Hamburg. Polizeigewerkschaft sieht den rasanten Anstieg als Indiz für ein Unsicherheitsgefühl in Teilen der Bevölkerung.

Es ist ein erstaunlicher Trend: Obwohl die Kriminalitätszahlen in Hamburg auf dem tiefsten Stand seit Jahrzehnten liegen, wollen sich immer mehr Hamburger selbst mit einer Waffe schützen. Die Zahl der Bürger mit dem sogenannten Kleinem Waffenschein stieg im vergangenen Jahr weiterhin rasant um 535 Menschen an, wie die Polizei auf Anfrage bestätigte. Rund 7850 Hamburger verfügen demnach aktuell über die Erlaubnis, eine Schreckschusspistole zu führen – das sind fast doppelt so viele wie noch am Jahresende 2014, als rund 4000 Bürger einen Kleinen Waffenschein besaßen.

Die Erlaubnis muss für das Tragen von Gas- und Signalwaffen bei der Polizei beantragt werden. Bereits nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht 2015/2016 hatte sich die Zahl der neu ausgestellten Waffenscheine in Hamburg innerhalb eines Jahres verzehnfacht.

Auch in Schleswig-Holstein steigende Zahlen

Auch wenn sich der Anstieg seitdem wieder deutlich verlangsamte, sieht Joachim Lenders von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) die neuen Zahlen als Indiz für ein Unsicherheitsgefühl in Teilen der Bevölkerung. "Diese Nachfrage nach dem Kleinen Waffenschein hat sicherlich auch damit zu tun, dass mehr Waffen scheinpflichtig geworden sind und sich die Bürger gesetzeskonform verhalten wollen", so Lenders. "Insbesondere da sie aber schon so lange anhält, scheinen aber einige Menschen auch zu glauben, dass der Staat sie nicht mehr schützen kann. Das kann man nicht mehr wegdiskutieren".

Auch in Schleswig-Holstein beantragen weiterhin viele Einwohner einen Kleinen Waffenschein. Die Quote der Menschen mit einer solchen Erlaubnis ist im Verhältnis zur Bevölkerungszahl bundesweit am höchsten, wie die "Rheinische Post" nach einer Umfrage in allen 16 Innenministerien der Länder zuerst berichtete. Derzeit sind in Deutschland demnach rund 640.000 Bürger berechtigt, eine Schreckschusswaffe zu tragen – 2014 waren es nur 260.000 gewesen.

Auch Behörde spricht von Diskrepanz zwischen gefühlter und realer Sicherheit

Es habe ein „elementaren Sinneswandel“ stattgefunden, sagte Michael Hartmann, Inhaber des Waffenhauses Eppendorf, bereits vor drei Jahren dem Abendblatt. Zuvor seien es fast ausschließlich Männer, die keine scharfe Schusswaffe erwerben durften und deshalb in seinem Geschäft eine Schreckschusspistole suchten. „Heute kommen Menschen aus allen Schichten. Rentner, junge Paare mit Kinderwagen oder eine ganze Müllwagenbesatzung. Es kommen Männer, die für ihre Frauen eine Gaswaffe oder Pfefferspray kaufen, oder Frauen selbst“, so Hartmann damals. „Man merkt gleich, dass die noch nie in einem Waffenladen waren.“

Auch die Hamburger Innenbehörde spricht davon, dass es eine Diskrepanz zwischen den realen Kriminalitätszahlen und dem Sicherheitsgefühl der Bürger gebe. Bereits vor dem Anstieg der Zahlen beim Kleinen Waffenschein habe man entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet. "Es geht im Kern um Präsenz, Sichtbarkeit und Ansprechbarkeit der Polizei", sagte Frank Reschreiter, Sprecher der Innenbehörde. Neben neuer Schutzwesten wurden auch neongelbe Folien für die Streifenwagen angeschafft, damit die Polizei besser wahrnehmbar ist.

Angestellte der Polizei sollen zur Besserung beitragen

Viel verspricht sich die Behörde zudem von der Einstellung von 100 neuen Angestellten im Polizeidienst. 19 von ihnen sind bereits im Innenstadtbereich im Einsatz, die weiteren Stellen sollen bis zum Ende des nächsten Jahres besetzt werden. Die Angestellten nehmen unter anderem Aufgaben im Straßenverkehr und bei Veranstaltungen wie dem Schlagermove war und sollen zum allgemeinen Sicherheitsgefühl beitragen.

Der Gewerkschafter Joachim Lenders sieht einen weiteren Ausbau der Präsenz als einzigen Weg. "Es sind verschiedene beruhigende Aspekte in den vergangenen Jahrzehnten weggefallen. Früher war da etwa in Bahnhöfen immer jemand, der noch 'Zurückbleiben bitte' rief  heute haben wir Kameras, aber der Bahnsteig ist teilweise leer und etwa weibliche Passagiere fühlen sich dort unsicherer", so Lenders.