf dann frei werdenden Flächen gehaltenen Rinder. Robin Wood argumentiert auch mit möglichen sozialen Nachteilen für Menschen in Namibia durch das Projekt – und der blutigen Kolonialgeschichte.
Offener Brief von Robin Wood an Gerd Müller
Mit einem offenen Brief an Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) wollten Robin Wood und Dutzende andere Organisationen das Vorhaben stoppen – ohne Erfolg. Das von der GIZ im Auftrag der Bundesregierung geplante Biomasse-Projekt werde „im partnerschaftlichen Einvernehmen mit der namibischen Regierung“ umgesetzt und „richtet sich an deren Politikzielen aus“, antwortete Müllers Ministerium.
Lesen Sie auch:
- Zukunft des Waldes: Diskussion ohne Scheuklappen
- Mit dem Baustoff Holz gegen den Klimawandel
- Die letzten Paradiese: Hamburgs Moore sind bedroht
„In den Klimaschutzzielen Namibias ist die Wiederherstellung von Savannenökosystemen eine wichtige Maßnahme zur Anpassung an den Klimawandel.“ Zudem entstünden durch die Partnerschaft „ausgewählte Wertschöpfungsketten“ in Holzkohle und Tierfutterproduktion. Es seien Tausende Arbeitsplätze im „Biomassesektor“ entstanden. Ziel sei nicht die Verfeuerung in deutschen Kraftwerken – Exporte könnten jedoch „einen Beitrag zur Lösung des Problems leisten“.
Entscheidung liege bei Namibiern
IfaS-Leiter Prof. Heck wirft Robin Wood vor, „faktischen Unsinn“ zu verbreiten. „Ich verstehe überhaupt nicht, wie die zu ihren Behauptungen kommen“, so Heck. Es sei „neokolonial, wenn deutsche Umweltgruppen schwarzen und weißen Farmern in Namibia ihre Lebensgrundlage – die Rinderhaltung – verbieten wollen“. Das Land gehöre den Namibiern, und das Ganze sei „allein ihre Entscheidung“.
Die unabhängige „Namibia Nature Foundation“ bekräftigte ebenfalls ihre Unterstützung für das Vorhaben. Auch die Hamburger SPD macht sich für das Projekt stark. „Die mögliche Biomasse-Partnerschaft zwischen Hamburg und Namibia hat Potenzial“, sagt ihr Bürgerschaftsabgeordneter und Umweltpolitiker Alexander Mohrenberg: „Für den Schutz der Artenvielfalt Namibias, für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze vor Ort und für eine bessere CO2-Bilanz in der Hamburger Wärmeversorgung“.
Entscheidung von Hamburg fällt im Sommer
Ob Hamburg das Vorhaben wirklich in Angriff nimmt, soll bis zum Sommer entschieden werden. Sollte sich die Stadt auf das Projekt festlegen, würde die Arbeit erst richtig beginnen: In Namibia gibt es laut Aussagen der Beteiligten bisher noch keine ausreichende Möglichkeit, das Buschholz in transportfähige Pellets zu verarbeiten, und auch die Infrastruktur für den Transport müsste zu weiten Teilen erst geschaffen werden.