Hamburg. Das Tierheim in der Süderstraße versorgt die verschiedensten Tiere. Mitarbeiter befürchten eine Rückgabewelle nach der Corona-Pandemie.
Dass in einem großen Tierheim alle möglichen Hunde, Katzen, Kaninchen, Wellensittiche und Meerschweinchen zu Hause sind, liegt nahe. Dass auf der Anlage des Hamburger Tierschutzvereins aktuell allerdings auch Pythons, Skorpione, brasilianische Bananenspinnen und ein Schwarm Koikarpfen untergebracht werden, überrascht ebenso wie die Anwesenheit von Ziegen und Wasserschildkröten.
Dagegen sind ein ausgewachsener Affe oder der zuvor in einer Spelunke auf St. Pauli beheimatete Leguan mittlerweile ausgezogen. Ohnehin ist in Corona-Zeiten auch auf dem vier Hektar umfassenden Areal Süderstraße 399 alles anders als üblich. Nicht nur die beiden an Corona erkrankten Katzen, die in der Isolierstation untergebracht waren, dokumentieren die besonderen Umstände.
Hohe Nachfrage bei Hamburgs Tierheim
Anlass für einen Lokaltermin im Heim mit Zoocharakter, grün gelegen inmitten eines Parzellengebiets im Südosten der Hansestadt. Die Pandemie beschert gut 100 Mitarbeitern eine enorme Nachfrage. Erheblich mehr als sonst. Kurzarbeit, Homeoffice, Kontaktsperren bedeuten Einsamkeit, manchmal Langeweile und ein gesteigertes Bedürfnis nach einem Lebewesen in der Nähe.
Was auf den ersten Blick wie ein Segen für verlassene, ausgesetzte Tiere wirkt, droht sich zu einem Boomerang zu entwickeln: Kehren normale Verhältnisse und der Alltag zurück, könnte auf den Tierschutzverein eine Rückkehrwelle zukommen. Nicht jeder Mensch hat den Charakter, dauerhaft Tierliebe zu empfinden.
Leitende Tierärztin: „Es herrscht Aufbruchsstimmung“
„Leider ist nichts unmöglich“, sagt Urte Inkmann gleich am Anfang des mehr als zweistündigen Rundgangs durch das weitläufige Heimareal. Ihr Blick lässt erahnen, dass sie Beglückendes wie Widerwärtiges meint. Den Glauben an die Menschheit hat die promovierte Tierärztin jedenfalls noch nicht verloren. Als junge Tierärztin heuerte die gebürtige Hamburgerin 2005 beim Tierschutzverein an.
Während peinlicher Querelen um dubiose Geschäftspraktiken und Kompetenzgerangel in der Vereinsführung wechselte Urte Inkmann für zweieinhalb Jahre in eine Tierklinik. Als ein komplett neuer Vorstand und eine nicht vorbelastete Geschäftsführerin die Regie übernahmen, kehrte sie im September 2020 als Leitende Tierärztin zurück. „Es herrscht Aufbruchsstimmung“, sagt sie, „und die Zusammenarbeit mit den Hamburger Behörden läuft jetzt prima.“ Etwa zwei der fünf Millionen Euro Jahresetat stammen aus öffentlichen Mitteln – quasi als Gegenleistung dafür, dass verwahrloste, bei Unfällen verletzte oder im Stich gelassene Tiere im Stadtgebiet aufgelesen werden. Rund um die Uhr, an jedem Tag der Woche, ist das Tierheim Außenposten für Lebewesen in Not.
Besucher dürfen nach Absprache auf das Tierheimgelände
Unfassbare Schicksale gehören dazu. Wie jüngst 180 lebende Hähne bewiesen. Sie wurden von der Polizei in einem asiatischen Restaurant in Fuhlsbüttel sichergestellt. Wahrscheinlich waren sie für einen Schmaus anlässlich des Chinesischen Neujahrsfestes am 12. Februar vorgesehen. Und was macht man auf die Schnelle mit mehr als einem Dutzend kostbarer Koikarpfen, deren Besitzer verstorben ist? Ein eigentlich für Wasserschildkröten vorgesehener Teich wurde mit Heizstäben vor Dauerfrost geschützt und umfunktioniert. Man hofft nun auf Interessenten, die von artgerechter Haltung solcher Fische etwas verstehen.
