Vor 100 Jahren zettelte die KPD einen Aufstand an, der auch in Hamburg zu blutigen Unruhen führte. 1923 folgte ein neuer Versuch.
Die Bombe ist perfekt platziert, die Sprengkapsel scharf, die Zündschnur bereits angesteckt. Doch Sekunden bevor die Siegessäule im Zentrum Berlins in die Luft fliegen soll, entdecken zwei Schutzpolizisten den Pappkarton mit dem Aufdruck „Dr. Oetkers Saucenpulver“ auf halber Höhe im Inneren des Denkmals – und trennen die Lunte gerade noch rechtzeitig ab.
Der hastige Schnitt bewahrt das weltbekannte Denkmal preußischen Ruhms vor der Vernichtung durch sechs Kilo Dynamit und Pikrin. Doch das Signal geht auch ohne den großen Knall hinaus ins Reich: Erst in Sachsen, dann in Hamburg bricht 1921 der März-Aufstand der deutschen Kommunisten los.
Räterepublik in Hamburg ein Jahr an der Macht
In der Hansestadt hat ein Arbeiter- und Soldatenrat schon im November 1918 eine Räterepublik ausgerufen. Sie hält sich bis März 1919 an der Macht. Auch in Berlin, München und anderen Städten scheitern linke Revolutionäre, geben aber nicht auf. Ebenso wenig wie ihre nationalistischen Gegner, die im März 1920 den Putsch des rechtsextremen Politikers Wolfgang Kapp unterstützen. In Hamburg werden sie nach Schießereien von der Polizei und einer SPD-nahen Einwohnerwehr vertrieben.
Die große Hoffnung der gescheiterten Räterepublikaner ist 1921 die drei Jahre zuvor gegründete Kommunistische Partei Deutschlands unter ihren charismatischen Anführern Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Die Ermordung der beiden Politiker im Januar 1919 kann ihre Gefolgsleute nicht entmutigen. Sie scharen sich nun um den populären Hamburger Ernst Thälmann.
Bombenleger von Siegessäule sind KPD-Mitglieder
Die Bombenleger von der Siegessäule sind militante KPD-Mitglieder aus Berlin-Neukölln. Die Partei will mit einem Putsch in ganz Deutschland die Macht an sich reißen. Die größten Chancen rechnet sich die Führung allerdings in Sachsen und in Hamburg aus, wo viele Arbeiter schon seit Jahrzehnten roten Fahnen folgen.
Im Industriebezirk Merseburg und im Mansfelder Kohlerevier rücken nach ersten Unruhen am 16. März starke Verbände der Schutzpolizei ein. Denn, so Sachsens Oberpräsident Otto Hörsing (SPD): „Wilde Streiks, Raub und Plünderungen werden von Banden- und Einzeldiebstählen, Terror und Sachbeschädigungen, Erpressungen und Körperverletzungen in der letzten Zeit abgelöst. In der Industrie finden ungeheure Diebstähle an Holz, Kohlen, wertvollen Materialien, Silber, Kupfer, Erzen, die in die Millionen gehen, Tag für Tag statt.“
Hamburger KPD-Blatt ruft zum Generalstreik auf
In Mansfeld wird daraufhin ein Generalstreik proklamiert. In Hamburg aber ruft die kommunistische Presse am 19., am 21. und noch einmal am 22. März zur Besetzung der Betriebe und zum Sturz der Regierung auf. Der Anschlag auf das Berliner Ruhmesdenkmal für den verhassten Preußenstaat gießt Öl ins Feuer.
Einen Tag später kommt es auch in der Hansestadt zum Putsch. „Beschafft euch Waffen! Tretet sofort in den Generalstreik!“, schlagzeilt das KPD-Blatt „Hamburger Volkszeitung“. Die Sektion Hamburg der Kommunistischen Internationale fordert alle Linken zu einer Massenkundgebung auf dem Heiligengeistfeld auf. Doch die Sozialdemokraten halten sich fern, und die Polizei blockiert die Zugangswege.
Auf den besetzten Werften werden rote Fahnen gehisst
Erfolg hat die „Märzaktion“ nur an der Elbe. Schon am Morgen sind einige Hundert Arbeitslose unter Führung kommunistischer Bürgerschaftsabgeordneter zu Blohm + Voss und auf die Vulkanwerft gezogen. Sie sollen die Betriebe mit den Arbeitern übernehmen. Nach einer solidarischen Arbeitsniederlegung werden die Werften tatsächlich besetzt und rote Fahnen gehisst. Doch nur ein kleiner Teil der Belegschaft ist auf Dauer zum Streit bereit. Die Polizei, durch Informanten auf dem Gelände rasch alarmiert, riegelt sofort die Werksgelände ab und versucht, die Aufständischen auszuhungern.
