Hamburg. Die Kriminalitätsbelastung sinkt, doch Schreckschusspistolen liegen im Trend. Polizei-Gewerkschaft warnt vor „Scheinsicherheit“.
Sie sehen aus wie Schusswaffen, verursachen aber keine lebensgefährliche Verletzungen, sofern sie nicht aus nächster Nähe abgefeuert werden. Schreckschuss-, Reizstoff- oder Signalwaffen erfreuen sich in Hamburg einer rasant wachsenden Beliebtheit. Wie die Innenbehörde auf Abendblatt-Anfrage mitteilte, stieg die Zahl der kleinen Waffenscheine in der Stadt im Vorjahr um 715 oder neun Prozent auf insgesamt 8633. Im Jahr 2019 gab es nur rund 500 neue Genehmigungen. Damit hat sich die Zahl der Hamburger, die zum Führen solcher Waffen berechtigt sind, seit 2014 (4518 Genehmigungen) nahezu verdoppelt.
Zum Hintergrund: Jeder darf eine Schreckschuss-, Gas- oder Signalpistole erwerben. Doch nur mit dem kleinen Waffenschein darf man so eine Waffe in der Öffentlichkeit mit sich führen, wenn auch verdeckt. Einen Schuss abfeuern, etwa zu Silvester oder „einfach so“ – das ist streng verboten. Solche Waffen dürfen nur im Notwehrfall eingesetzt werden. Unter jungen Männern gelten Schreckschusswaffen mitunter als Statussymbol – wohl auch deshalb, weil sie echten Schusswaffen täuschend ähnlich sehen. Das allein dürfte jedoch kaum der Grund dafür sein, dass die Zahlen in Hamburg seit Jahren so stark anziehen.
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Kriminalität geht seit Jahren zurück
„Die Gründe für den Anstieg sind der Waffenbehörde nicht bekannt und wären rein spekulativ. Die persönliche Motivation der Antragsteller wird von der Waffenbehörde nicht erfragt bzw. erfasst“, sagt Daniel Schaefer, Sprecher der Innenbehörde, auf Abendblatt-Anfrage. Selbstverständlich geprüft werde aber die „waffenrechtliche Zuverlässigkeit des Antragstellers sowie eine ausreichende körperliche und geistige Eignung“. Wer einen kleinen Waffenschein führen möchte, darf beispielsweise nicht vorbestraft sein.
Der Trend überrascht auch deshalb, weil die Kriminalitätszahlen seit Jahren bundesweit zurückgehen. 2019 verzeichnete die Hamburger Polizei in Sachen Kriminalitätsbelastung gar den niedrigsten Stand seit 1981. Zwar hat der „Viktimisierungssurvey“ des Bundeskriminalamtes (BKA) ergeben, dass sich die meisten Menschen in Deutschland insgesamt sicher fühlen. Doch die repräsentative Studie besagt auch, dass der Anteil derjenigen wächst, die sich vor Kriminalität ängstigen. Auch in Hamburg?
Hamburg hat bundesweit geringsten Anteil an kleinen Waffenscheinen
„Ein Unsicherheitsgefühl ist bei den Hamburgerinnen und Hamburgern offensichtlich, trotz einer Einstellungsoffensive bei der Polizei Hamburg, immer noch vorhanden, sodass sich viele zum Schutz oder zur Selbstverteidigung eine Schreckschusswaffe besorgen“, sagt Thomas Jungfer, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Hamburg. Schreckschusswaffen, so Jungfer weiter, suggerierten indes nur eine Scheinsicherheit. Deutschlandweit warnen Polizeigewerkschaften seit Jahren zudem vor dem Verletzungsrisiko durch die massenhafte Verbreitung kleiner Waffenscheine.
Allerdings verzeichnet Hamburg, im Verhältnis zur Einwohnerzahl, bundesweit noch den geringsten Anteil an kleinen Waffenscheinen – es sind nur etwa vier auf 1000 Einwohner. Ganz anders sieht es in Schleswig-Holstein aus. Wie aus einer Umfrage der „Rheinischen Post“ hervorgeht, kommen in Hamburgs Nachbarland auf 1000 Einwohner mehr als zehn Waffenscheine.
Zahl der Besitzer scharfer Schusswaffen nimmt ab
Auch in Niedersachsen sind immer mehr Menschen berechtigt, eine Schreckschusswaffe zu führen. Die Zahl der kleinen Waffenscheine stieg 2020 um sieben Prozent auf 70.900. In Deutschland sind insgesamt rund 686.000 Genehmigungen erfasst.
Während immer mehr Hamburger Schreckschusswaffen führen dürfen, nimmt die Zahl der Besitzer scharfer Schusswaffen – meist Sportschützen oder Jäger – seit Jahren ab. Für scharfe Waffen sind sogenannte Waffenbesitzkarten erforderlich. Bis Mitte 2020 gab es in Hamburg 14.565 davon. Zum Vergleich: Bis Ende 2014 verfügten noch 16.554 Hamburger über eine derartige Erlaubnis.