Hamburg. Nicht nur der Klimabeirat der Stadt, auch Architekten warnen vor den Klimafolgen von Neubauten. Was sie stattdessen vorschlagen.

Der erschreckend hohe Kohlendioxid-Ausstoß im Bausektor rückt in der Debatte um den Klimaschutz immer mehr in den Fokus. In Dänemark musste jetzt Verkehrsminister Benny Engelbrecht zurücktreten, weil er dem Parlament Zahlen zur CO2-Belastung durch Infrastruktur-Baumaßnahmen verschwiegen hatte. Und in Hamburg hat gerade der Klimabeirat gefordert, bei aktuell geplanten Infrastruktur-Maßnahmen wie dem Bau der A 26 Ost und der U 5 Ost angesichts der hohen Treibhausgasemissionen eine Abwägung der Klimaschutzbelange sicherzustellen. Vor wenigen Wochen hatte das Gremium bereits ein Umdenken im Wohnungsbau gefordert: Das Ziel von 10.000 neuen Wohnungen pro Jahr solle gesenkt werden, da der Bedarf geringer sei.

Etwa 40 Prozent der klimaschädlichen CO2-Emissionen werden durch den Bau und Betrieb von Gebäuden verursacht. Dennoch wurden auch im Corona-Jahr 2020 in Deutschland etwa 35,5 Millionen Tonnen Zement produziert – laut dena-Gebäudereport 2022 ein erneuter Anstieg des Verbrauchs um fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr, der auch den Ausstoß von Treibhausgasen weitersteigen ließ.

Immobilien: Hamburger Architekt fordert weniger Neubauten

In Hamburg werde massenweise „graue Energie“ vernichtet, um fiktive und rein politische Zielzahlen zu erreichen, sagt auch der Hamburger Architekt Adrian Nägel. Der Begriff graue Energie, der immer häufiger fällt, bezeichnet die gesamte Energiemenge, die für Herstellung, Transport, Bau und Rückbau von Bauteilen und Gebäuden benötigt wird. Nägel gehört zur bundesweiten Bewegung Architects for Future, die einen nachhaltigen Wandel in der Baubranche fordert, um das Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens erreichen zu können.

In einem offenen Brief appellierte sie jüngst an Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD), sich von dem Plan zu verabschieden, pro Jahr 400.000 neue Wohnungen in Deutschland zu bauen. Der Umbau von Wohnungen und die Entwicklung von Wohnraum im Bestand müssten Vorrang haben. Wenn Neu- und Umbauten erforderlich wären, müssten sie klima- und umweltgerecht, ressourcen- und flächensparend sowie kreislauffähig umgesetzt werden.

Wohnung Hamburg: "Es wird zu viel abgerissen"

„Es wird zu viel abgerissen, zu viel neu gebaut und zu wenig saniert“, sagt Nägel. „Wenn wir so weitermachen, gefährdet das das 1,5-Grad-Ziel.“ Es nütze dem Klima gar nichts, wenn bei Neubauten weiterhin ausschließlich der energieeffiziente Betrieb betrachtet werde, nicht aber die graue Energie, die Bau und Betrieb verschlinge. „Häuser aus Beton und Styropor können unter herkömmlichen Gesichtspunkten eine positive Energiebilanz haben. Tatsächlich benötigt aber ein so errichtetes Gebäude selbst im KfW-Effizienzhaus-55-Standard etwa 60 Jahre, um - im Vergleich zu einem unsanierten Gebäude - die für die Errichtung aufgebrachte Energie im Betrieb wieder einzusparen.“

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Neubau sei nie klimaschonend und müsse zur absoluten Ausnahme werden – dafür müsse die Politik die Weichen stellen. „Möglich wäre das mit einer Anpassung der Bebauungspläne, die Neubauten nur noch gestatten, wenn sie unbedingt erforderlich sind und nur, wenn sie nachweislich während ihrer Lebensdauer eine positive CO2-Bilanz erreichen“, erläutert der Architekt, der sich neben der Sanierung im Lüneburger Architekturbüro deltagrün auch auf die „Strohbauweise“ spezialisiert hat.

Diese werde in Hamburg im Geschosswohnungsneubau nicht angewendet, da baurechtliche Hürden den Einsatz nachwachsender Rohstoffe erschwerten. Doch es gebe bereits Holzhäuser in der Hansestadt, deren Bauweise Standard werden sollte – etwa die, die im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 2013 in Wilhelmsburg errichtetet wurden, das gerade in Harburg geplante Wohnprojekt WohnenHochDrei mit 24 Wohneinheiten oder das Holzhochhaus, das derzeit in der HafenCity entsteht.

Immobilien neu nutzen: "Ökologischer ist das allemal"

„Eine Umnutzung bestehender Gebäude ist manchmal komplizierter und fordert mehr Kreativität, ökologischer ist sie aber allemal“, gibt Nägel zu bedenken. Potenzial dafür gebe es in Hamburg genug – etwa die vielen über die ganze Stadt verteilten zwei- oder dreigeschossigen Gebäude, die in Holzbauweise aufgestockt werden könnten.