„Natürlich suchen wir nach geeigneten, würdigen Neubesitzern“, sagt Frau Dr. Inkmann auf dem Weg Richtung Vogelvolieren. Da das Tierheim derzeit Besucher nur nach Absprache aufs Gelände lässt, müssen die entscheidenden Fragen zuvor online oder am Telefon geklärt werden. Eigenauskünfte, Genehmigungen von Vermietern, ein späteres persönliches Gespräch sowie Schutzgebühren sind selbstverständlich. Im vergangenen Jahr wurden 10.416 Tiere in dem Zuhause auf Zeit versorgt. Tierrettungsfahrer rücken mit „Struppi“-Fahrzeugen aus. 2702 Tiere wurden adoptiert.
Tiere werden im Internet vorgestellt
Die Probleme der Pandemie bereiten dem 1841 gegründeten Tierschutzverein und seinen 5000 Mitgliedern in einem weiteren Punkt zusätzliche Sorgen: Durch die Präsentation vermittelbarer Tiere mit Namen und Fotos im Internet könnte die Schwelle der Vernunft sinken. Wer sich beim Online-Anblick in ein Tier vernarrt, quasi auf einen Klick, könnte unüberlegter handeln als normalerweise. Andererseits sind die Mitarbeiter entsprechend geschult.
Ein Jammer sind illegal importierte, teilweise kranke Welpen. Seit Herbst wurden fast 60 solcher Tiere betreut. Momentan sind es 14. Insgesamt leben aktuell 120 Katzen, 113 Hunde sowie mehrere Hundert anderer Tiere auf dem Gelände. Um den Lebewesen auch zukünftig eine liebevolle, professionell organisierte Zwischenheimat bieten zu können, bemüht sich der Verein um die zusätzliche Pacht eines zwei Hektar großen Areals eines benachbarten Hundesportvereins.
Petra Hoop ist Geschäftsführerin des Tierheims
„Wir sind ein eingespieltes Team“, sagt Urte Inkmann beim weiteren Rundgang. Alles ist picobello sauber. Der Aufnahmestation folgen Quarantänestationen, OP-Räume, Katzenhäuser, Beratungszimmer, ein Igel- und Reptilienhaus, Ställe und Weiden für Hoftiere, Gebäude für kleine und große Vögel. Eine Sozialstation wurde für Tiere eingerichtet, deren Besitzer versterben oder plötzlich ins Krankenhaus oder in Haft müssen.
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„Man kann sich kaum vorstellen, was sich in einer Großstadt wie Hamburg alles ereignet“, weiß Petra Hoop. Die Betriebswirtin ist seit Anfang dieses Jahres als Geschäftsführerin aktiv. Gemeinsam mit der leitenden Tierärztin Urte Inkmann fungiert sie in Hamm als Doppelspitze.
Hamburger Tierheim beherbergt auch Reptilien
85 der 100 Mitarbeiter haben direkt mit Tieren zu tun. Viele von ihnen sind seit Langem dabei und haben ein exzellentes Händchen für Tiere in Not. Gute Beispiele sind die Tierpflegerinnen Sabine Pfeiffer und Anja Ohlerich, die jeweils seit mehr als drei Jahrzehnten im Heim arbeiten. Nach kurzen Informationsgesprächen mit den beiden Profis endet die Tour im Reptilienhaus. Fünf ausgewachsene Pythonschlangen und mehr als zehn teilweise riesige Wasserschildkröten leben dort.
Sie wurden von ihren Besitzern in der Alster oder angrenzenden Kanälen ausgesetzt und später von Spaziergängern oder der Polizei gefunden. Ein Wunder, dass sie überlebt haben. Auch ein giftiger Skorpion gehört dazu. Verständlich, dass in coronafreien Zeiten viele Besucher zum Gucken kamen. Wer will, sieht das Tierheim wie einen Zoo.
Ehrenamtliche Helfer unterstützen Hamburger Tierheim
Pandemiebedingt sind derzeit nur 30 der ansonsten 100 ehrenamtlichen Helfer im Einsatz. Sie kommen regelmäßig, um Hunde an der Leine auszuführen. „Gassigeher“ werden sie genannt. Andere Idealisten erscheinen, um Katzen aus Büchern vorzulesen. Unterhaltungen dieser Art tragen dazu bei, verwundete Seelen zu streicheln.