Im Rathaus wird gerade der neue Senat eingesetzt. Die Polizei sichert das Gebäude mit Spanischen Reitern, zieht Stacheldraht um das Heiligengeistfeld und blockiert die Straßenbahn. Auf anderen Plätzen sammeln sich Zuschauer um Postenketten und Panzerwagen.
Schüsse am Holstenplatz und n Ellernholzbrücke
Bei Büroschluss wird die Menge zu groß, und die Polizei will sie zerstreuen. Doch gegen 17 Uhr fällt am Millerntor ein Schuss, die Kugel trifft einen Polizisten tödlich. Damit ist die Chance, den Aufstand friedlich einzuschläfern, vorbei. Wütende Polizisten feuern auf fliehende Menschen.
Auch am Holstenplatz und an der Ellernholzbrücke im Hafen wird geschossen. Am nächsten Tag zählt das „Fremdenblatt“ 30 Tote. Das „Hamburger Echo“ empört sich über den Spruch „Wenn Hamburg brennt, brennt die Welt“: Dieses pseudo-revolutionäre Motto sei „offenkundiger, hirnverbrannter Wahnsinn“.
Werften entlassen alle Arbeiter
Wirtschaft und Verwaltung reagieren schnell: Die Werften schließen die Betriebe und entlassen alle Arbeiter. Der Senat verhängt „infolge der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch gewissenlose Elemente“ den Ausnahmezustand. Schon nach ein paar Stunden ist der Putsch gescheitert.
In Geesthacht aber wird weitergekämpft. Dort hat Alfred Nobel 1865 seine erste Sprengstoffproduktion außerhalb Schwedens gebaut.
„Der Bahnhof ist von den Kommunisten besetzt"
„Etwa 1500–2000 Kommunisten haben sich in den Besitz der Dynamit-Fabrik Geesthacht, etwa 10 Kilometer südöstlich Bergedorf a. Elbe, gesetzt (gehört zum Hamburger Freistaat)“, meldet Robert Weismann, Preußischer Staatskommissar für öffentliche Ordnung, an Reichskanzler Constantin Fehrenbach. „Der Bahnhof ist von den Kommunisten besetzt, der Wasserschutz ist entwaffnet. Kommunisten, ausgerüstet mit schweren Maschinengewehren, haben in der Umgegend von Groß-Hamburg, und zwar in Lauenburg und Bergedorf, Kampfstellungen bezogen.“
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Die Gegenmaßnahmen der Hanseaten und Preußen: „Ein Kommando der Hamburger Schutzpolizei in Stärke von 4 Hundertschaften und eine halbe Hundertschaft der Fliegerstaffel Lübeck und 3 Panzerwagen sind nach Geesthacht unterwegs, um die Lage wiederherzustellen“, schreibt die 7. Verordnung des Reichspräsidenten vom 26. März 1921. „Die Ausdehnung des Ausnahmezustandes auf die Kreise Stormarn und Lauenburg ist vom Oberpräsidenten in Kiel verfügt worden.“
Streiks brechen in Hamburg und Sachsen zusammen
Drei Tage lang können kommunistische Patrouillen die Betriebe besetzt und die Ordnungskräfte auf Distanz halten. Aber als nach Hamburg auch in Sachsen Streiks und Widerstand zusammenbrechen, tauchen die Anführer der bewaffneten Revolution ab. Das Ergebnis ihrer Gewaltaktionen ist eine Spaltung und Schwächung der sozialistischen Parteien. Die KPD verliert fast die Hälfte ihrer Anhänger, und die SPD fordert die „Arbeitsbrüder“, die „Kopf- und Handarbeiter“ auf, sich nicht „verbrecherisch zu wahnsinnigen Putsch-Experimenten“ missbrauchen zu lassen.
Am 1. April 1921 ist der rote Spuk zunächst vorbei, auf den Werften wird wieder gearbeitet, und die Unternehmer nutzen die Gelegenheit zur Entfernung politisch Andersdenkender aus ihren Betrieben. Die KPD unter Ernst Thälmann aber gibt sich noch keineswegs geschlagen. Im Oktober 1923 begehrt sie wieder auf – und scheitert erneut blutig.