In der neuen Folge des Ernährungspodcasts erklärt der Hamburger Sternekoch Thomas Imbusch seine Strategie.

Kochen ist sein Leben, bedeutet ihm alles. Es ist gutes Handwerk, Kunst und etwas, das er „Gastro­sophie“ nennt: Thomas Imbusch hat sich mit seiner Frau Sophie einen Traum erfüllt und 2018 das eigene, sehr spezielle Restaurant 100/200 kitchen gegründet. Dort arbeitet er konsequent nachhaltig und sorgt dafür, dass seine Gäste Geschmack daran finden. Im Abendblatt-Podcast "Schmeckt's?" schildert er, wie anspruchsvoll Gastronomie sein kann. Und sein sollte.

Saisonale und nachhaltige Küche

„Gastronomie ist nach unserer Meinung ein großes Politikum“, sagt Imbusch. Es gebe nur wenige Gastronomen, die in der Lage seien, ihren Gästen zu vermitteln, dass es um mehr gehe als um Nahrungsaufnahme. „Wir verstehen uns als Sprachrohr zwischen Erzeuger und Gast, sehen uns selbst nicht so im Vordergrund. Es geht darum, Genuss für den Gast zu erbringen und gleichzeitig die Bühne zu bereiten für den Landwirt, der die Produkte erzeugt hat, den Künstler, der unsere Tische baut, der Kunst an die Wand bringt, das Porzellan herstellt oder das handgeschlagene Besteck. Das ist das, was wir als Restaurant verstehen.“

Sein Restaurant 100/200 kitchen am Billhafen hat keine feste Speisekarte. Vielmehr gibt es Menüfolgen zu speziellen Themen, die saisonal wechseln. „Ich kann nicht nachhaltig arbeiten und einkaufen, wenn ich ein Angebot auf einer starren Speisekarte festsetze“, sagt der gelernte Koch, der seit 2019 mit einen Michelin-Stern dekoriert ist. „Die Natur, die Landwirtschaft, das Wetter können alles durcheinanderwerfen. Ich kann nicht mit Vorratshaltung arbeiten, wenn ich nachhaltig arbeiten will.“ Allerdings sei dieser Gedanke „weit weg vom Gast“ und wirke deshalb radikal. „Vor 100 Jahren war eine Speisekarte der absolute Wahnsinn, eine systematisierte Gastronomie höchst selten.“

Sommerzeit bietet viel Spielraum bei Obst und Gemüse

Natürlich probiere er, auf Änderungswünsche einzugehen, sagt Imbusch: „Bei Menschen mit Allergien und Unverträglichkeiten versuchen wir, alles möglich zu machen – wenn es nicht jemand ist, der an einer schweren Zöliakie leidet und das Klebereiweiß im Weizen nicht verträgt. Wer dagegen keinen Fisch mag, der sollte sich ein entsprechendes Thema aussuchen und nicht gerade eines buchen, wo es um Fisch und Krustentiere geht. Da kann ich nicht bei jedem Gang ein Stück Rinderfilet servieren. Wir verarbeiten nur ganze Tiere, direkt vom Erzeuger. Woher soll ich denn das Stück Rind nehmen?“

Derzeit liegt der Fokus auf Rind und Krustentieren. „Eigentlich wären wir jetzt in der Saison, in der wir ohne Fisch und Fleisch arbeiten“, sagt der 33-Jährige. Doch coronabedingt haben er und sein Team gerade den dritten Start hingelegt. „Wenn man wirklich nachhaltig sein möchte, muss man sich fragen: Was wächst wann? Was macht Sinn, wann zu verarbeiten? Wann ist es auf dem Zenit der Qualität?“ Der Sommer liefert eine große Palette an Obst und Gemüse.

Tiere werden komplett verarbeitet

Das Rind wird „nose to tail“, also buchstäblich von der Nase bis zum Schwanz verarbeitet, mit Ausnahme des Hirns, denn das darf seit 2001 nach dem BSE-Skandal nicht mehr verwendet werden. Die Felle werden zum Gerber gegeben und landen bei den Imbuschs: „Zwei sind jetzt im Kinderzimmer, eines im Wohnzimmer.“ Ein Tier im Ganzen zu verarbeiten, sei ein umfassendes Thema, betont der Koch. Es sei nicht mit dem Fleisch getan: Was passiert mit den Knochen? Mit dem Blut und den Schlachtabfällen? Letztere dürfen nur entsorgt werden.

Um den Überblick zu behalten, arbeitet das Team mit sehr kleinen Erzeugern zusammen und einem Schlachter, der in der Woche 15 Rinder tötet. Aktuell serviert das 100/200 kitchen neun Tellergerichte. Insgesamt sind es 14 Gänge und Zwischengänge zum Preis von 144 Euro. Im Herbst startet das nächste Thema. „Sophie und ich erwarten Nachwuchs, deshalb sind wir ein bisschen auf die Bremse getreten. Das aktuelle Menü werden wir relativ lange durchhalten und die Fleischkomponenten durch Wild austauschen. Wir haben eine tolle Jagd gefunden in der Nähe von Kiel. Mit der arbeiten wir seit drei Jahren zusammen.“

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Gäste mit purer Qualität überzeugen

