Hamburg/Köln. Er ist einer der bekanntesten Verbrecher Deutschlands – und offenbar rückfällig geworden. Wann wird Thomas Drach ausgeliefert?
Der Nimbus des hochintelligenten Superschurken, des „kriminellen Masterminds“, eilt Thomas Drach seit jeher voraus. Tatsächlich flogen seine Coups – auch die Reemtsma-Entführung – früher oder später auf, und Drach saß dann über viele Jahre dort, wo er jetzt auch wieder sitzt: hinter Gittern.
Diese beschränkte Perspektive droht ihm, nach sieben Jahren in Freiheit, nun auch wieder langfristig: Am Dienstagmorgen verhaftete die niederländische Polizei den weltberühmten Reemtsma-Entführer in Amsterdam – offenbar ließ er sich widerstandslos festnehmen. Am Mittwoch soll Drach dem Haftrichter vorgeführt werden. „Wir haben einen Auslieferungsantrag gestellt“, sagte Ulrich Bremer, Sprecher der Kölner Staatsanwaltschaft, dem Abendblatt.
Die niederländische Justiz habe nun darüber zu befinden. Je nachdem, wie sich der Beschuldigte dazu verhalte, könne er binnen weniger Tage in eine deutsche Haftanstalt verlegt werden. Sollte er Rechtsmittel einlegen, könne sich der Prozess aber auch „einige Wochen“ hinziehen.
Reemtsma-Entführer Drach wurde 2013 aus "Santa Fu" entlassen
Der 60-Jährige, im Herbst 2013 aus der JVA Fuhlsbüttel entlassen, soll von 2018 bis 2019 an drei spektakulären Raubüberfallen auf Geldtransporter in Köln und Frankfurt beteiligt gewesen sein. Weit weniger spektakulär fällt nach Abendblatt-Informationen allerdings die Beute in Höhe von insgesamt 150.000 Euro aus. Drachs Namen nannte die Staatsanwaltschaft mit Verweis auf die andauernden Ermittlungen in dem Fall allerdings nicht. Sie teilte lediglich mit: Der Beschuldigte stamme aus dem Rheinland (Drach ist in Erftstadt geboren), habe in Deutschland keinen festen Wohnsitz, außerdem sei europaweit nach ihm gefahndet worden.
Offenbar tauchte der 60-Jährige im März 2019 auf dem Radar der Ermittler auf, nachdem Drach in der Nähe des Flughafens Köln/Bonn mit Komplizen einen Geldtransporter überfallen haben soll. Ein Augenzeuge filmte den professionell vorbereiteten Coup. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Köln setzte er dabei ein Maschinengewehr ein, eine „Kalaschnikow“. Bei dieser Tat und einem weiteren Überfall nahe einer Ikea-Filiale in Frankfurt am Main am 9. November 2019 waren zwei Geldboten durch Schüsse schwer verletzt worden.
Thomas Drach soll mehrere Geldtransporter überfallen haben
Die Ermittler rechnen Drach außerdem einen weiteren bewaffneten Überfall auf einen Geldtransporter im März 2018 zu. Auch hier soll er unweit eines Ikea-Möbelhauses zugeschlagen haben, Tatort: Köln-Godorf. „In allen drei Fällen waren die Täter mit in den Niederlanden gestohlenen und mit falschen Kennzeichen ausgestatteten Autos geflüchtet, hatten diese unweit des Tatortes angezündet und die Flucht mit einem bereitstehenden zweiten Fahrzeug fortgesetzt“, so die Staatsanwaltschaft Köln.
Auch nach der Tat im März 2019 hatten die Täter den ersten Fluchtwagen angezündet. In dem völlig ausgebrannten Audi fand die Polizei später die Tatwaffe, ein Sturmgewehr der Marke AK 47. Als wahrer Glücksfall für die Kölner Ermittler erwiesen sich jedoch die Videoaufnahmen. Durch deren Auswertung und „aufwendige, zum Teil verdeckt geführte Ermittlungen“ gelang es den Beamten, die Spur des zweiten Fluchtwagens bis in die Niederlande zu verfolgen. Dieser sei inzwischen sichergestellt worden.
Keine Angaben machte die Staatsanwaltschaft allerdings zur Zahl der Mittäter – die „Bild“-Zeitung berichtete indes von zwei Komplizen. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, stellt sich vor allem eine Frage: Warum hat Drach die neuen, risikoreichen Taten überhaupt begangen? Ein Hinweis darauf, dass von den 15 Millionen D-Mark und den 12,5 Millionen Schweizer Franken Lösegeld aus der Reemtsma-Entführung nichts übrig ist? Mindestens sechs Millionen Schweizer Franken gelten weiter als verschwunden. Und zum Verbleib der Beute hat sich Drach nie geäußert.
Entführung von Jan Philipp Remtsma schrieb Kriminalgeschichte
Die Entführung des Hamburger Soziologen und Erben der Tabak-Dynastie, Jan Philipp Reemtsma, schrieb Kriminalgeschichte. Im März 1996 hatten Drach und seine Komplizen Reemtsma entführt und nach 33 Tagen wieder freigelassen. Gegen 15 Millionen D-Mark und 12,5 Millionen Schweizer Franken Lösegeld. Zwei Jahre später wurde Drach in Buenos Aires (Argentinien) gefasst und Ende 2000 in Hamburg zu vierzehneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Einen Straf-Nachschlag gab es Ende 2011, nachdem ein ehemaliger Knastkumpan auf Geheiß von Drach dessen Bruder Lutz in die Mangel nehmen sollte. Der habe nämlich seine Beute verprasst, und deshalb schulde er ihm nun 30 Millionen Euro. Wenn auch nur ein Euro fehle, so Drach, werde er „die Ratte plattmachen“.
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Dieser robuste Ton zog sich durch das gesamte Verfahren. Weil Drach aus Sicherheitsgründen während des Transports zum Gerichtssaal eine Schlafbrille tragen musste, polterte er etwa gegen die Justizbediensteten: „Ich werde nächstes Jahr einen Beamten bestrafen für die Sache mit der Brille. Ich besorge mir eine Kalaschnikow, Kaliber 5,6. Geht glatt durch.“ Am Ende eines an Kuriositäten reichen Prozesses verglich sein Verteidiger Helfried Roubicek Drach gar mit dem Schauspieler Klaus Kinski. Fragen des Abendblatts zu seinem früheren Mandanten wies Roubicek am Dienstag höflich zurück: Er sei im Ruhestand und dürfe im Übrigen zu früheren Mandatsverhältnissen keine Auskunft geben.
Wegen Anstiftung zur räuberischen Erpressung verurteilte das Landgericht Drach im November 2011 zu weiteren 15 Monaten Haft. Nach seiner Entlassung im Oktober 2013 versuchte der Schwerverbrecher aus seiner fragwürdigen Popularität Kapital zu schlagen, indem er Interviews gegen Bezahlung anbot. Danach verlor sich seine Spur im Ausland. Bis jetzt.