Hamburg. Der 26-Jährige ist am Dienstag aus der Klinik entlassen worden – danach hatte er einen Termin beim Polizeipräsidenten.
Der Angreifer in der Psychiatrie, das Opfer im Krankenhaus – und viele Fragen offen: Nach der Attacke von Grigoriy K. (29) auf einen jüdischen Studenten vor der Hamburger Synagoge an der Hohen Weide ist die Diskussion um eine Einzeltäterschaft und die Sicherheit der jüdischen Einrichtungen in Hamburg und deutschlandweit in vollem Gange.
Immerhin ist geht es dem angegriffenen Studenten besser. Der 26-Jährige war durch einen Klappspaten am Kopf verletzt worden. Er wurde am Dienstag aus dem Krankenhaus entlassen – und war nach Abendblatt-Informationen schon am Nachmittag zu einem persönlichen Gespräch bei Hamburgs Polizeipräsidenten Ralf Martin Meyer.
Am Nachmittag trafen sich Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und der Vorstand der Jüdischen Gemeinde sowie Landesrabbiner Shlomo Bistritzky zum Gespräch im Rathaus. Mit Schutz, aber vor allem mit mehr positiver Sichtbarkeit des jüdischen Lebens in Hamburg wollen Senat und jüdische Gemeinde dem Antisemitismus entgegentreten.
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Es gehe darum, jüdisches Leben in der Stadt „zur Normalität werden zu lassen, erfahrbar zu machen auch für diejenigen, die nicht jüdisch, aber interessiert sind“, sagte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am Dienstag nach einem Treffen mit Landesrabbiner Shlomo Bistritzky und den 1. und 2. Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Philipp Stricharz und Eli Fel, im Rathaus.
Angreifer vor der Hamburger Synagoge sei der Polizei aufgefallen
Die Hamburger Polizei schützt jüdische Einrichtungen an Feiertagen wie an Jom Kippur oder jetzt beim Laubhüttenfest eigentlich besonders. Rund um Jom Kippur hatte auch der Attentäter von Halle im vergangenen Jahr seinen Taten begangen.
Nun sagte Polizeisprecherin Sandra Levgrün dem NDR: Grigoriy K. sei den Sicherheitskräften vor der Synagoge aufgefallen. Die Objektschützer hätten sich bereits in seine Richtung bewegt, weil er ihnen komisch vorgekommen sei.
„Aber genau in dem Moment hat er dann auch schon den verdeckt getragenen Spaten gezogen und hat zum Angriff übergesetzt. Das ist, selbst wenn Polizei danebensteht, nicht immer zu verhindern“, so Levgrün. Wichtig sei, dass der Mann direkt festgenommen worden und damit weitere Taten verhindert worden seien.
Attacke antisemitisch motiviert
Der Jüdische Weltkongress hatte die seiner Ansicht nach mangelnden Sicherheitsvorkehrungen vor der Synagoge kritisiert. „Während wir dankbar anerkennen, dass die Polizei vor Ort schnell reagierte, um den Angreifer von weiterer Gewalt abzuhalten, reichte die Präsenz der Sicherheitskräfte nicht aus, den Angreifer davon abzuschrecken, jemanden schwer zu verletzen“, sagte der Vorsitzende der Organisation, Ronald S. Lauder.
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In Hamburg ermitteln das LKA und die Generalstaatsanwaltschaft gegen Grigoriy K. wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung mit mutmaßlich antisemitischem Hintergrund. Laut „Spiegel“ war er zeitweise bei der Bundeswehr. Er habe 2016 freiwillig Wehrdienst geleistet, eine dreimonatige Grundausbildung an der Waffe absolviert und später als Sanitäter gearbeitet, hieß es.
Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat das weder bestätigt noch dementiert. Der Angreifer war zuletzt in Berlin gemeldet, lebte aber in Hamburg zuletzt in Langenhorn in einer Einrichtung von "Fördern und Wohnen". Dort wurde seine Wohnung durchsucht, Laptops und USB-Sticks beschlagnahmt.
Sicherheit: "Worten müssen endlich Taten folgen"
In Nordrhein-Westfalen gibt es bereits Reaktionen auf Hamburg. „Diese Tat zeigt erneut, dass jüdische Menschen in Deutschland nicht sicher sind“, sagte der Vorstandsvorsitzende des Landesverbandes Nordrhein der Jüdischen Gemeinden, Oded Horowitz, der „Rheinischen Post“.
Er beobachte eine steigende Frequenz der antisemitischen Angriffe und einer offenen Gewaltbereitschaft. „Auch in NRW müssen die Jüdischen Gemeinden endlich mit den höchstmöglichen Sicherheitsvorkehrungen ausgestattet und gesichert werden. Wir erwarten Konsequenzen, und dass den wohlgemeinten Worten endlich Taten folgen.“
Ran Ronen, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf und zugleich Dezernent für Sicherheit im Präsidium des Zentralrates der Juden, bewertete die Gefahr in Düsseldorf als „sehr hoch“. Die Sicherheitsvorkehrungen seien seit dem Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge im Jahr 2000 gravierend verschärft worden.
CDU mahnt bei Bürgermeister Tschentscher Handeln an
Nach Einschätzung des schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzes ist Antisemitismus nicht nur in rechtsextremistischen Milieus zu finden. Er trete in unterschiedlicher Ausprägung auch in allen anderen Bereichen des politischen Extremismus auf, sagte Verfassungsschutzchef Joachim Albrecht der Deutschen Presse-Agentur. „Regionale Schwerpunkte antisemitischer Strukturen sind in Schleswig-Holstein nicht zu erkennen.“
Ein Sprecher der Hamburger Innenbehörde sagte, Antisemitismus sei grundsätzlich in allen extremistischen Phänomenbereichen verbreitet. „Es gibt jedoch wesentliche Unterschiede, wie stark er ausgeprägt ist und in welchen Formen er auftritt. Die größte Relevanz besitzt der Antisemitismus im Rechtsextremismus.“
In Hamburg erinnerte der innenpolitische Sprecher der CDU, Dennis Gladiator, daran, dass Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) schon im vergangenen Jahr einen Antisemitismus-Beauftragten angekündigt habe. "Allerdings hoffen und fordern wir den Bürgermeister auf, dass diese Ankündigung jetzt auch endlich Realität wird", so Gladiator.
Die AfD-Fraktion teilte am Dienstag mit, man habe im September 2018 einen Antrag auf einen Antisemitismus-Beauftragten gestellt, der abgelehnt worden sei. AfD-Innenpolitiker Dirk Nockemann sagte: "Wir verurteilen den abscheulichen Angriff. Es darf jetzt nicht nur Lippenbekenntnisse geben, sondern der Senat muss endlich handeln und Antisemitismus – egal welcher Couleur – bekämpfen.“