Auch Jörg Knieling, stellvertretender Vorsitzender des Klimabeirats Hamburg und Professor an der HafenCity Universität Hamburg, plädiert wegen der CO2-Emissionen dafür, Sanierung vor Abriss zu stellen. „Im Neubau müssen außerdem klimafreundlichere Baustoffe eingesetzt und der tatsächliche Bedarf geprüft werden“, sagt er. „Zudem sollte jeder Neubau von Wohnungen in Metropolen wie Hamburg vor allem Haushalten mit geringen und mittleren Einkommen und Wohnungslosen zugutekommen.“

Klimabeirat regt Netto-Null-Strategie bei Neubauten an

Weil intensiver Wohnungsneubau zu weiterer Flächenversiegelung führt, regt der Klimabeirat eine Netto-Null-Strategie für Hamburg an. Die Nutzung bislang unbebauter Flächen wäre nur dann möglich, wenn an anderer Stelle ebenso viel Fläche entsiegelt würde. „Wohnungen sollten nur auf Flächen errichtet werden, die bereits vorher bebaut oder versiegelt waren – also etwa Siedlungs-, Gewerbe- oder Verkehrsflächen“, so Knieling. Das hätte auch den Vorteil, dass die frei bleibenden Flächen weiterhin für die Klimaanpassung zur Verfügung stünden, also etwa bei Starkregen-Ereignissen Wasser aufnehmen oder in Hitzephasen Kühle spenden könnten.

Tatsächlich ist es seit Jahrzehnten ein erklärtes Ziel der Politik, mehr im Bestand zu bauen und pro Jahr zwei Prozent der vorhandenen Gebäude energetisch zu sanieren und umzubauen. „Doch das sind nur schöne Worte“, wendet Architekt Nägel ein. In Hamburg liegt die tatsächliche Sanierungsquote bei 0,6 Prozent – noch niedriger als der Bundesdurchschnitt mit einem Prozent. „Erforderlich wären mindestens vier Prozent. Aber Hamburg nutzt das Potenzial der vielen Wohnungen in städtischer Hand nicht“, kritisiert Nägel.

Auch die energetische Sanierung des Bestandes werde den Zielzahlen des Neubaus untergeordnet – lieber werde abgerissen als saniert. Zumal der Bau- und Immobiliensektor ein großer wirtschaftlicher Faktor sei. Um es sich mit der Wirtschaft nicht zu verscherzen, würden sich die Politiker daher vor neuen Regelungen scheuen. „Doch die Bau- und Materialwirtschaft wird sich nicht von alleine umstellen“, betont Nägel. „Das haben wir ja bei der Autoindustrie gesehen.“

Umweltbehörde verweist auf reduzierte Emissionen beim Bauen

Die Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft verweist darauf, dass Hamburg über Instrumente verfüge, einen Teil der Emissionen beim Bauen zu reduzieren. So sei die Bauordnung im sozialen Wohnungsbau und bei Nichtwohngebäuden bereits angepasst worden, um die Verwendung von Holz zu fördern. Zudem führe die Verwendung von Nachhaltigkeitszertifikaten dazu, dass bei Gebäuden die Baustoffauswahl unter anderem mit Blick auf die graue Energie optimiert werde. Eine Holzbau-Strategie sei in Arbeit, und auch im Rahmen des Bündnisses für die Industrie der Zukunft setzten sich Senat und Unternehmen dafür ein, innovative Produktionsmöglichkeiten zu nutzen und Emissionswerte zu reduzieren.

Darüber hinaus, so die Behörde, spiele die ressourcenschonende Gebäudeaufstockung bei der Schaffung von neuem Wohnraum in Hamburg bereits eine Rolle. Um sie zu erleichtern, sei die Bauordnung schon 2018 angepasst worden. So ermögliche das Baulandmobilisierungsgesetz höheres Bauen, als es der Bebauungsplan eigentlich zulässt. Und für öffentliche Gebäude werde in den internen Leitkriterien für die energetische Sanierung empfohlen, vor der Entscheidung für einen Neubau grundsätzlich die Weiternutzung eines Bestandsgebäudes in Erwägung zu ziehen.

„Nichts kostet uns so viel wie eine entfesselte Klimakrise“

Am Beispiel des ehemaligen HEW-Ausbildungszentrums, einem Pionierbau des energetischen Bauens, der für Wohnungsbau weichen musste, wird allerdings besonders deutlich, dass Hamburg nicht immer nach diesen Empfehlungen handelt. „Die Gebäude hatten nicht nur eine große architektonische Qualität und waren ein Vorzeigebeispiel für die Bestrebungen der 1980er-Jahre, ökologisch zu bauen. Mit ihrem Abriss nicht einmal 40 Jahre nach ihrem Bau werden auch große Mengen ,grauer Energie‘ vernichtet, die man eigentlich in eine zukunftsfähige Quartiersentwicklung hätte inte­grieren müssen“, sagt Kristina Sassenscheidt vom Denkmalschutzverein.

Ähnlich habe es sich auch im Falle des City-Hofs verhalten, der ebenfalls trotz Denkmalschutzes abgerissen wurde. „Um den Erhalt des Bestandes attraktiver zu machen und Ressourcen und CO2 einzusparen, brauchen wir dringend finanzielle Anreize und gesetzliche Vorgaben“, so die Denkmalschützerin. „Gebäude zu sanieren und weiterzunutzen, ist ökologisch deutlich sinnvoller als Abriss und Neubau – und darüber hinaus wichtig für unser Stadtbild.“

Klimagerecht zu agieren heiße, „im Rahmen unseres CO2-Budgets sozialgerechte Maßnahmen umzusetzen“, sagt Annika Rittmann von Fridays for Future Hamburg. Die Stadt habe „nur noch ein begrenztes CO2-Restbudget, innerhalb dessen wir die Stadt klimaneutral umbauen müssen“. Das bedeute konkret, schnell den Leerstand zu bekämpfen und bezahlbares Wohnen in nachhaltig sanierten Gebäuden zu ermöglichen. Die Klimaaktivistin betont: „Nichts, was jetzt umgesetzt werden kann, kostet uns so viel wie die Folgen einer entfesselten Klimakrise.“