Hamburg. Der Steuerzahlerbund spricht von “überdimensionierter“ Einrichtung. Doch Impfpraxen stöhnen unter der Belastung.

18, 20, 22 – wie beim Reizen im Skat sind es diese Zahlen, die bei den Kosten in der Corona-Pandemie aufhorchen lassen. 18 Euro erhält ein Apotheker für das Erstellen eines digitalen Impfpasses, 20 Euro ein niedergelassener Arzt für eine Impfung, 2 Euro dazu, wenn er eine Impfung nachträglich bescheinigt. Den Impfkandidaten und den Nachweis-Willigen mit dem Smartphone ist das sicherlich nicht so wichtig. Denn für sie sind Impfen und digitaler Impfpass zunächst kostenlos. Am Ende kommen sie ohnehin für den Impfstoff auf (zahlt der Bund) und für die medizinischen Leistungen über ihre Beiträge zur Krankenversicherung und die Steuern.

Doch die Ärzte, die die Hauptlast in der Pandemiebekämpfung tragen, sprechen von einem Missverhältnis in der politisch so verfügten Honorierung. Der Sprecher der medizinischen Leiter im Impfzentrum Dr. Dirk Heinrich sagte dem Abendblatt: Nur 20 Euro für das Impfen seien im Vergleich zu 18 Euro für einen Impfpass zu wenig. „Das steht in keinem Verhältnis. Der Betrag für das Impfen ist zu gering.“

Corona in Hamburg: Was eine Impfung kostet

Was genau eine Impfung im Impfzentrum kostet, ist derzeit nur zu schätzen. 200 Euro hieß es von Insidern Anfang April (das Abendblatt berichtete). Mit rund 150 Euro pro Spritze rechnet im Vergleich dazu das Bundesland Hessen aktuell in seinen Impfzentren. Das liegt nicht so weit auseinander.

Doch was fließt alles in die Kalkulation ein? In Hamburg sind das unter anderem die Miete für die Messehallen, die Sicherheit, die Aufbereitung des Impfstoffes, die Personalkosten. Die Kassenärztliche Vereinigung bekam von der Stadt den Auftrag, das Impfzentrum einzurichten und zu betreiben. Insgesamt sind an dessen Kosten der Bund, die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen sowie Hamburg beteiligt.

Dr. Dirk Heinrich, medizinischer Leiter des Hamburger Impfzentrums.
Dr. Dirk Heinrich, medizinischer Leiter des Hamburger Impfzentrums. © dpa | Georg Wendt

Ein Arzt in den Messehallen verdient 120 Euro pro Stunde, 140 am Wochenende. Arbeitet ein Niedergelassener hier mit, zum Beispiel um die Handhabung mit Biontech zu lernen, muss er für seine Praxis eine Vertretung organisieren. Unter den vielen Helfern, die zum Teil seit der Einrichtung von Deutschlands größtem Impfzentrum in den Messehallen arbeiten, sind viele, die aufgrund der Pandemie derzeit ohne Beschäftigung sind. Sie wurden größtenteils über Philipp Westermeyers Firma Ramp 106 (Online Marketing Rockstars) angeheuert.

Steuerzahlerbund kritisiert Kosten für Impfzentrum

Die Hamburger Sozialbehörde sprach Anfang Juni von bislang aufgelaufenen 50 Millionen Euro für das Impfzentrum. Die Kosten pro Spritze richten sich auch danach, wie lange das Impfzentrum aufbleibt. Impfarzt Heinrich erwartet von der Gesundheitsministerkonferenz heute eine Auskunft darüber, wie lange der Bund die Impfzentren noch finanzieren wolle.

„Das ist für unsere Planung wichtig, denn die Mitarbeiter im Hamburger Impfzentrum müssen rechtzeitig wissen, ob und wie lange es weitergeht.“ Bis Ende August wurde der Vertrag in den Messehallen verlängert. Wird es für Anschlussimpfungen offen bleiben müssen? Heinrich: „Genau wissen wir noch nicht, wann es Auffrischungsimpfungen geben muss. Das können aber dann sicher die niedergelassenen Ärzte in den Praxen machen. Aber je mehr Menschen wir im Impfzentrum impfen, desto günstiger wird die einzelne Spritze.“

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Der Steuerzahlerbund Hamburg sieht die Kosten im Impfzentrum im Vergleich zu denen bei Praxisärzten kritisch: Der Senat müsse offenlegen, was sich hinter den Zahlen konkret verberge, sagte der stellvertretende Vorsitzende Jürgen Nielsen. „Spätestens seit klar ist, dass das Impfzentrum aufgrund des fehlenden Impfstoffes nicht ausgelastet ist, hätte das Impfen in die Hände derer gegeben werden müssen, die es am besten können – in die Hände der vielen Hausärzte in Hamburg.“

"Wurde hier leichtfertig Steuergeld verschwendet?"

Doch die sind zwiegespalten: Fast jede Impfpraxis stöhnt unter der Belastung: Die Patienten herausfinden, die zuerst geimpft werden sollen, abtelefonieren, die Sprechstunden umbauen, Aufklärungsgespräche, Diskussionen um Astrazeneca, Dokumentation – alles für 20 Euro. „Lasst mal das Impfzentrum noch länger auf“, sagen zahlreiche Hausärzte dem Abendblatt.

Jürgen Nielsen vom Steuerzahlerbund fragt sich, ob der Senat überhaupt eine Kostenanalyse gemacht habe. „Wurde hier leichtfertig Steuergeld verschwendet?“ Der FDP-Vorsitzende Michael Kruse sagte dem Abendblatt: „Der Senat verteuert die Kosten des Impfzentrums drastisch, indem er die stadteigene Messe für viele Millionen Euro anmietet, obwohl sie im Zeitraum der Impfungen gar nicht anders genutzt werden konnte. Das wirkt wie ein echter Taschenspielertrick, um die entstandenen Kosten gegenüber dem Bund künstlich hochzurechnen.“ Das sei nicht seriös.

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Der Steuerzahlerbund meint: „Für den Senat ist typisch, dass er die Schuld bei anderen sucht, wenn es mal wieder teurer wird. Beim Impfen ist es der Bund, der Hamburg zu wenig Impfstoff zuteilt. Doch der Bund kann nichts für ein von Hamburg überdimensioniertes Impfzentrum.“

Debatte in Hamburg nicht nur um die Impfkosten

Die Debatte dreht sich nicht nur um die Kosten, sondern auch darum, ob eine nächste Corona-Welle droht, noch bevor eine Herdenimmunität von 70 Prozent erreicht ist. Die Impfquote der vollständig Geimpften liegt bundesweit bei 26,8 Prozent, in Hamburg bei 25,8 gemessen an der Bevölkerung. Das Vertrauen in die einmal geschaffenen Strukturen wie Impfzentren scheint groß.

Der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz und bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte der dpa: „Ich denke, die Impfzentren sollten auf jeden Fall bis Ende des Jahres beibehalten werden.“ In Hamburg sind Haus- und Fachärzte zögerlich, ob sie mit dem Impfen beginnen sollen. HNO-Arzt Heinrich sagt: „Wenn wir genügend Impfstoff haben, werden auch deutlich mehr Niedergelassene impfen. Für viele lohnt sich das wegen des Aufwandes mit immer wieder notwendigen Absagen derzeit nicht.“