Die Gastronomie habe viele Möglichkeiten, über das Thema Nachhaltigkeit zu kommunizieren, sagt Imbusch, der bereits zwei Kinder hat. Wer sich mit den Erzeugern und Lebensmittelproduzenten auseinandersetze, könne als deren Sprachrohr ganz schnell viele Menschen erreichen, ohne viel dafür tun zu müssen: „Wir müssen nur unser Handwerk leben und lieben und das auf den Teller bringen. Damit können wir die Menschen überzeugen, dass das, was serviert wird, die bessere Wahl ist.“

 Er könne dem Gast nicht sagen, was er zu tun oder zu lassen habe, so Imbusch. „Wir wollen den Menschen bei uns niemals das Gefühl geben, dass sie sich falsch verhalten. Wir versuchen alles über den Genuss zu vermitteln: Das, was wir machen, muss so viel besser sein als anderswo, dass die Menschen darüber nachzudenken, woher der gute Geschmack kommt. Menschen, die jede Woche ins Steakhouse gehen und bei uns das vegetarische Menü essen, müssen am Ende begeistert rausgehen und sagen: Ich habe weder Fisch noch Fleisch vermisst.“

Lange Suche nach geeigneten Erzeugern

In Anfangszeiten seien seine Frau und er in der Freizeit (sie waren noch berufstätig) ein Jahr in Deutschland herumgefahren und haben sich Höfe und Erzeuger angeschaut, um die richtigen Lieferanten zu finden. „Wir haben jetzt einen ganz kleinen Kreis von Menschen, die genauso denken und handeln wie wir“, sagt der Koch und nennt ein Beispiel: „Für die aus meiner Ansicht wichtigste Zutat in der Küche, die Eier, war es nicht einfach, jemanden zu finden. Der Schwiegervater unseres Schlachters macht Hühnereier. Es sind die besten, die ich je gegessen habe. So entstehen Synergien ganz von allein, und sie sind wirklich nachhaltig. Diese Menschen stehen hinter dem, was sie tun. Man kann sich auf sie verlassen.“ Ob ein Erzeuger biozertifiziert ist oder nicht, sei ihm dagegen egal: „Bio, Bioland, Demeter usw. sind nur Label. Die Menschen sind wichtig.“

Auch im Restaurant werde so ressourcenschonend wie möglich gearbeitet, versichert der Spitzengastronom. Es gibt keine Tischwäsche und den dazugehörigen Waschaufwand.

Sogar das Spülmittel ist nachhaltig produziert

Die Gäste bekommen nur einen Satz Besteck und nicht wie in „normalen“ Gourmet-Restaurants 25 Besteckteile pro Person, mit entsprechendem Spülmittelbedarf. Er habe gerade ein neues Spülmittel für die Geschirrspülmaschinen erworben. Aus Österreich. Dort sitze „der einzige Hersteller für nachhaltiges Spülmaschinen-Geschirrspülmittel in ganz Europa“. Allen anderen Produkten gab er Abzüge beim Inhalt oder wegen der Verpackung.

Im Mittelpunkt des besonderen Restaurants steht die große offene Küche. Wenn ich Gastronomie so sichtbar machen will, dass die Menschen verstehen, warum das Menü Geld kosten muss, dann kann ich nicht zum Kochen in den Keller gehen. Die Küche ist ein ästhetischer, hochemotionaler Ort. Das kann ich nur zeigen, indem ich das Restaurant wegwische und nur eine große Küche baue. Und drum herum Tische setze.“

Auch für den Gast gibt es eine wichtige Spielregel

Er und sein Team verstehen sich „zu 100 Prozent als Dienstleister“, dienen und bedienen sehr gerne, aber immer auf Augenhöhe. Imbusch: „Alles, was wir machen, machen wir mit Leidenschaft und Akribie. Dafür wollen wir nicht nur eine monetäre Wertschätzung erfahren. Ein Gast begibt sich fünf Stunden lang in unsere Hände und hat dann die größtmögliche Aufmerksamkeit, die einem Menschen zu Teil werden kann. Er ist der absolute King. Aber wenn er meinem Personal im falschen Ton widerspricht, dann ist das Thema durch.“

Nur so finden die Berufe Koch und Kellner wieder die Wertschätzung, die sie haben müssen, sagt der Chefkoch. „Wir haben derzeit ein massives Pro­blem. Das war schon vor Corona da, wurde jetzt aber zur Katastrophe. In den vergangenen Jahrzehnten wurde unfassbar viel für Gäste möglich gemacht. Da ist die Philosophie ,Es gibt kein Nein‘. Was ist das für eine Aussage? In welchem Dienstleistungsgewerbe gibt es kein Nein?“

Thomas Imbusch bildet Köche und Kellner aus

Die Ausbildung von Köchen und Kellnern liegt Thomas Imbusch am Herzen: „Kochen ist ein Handwerksberuf und hat sehr viel mit Leidenschaft zu tun. Ich hatte einen tollen Lehrmeister. Heute gibt es keine richtige Ausbildung mehr; es gibt kaum noch Menschen, die Koch oder Kellner lernen möchten. Ich verstehe, warum das so ist und versuche es anders zu machen.“

Der Restaurantbetreiber hat vier Azubis; sechs dürfen er und ein Kollege maximal ausbilden. Dazu hat Imbusch eine kleine Akademie gegründet, die stetig wachsen soll. „In 15, 20 Jahren haben wir hoffentlich viele tolle Köche und Kellner hervorgebracht, die weiter kommunizieren, wie großartig das ist, was wir tun. Dann haben wir eine Chance, dass das Ansehen der Berufe besser wird.“