Hamburg. Zahl hat sich nach Silvester-Übergriffen verzehnfacht. Nachfrage nach Gaspistolen und Pfefferspray bleibt groß.
Die Hamburger haben im vorigen Jahr so viele sogenannte Kleine Waffenscheine beantragt wie noch nie. Von Januar bis Dezember wurden insgesamt fast so viele Anträge gestellt wie in den zehn Jahren zuvor.
Genau 2513 Kleine Waffenscheine wurden im vergangenen Jahr gemäß Paragraf 10 (4) Absatz 4 des Waffengesetzes beantragt. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage des Bürgerschaftsabgeordneten Joachim Lenders (CDU) hervor. Vor den Silvesterübergriffen 2015 verzeichnete die Polizei noch 250 bis 300 Anträge pro Jahr. Die Übergriffe auf junge Frauen in der Neujahrsnacht vor einem Jahr führten zu einem „elementaren Sinneswandel“, sagt Michael Hartmann, Inhaber des Waffenhauses Eppendorf, ein Traditionsunternehmen, das es seit 1920 gibt. Vor 2016, weiß Hartmann, waren es fast ausschließlich Männer, die keine echte Waffe erwerben durften und sich Gas- oder Schreckschusswaffen kauften. „Heute kommen Menschen aus allen Schichten. Rentner, junge Paare mit Kinderwagen oder eine ganze Müllwagenbesatzung. Es kommen Männer, die für ihre Frauen eine Gaswaffe oder Pfefferspray kaufen, oder Frauen selbst“, sagt Hartmann. „Man merkt gleich, dass die noch nie in einem Waffenladen waren.“
Großhändler kommen kaum nach
Mittlerweile steigen die Verkaufszahlen nicht mehr. „Im Vergleich zu den Vorjahren ist die Nachfrage aber immer noch enorm hoch.“ Viele Großhändler hätten nach wie vor massive Schwierigkeiten, allen Bestellungen von Gas-, Schreckschuss- oder Signalwaffen nachzukommen. „Auch wir warten derzeit noch auf einige bestellte Modelle.“ Hartmann sieht die Entwicklung auch kritisch: „Vielen Leuten ist nicht bewusst, dass es sich laut Gesetz um einen Schusswaffengebrauch handelt, wenn sie eine Gaspistole bei einer Auseinandersetzung einsetzen.“ Er sei gespannt, wie die Justiz damit umgehe.
Wie viele dieser Waffen im Umlauf sind, ist nicht zu erfassen. Die meisten Käufer beantragen gar keinen Kleinen Waffenschein. Der ist nur erforderlich, wenn man eine Gaspistole auch in der Öffentlichkeit mit sich führen will.
Pfefferspray im Preis deutlich günstiger
Der Ansturm auf erlaubnisfreie Waffen begann gleich nach den Silvesterübergriffen. 1381 der insgesamt 2513 im vergangenen Jahr in Hamburg gestellten Anträge auf den kleinen Waffenschein erfolgten im ersten Quartal. Damals waren Gaspistolen und Pfefferspray oft ausverkauft. „Das war ein nicht vorhersehbares Ereignis“, sagt Hartmann. „Kein Hersteller war darauf eingestellt.“
Im zweiten Quartal wurden 251, im dritten Quartal 519 und im vierten Quartal vergangenen Jahres 362 beantragt. „Man muss zur Kenntnis nehmen, dass man sich damit immer dauerhaft auf einem sehr hohen Niveau befindet“, sagt Lenders. Gaspistolen und Gasrevolver würden allerdings hauptsächlich „heiße Luft“ verschießen. Die Vorgaben in Deutschland lassen, im Gegensatz zu vielen anderen EU-Ländern, nur zwei Prozent Wirkstoff zu. Pfefferspray sei für ihn daher die erste Wahl. Der Wirkstoff sei zur Abwehr verlässlicher. Er wirke auf die Schleimhäute und nicht, wie CS-Gas, auf die Nerven.
Für Hartmann ist ein anderer Punkt ausschlaggebend: Die rechtliche Einordnung ist eine andere. „Pfefferspray wird als Tierabwehrspray angeboten. Damit ist es rechtlich keine Waffe. Setzt man es ein, ist das so, als wenn man jemanden mit einem Badelatschen schlägt“, sagt der Experte.
Dazu komme ein eklatanter Preisunterschied. Für eine passable Gaspistole müsse man um die 200 Euro bezahlen. Dazu komme Ausrüstung, etwa ein Holster. „Es klingt zwar ein bisschen verrückt, aber ich muss mich um die Waffe herum anziehen, damit ich sie so habe, dass ich sie auch nutzen kann“, sagt Hartmann. Pfefferspray sei da handlicher und im Preis (um die 25 Euro) deutlich günstiger. „Das ist auch der Grund, warum die meisten Kunden aus diesem Segment Pfefferspray nehmen“, sagt der Waffenhändler.
Behörde überprüft den Antragsteller
Beantragt werden kann der Kleine Waffenschein bei der Dienststelle der Innenbehörde an der Straße Grüner Deich 1 in Hammerbrook. Man muss einen gültigen Personalausweis oder Reisepass dabeihaben und den ausgefüllten Antrag abgeben. Die Behörde überprüft den Antragsteller über die Datenbanken von Polizei, Bundeszentralregister, Staatsanwaltschaft, Einwohner- meldeamt sowie Gesundheitsbehörde und bei jüngeren Antragstellern auch über das Erziehungsregister. Begnügt man sich damit, sie in den eigenen vier Wänden zu behalten, ist keine Erlaubnis notwendig. Personen, die einschlägig vorbestraft sind, haben in der Regel keine Aussicht auf Ausstellung eines Kleinen Waffenscheins.