Hamburg. Er hatte Ex-Frau und Sohn in Brand gesetzt. Urteil fiel milder aus als von der Staatsanwaltschaft beantragt. Das sagte der Richter.
Sein Sohn flehte um sein Leben. Seine Ex-Frau beschwor ihn: „Bitte tu mir nichts vor den Kindern.“ Doch Kalender E. war auch für inständige Beschwörungen seiner Familie nicht mehr erreichbar. Der 50-Jährige wollte sterben. Und er wollte die, die er für sein persönliches Scheitern verantwortlich machte, leiden sehen. Er übergoss seine Ex-Frau und den zehnjährigen Sohn mit Benzin und zündete sie an. Die Opfer haben mit sehr viel Glück überlebt — aber sie sind für den Rest ihres Lebens gezeichnet, wund an Körper und Seele.
Für diese Tat vom 1. Mai vergangenen Jahres wurde gegen Kalender E. jetzt vom Schwurgericht die lebenslange Freiheitsstrafe verhängt. Nach Überzeugung der Kammer ist der aus der Türkei stammende Angeklagte unter anderem wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung schuldig.
Feuerdrama in Lurup: Frau und Sohn in Flammen
„Wer einen Menschen mit Benzin überschüttet“, sagt der Vorsitzende Richter Matthias Steinmann an die Adresse des Angeklagten, „der weiß, dass der andere Mensch verbrennen, mithin sterben kann.“ Der Täter könne „nicht ernsthaft drauf vertrauen, dass das Opfer sich schon selber schützen kann, und alles wird gut.“
Es wurde eben überhaupt nichts gut. Es war vielmehr eine Katastrophe, die sich in einem Luruper Mehrfamilienhaus abspielte. Eine Wohnung brannte lichterloh, drei Menschen standen darin in Flammen. Eine Familie wurde zerstört, Mutter und der zehnjährige Sohn überlebten das Feuerdrama nur wegen der schnellen Hilfe der Rettungskräfte und durch hohe ärztliche Kunst.
Angeklagter wurde selber lebensgefährlich verletzt
Dass sie gerettet werden konnten, sei „ein Wunder“ gewesen, betont der Richter. Die Tochter von Kalender E. hatte sich indes auf den Balkon retten können, schrie dort in Panik um Hilfe und erlitt eine schwere Rauchvergiftung. Und auch Kalender E., der Mann, der mit Benzin und Feuerzeug hantierte, wurde selber lebensgefährlich verletzt. Die Verbrennungen, die der Mann unter anderem am Oberkörper erlitt, haben bis heute deutlich sichtbare Spuren hinterlassen.
Was der 50-Jährige jetzt, während der Richter mahnende, sehr eindringliche Worte spricht, empfindet, ist dem Angeklagten nicht anzumerken. Äußerlich reglos sitzt er da, oft mit halb geschlossenen Augen, wie betäubt. Die Staatsanwaltschaft hatte lebenslange Haft und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld gefordert, die Verteidigung maximal acht Jahre beantragt.
Mutter und Sohn werden Leben lang unter Verletzungen leiden
„Was ist das für ein Vater, der seinen Sohn anzündet?“ Diese Frage, vom kleinen Sohn des Täters gegenüber Vernehmungsbeamten und auch im Prozess formuliert, drückt das Unfassbare dieses Verbrechens aus. Mutter und Sohn werden ihr gesamtes zukünftiges Leben unter den schweren Brandverletzungen zu leiden haben.
Ärzte hatten sie in ein künstliches Koma versetzt, beide wurden mehrfach operiert, auch der 50-Jährige selber. Nachbarn hatten seinerzeit der Polizei geschildert, Kalender E. habe in Flammen auf einem der beiden Balkone gestanden und gerufen: „Ihr sollt in der Wohnung verbrennen!“
50-Jähriger hatte auf Versöhnung mit seiner Frau gehofft
Kalender E. war 1999 nach Deutschland gekommen, hat fünf Jahre später eine Frau geheiratet, die aus demselben Dorf wie er stammte, das Paar bekam zwei Kinder. Die Familie lebte lange von staatlicher Unterstützung, irgendwann kam es zu Übergriffen des Ehemanns auf seine Frau, sie ließen sich scheiden. Und doch hatte der 50-Jährige wohl die Hoffnung, es könne noch zu einer Versöhnung kommen. Als er im April vergangenen Jahres unmissverständlich gesagt bekam, dass dies nicht geschehen werde, fasste der Familienvater den Entschluss, sich zu töten — und seine Familie zu bestrafen.
Zu seiner Frau hatte Kalender E. gesagt: „Ich habe dir die Kinder gegeben. Ich kann sie dir auch wieder nehmen.“ Diese Aussage spiegele die „ichbezogene, archaische Denkweise“ des Angeklagten wider, sagt der Vorsitzende Richter.
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Angeklagter hatte Benzin an einer Tankstelle gekauft
Kalender E. hatte die Tat geplant. Am Tag vor dem Attentat auf seine Familie hatte er sich an einer Tankstelle Benzin besorgt. