Hamburg. 29-Jähriger gilt laut Gutachten als schwer psychisch erkrankt. Jüdische Gemeinde und linke Gruppierung protestieren.
Der 29-Jährige, der am 4. Oktober 2020 vor der Hamburger Synagoge in Eimsbüttel einen jüdischen Studenten mit einem Spaten angegriffen und schwer verletzt hat, ist nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht schuldfähig.
Das habe die psychiatrische Begutachtung ergeben: Der Mann "leidet unter einer akuten paranoiden Schizophrenie, begleitet von wahnhaften Verfolgungsängsten, die nach dem Ergebnis sachverständiger Begutachtung als Auslöser für die verfahrensgegenständliche Tat anzusehen sind", heißt es in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft.
Deswegen wird gegen den Angeklagten statt eines Strafverfahrens am Freitag (12. Januar) ein sogenanntes Sicherungsverfahren eröffnet, mit dem Ziel, ihn dauerhaft in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen. Die Anklageschrift lautet auf versuchten Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.
Attacke vor Synagoge: Angeklagter war nicht schuldfähig
Die Zentralstelle Staatsschutz der Generalstaatsanwaltschaft wirft Griogrij K. vor, "im Zustand der Schuldunfähigkeit dazu angesetzt haben, einen Angehörigen des jüdischen Glaubens heimtückisch zu töten". Sein Opfer, einen 26 Jahre alten Studenten, haber er "gezielt wegen seines jüdischen Aussehens ausgewählt".
Der Angeklagte befindet sich bereits seit der Tat in psychiatrischer Unterbringung. Die Ermittlungen hätten laut Staatsanwaltschaft "keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Beschuldigte in freier Willensbestimmung religiöse, weltanschauliche, rechtsextremistische oder antisemitische Ziele verfolgte". Seine Wahnvorstellungen führten dazu, dass er "jüdische Institutionen, Rituale und Personen", aber auch "die christliche Glaubensrichtung" als Bedrohung wahrgenommen habe.
Zettel mit Hakenkreuz sollte "Schutz vor Dämonen" bieten
Die Staatsanwaltschaft geht auch auf den Zettel mit einem aufgemalten Hakenkreuz ein, der nach der Tat in der Hosentasche von Grigorij K. gefunden worden war: "Entgegen dem ersten Anschein" ändere dieser nichts an der Einschätzung, dass der Angeklagte in einem Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt habe. Die Ermittlungen hätten keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Grigorij K. vor seiner psychischen Erkrankung "antisemitisches oder rechtsextremistisches Gedankengut vertreten habe".
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Hintergrund des Zettels sei laut Staatsanwaltschaft, dass ihm "aus seinem privaten Umfeld wohlmeinend geraten" wurde, "sich gegen die von ihm wahrgenommene Dämonen und Reptiloiden unter anderem mittels einer solchen Zeichnung zu schützen" – dabei sei das Hakenkreuz in seiner Bedeutung als religiöses Glückssymbol verwandt worden. Das Verfahren vor dem Landgericht Hamburg beginnt am 12. Februar.
Jüdische Gemeinde: Woher kommt der Antisemitismus des Täters?
Die Jüdische Gemeinde hat sich auf Abendblatt-Anfrage am Freitag zum Vorgehen der Staatsanwaltschaft geäußert. „Mir ist nicht klar, weshalb die Staatsanwaltschaft das Wort ‚antisemitisch‘ bei der Beschreibung der Tat so dezidiert vermeidet“, sagte Philipp Stricharz, 1. Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Hamburg. Sie habe ja selbst geäußert, dass der Täter den jüdischen Studenten gezielt deswegen angriff, weil er als Jude erkennbar war.
Für Stricharz steht fest: „Ob der Täter nun in ‚freier Willensbestimmung‘ handelt oder nicht - für uns Juden macht das keinen Unterschied.“ Dann habe der Täter eben ohne freie Willensbestimmung antisemitisch gehandelt. Die Jüdische Gemeinde kritisiert, dass weder die Öffentlichkeit noch die Gemeinde bislang erfahren hat, woher die Vorstellung des Täters, einen Juden angreifen zu müssen, denn eigentlich rührt. „Ob der Justiz hierzu Erkenntnisse vorliegen, weiß ich nicht, wir wurden darüber nicht informiert“, so Philipp Stricharz.
Linke Gruppierung ruft zu Demo auf
Die linke Gruppierung "Sous La Plage" ruft am Tag des Prozessauftakts ab 8.30 Uhr zu einer Demonstration vor dem Strafjustizgebäude auf. Sie unterstellt der Staatsanwaltschaft, einen antisemitischen Hintergrund des Angriffs gezielt zu unterdrücken, indem der Täter als krank dargestellt werde.
Anne Blücher, eine der Organisatorinnen der Demonstration, sagt, das "politische Motiv" der Tat werde in diesem, wie auch in anderen Fällen negiert, indem die Biografie des Täters "nach Anzeichen für psychische Erkrankungen durchleuchtet" würde.