Hamburg. Neun zusätzliche Professuren werden doch nicht besetzt. Wirtschaft übt lautstark Kritik. Sind jetzt 100 Studienplätze in Gefahr?
Die Hansestadt sollte zu einem „Top-Informatikstandort“ werden, hatte die Wissenschaftsbehörde im Februar 2017 erklärt. Geplant seien 35 zusätzliche Professuren und bis zu 1500 zusätzliche Informatikstudienplätze. Doch inzwischen gilt die mit großen Worten beworbene Initiative „ahoi.digital“ zumindest an der größten Hochschule der Hansestadt als gestoppt. Im Februar trugen Professoren und Vertreter der Wirtschaft ihren Protest erstmals in die Öffentlichkeit. Nun heißt es aus dem Fachbereich, die Befürchtungen hätten sich erhärtet, der Frust wachse.
Von den zusätzlichen ahoi-Professuren hätten eigentlich 13 Stellen auf die Universität Hamburg entfallen sollen. Bisher sind allerdings erst vier zusätzliche ahoi-Professuren besetzt worden. Drei Verfahren seien im Januar 2021 kurz vor der Ruferteilung abgebrochen worden; die weiteren sechs ausstehenden ahoi-Professuren seien nun ebenfalls nicht mehr vorgesehen, erklärt der Fachbereich. Zwei zusätzliche Professuren, die aus Mitteln des Fachbereichs finanziert werden sollten, darunter eine befristete W1-Stelle für Data Literacy Education (Datenkompetenz) für Studierende aller Fachbereiche, könnten sehr wahrscheinlich nicht berufen werden, da eine ausreichende Finanzierung fehle.
Hamburg könnte 100 Informatikstudienplätze verlieren
Ging es bis dahin noch um den Stopp eines ursprünglich vorgesehenen Aufwuchses, stehe an anderer Stelle ein Abbau bevor, erklärt der Fachbereich: Durch Budgetkürzung seien weniger Mitarbeitende in der Lehre verfügbar, woraus sich eine geringere Zahl von Studienplätzen ergebe. Daher fielen etwa 100 der bestehenden jährlich angebotenen 560 Informatikstudienplätze zum Wintersemester weg.
„Der faktische Rückgang von Studienplätzen wird mittelfristig zu Streichungen von ganzen Studiengängen in der Informatik führen, insbesondere in kapazitätsintensiven interdisziplinären Studiengängen“, sagt Prof. Christian Biemann, Vorstandsmitglied für Lehre. „Dies gefährdet sowohl den Wirtschaftsstandort Hamburg mit seinem Bedarf an hochspezialisierten IT-Fachkräften als auch den Exzellenzstatus der Universität Hamburg.“
Auch Promotionsstellen in Hamburg fallen weg
Nicht nur Kürzungen von Studienplätzen seien ein Problem, sagt Fachbereichsleiter Prof. Walid Maalej. Er geht davon aus, dass zudem ein Drittel der Promotionsstellen wegfallen werde – „und das bei vielen Forschungserfolgen, einem deutlichem Aufwuchs von Drittmittelvolumen und in einer Zeit, in der die Exzellenzcluster, die MIN-Fakultät und die Wirtschaft an uns hohe Erwartungen hinsichtlich Forschungskooperation stellen, insbesondere zu Themen wie Data Science, KI und Digitalisierung.“ Ähnlich äußern sich Informatik-Professorin Ingrid Schirmer und Prof. Matthias Rarey, Co-Sprecher der jüngst mit dem Norddeutschen Wissenschaftspreis ausgezeichneten Graduiertenschule „Data Science in Hamburg“.
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Auch die Kritik aus der Hamburger Wirtschaft ebbt nicht ab – im Gegenteil: Auf der Internetseite des IT-Netzwerks The Interface Society wenden sich nun fast 30 Firmenvertreter „gegen den Abbau von dringend erforderlichen Informatik-Studienplätzen“, unter ihnen Annette Hamann, IT-Leiterin bei Beiersdorf, Bernd Appel, Geschäftsführer der Lufthansa-Tochter Industry Solutions, Michael Müller-Wünsch, Bereichsvorstand IT bei Otto, und Martin Gnass, IT-Chef der Hapag-Lloyd AG.
Nachwuchs-Graduiertenschule in Hamburg
Die Wissenschaftsbehörde (BWFGB) erklärt, Informatik und Digitalisierung seien „wichtige Themen- und Zukunftsfelder am Hamburger Wissenschaftsstandort, die weiter gestärkt werden sollen“. Die Zahl der Informatik-Studierenden in Hamburg sei von 2017 bis 2020 um fünf Prozent auf mehr als 4400 gestiegen. Dazu habe auch ahoi.digital beigetragen. Zehn der geplanten 35 Professuren seien an den vier an der ahoi-Initiative beteiligten Hamburger Hochschulen besetzt worden, und es gebe nun eine Nachwuchs-Graduiertenschule. Damit habe ahoi.digital einen guten Teil der Projektziele bereits erreicht.
„Von Kürzungen zu sprechen wird dieser Entwicklung nicht gerecht.“ Die Zahl der Studierenden in der Informatik solle künftig „aus Sicht der BWFGB nicht verringert werden“. Die Behörde befinde sich mit der Universität im Austausch zur Neuausrichtung der Digitalisierungsstrategie. „Dabei sollen Schnittstellen zwischen Informatik und wissenschaftlichen Schwerpunkten und Potenzialbereichen identifiziert werden. Ziel ist es, Digitalisierung themenübergreifend in die Lehre einzubeziehen und durch Brückenprofessuren wertvolle Synergien freizusetzen“, erklärt die Behörde.
Uni Hamburg: Bedauern beim Fachbereich Informatik
Was damit konkret gemeint sei, lasse den Fachbereich Informatik an der Universität rätseln, erklären die Lehrenden. „Wir bedauern sehr, dass trotz mehrfacher Versicherung beider Seiten, dass Gespräche zwischen Behörde und Präsidium der Universität geführt würden, um drohende Kürzungen abzuwenden, uns seit etwa acht Monaten keine konstruktiven Vorschläge für eine Lösung erreicht haben“, sagt Professorin Ingrid Schirmer. Sie und ihre Kollegen hofften weiterhin, dass sich die Aussichten verbesserten – Informatik sei ein „Zukunftsfach“.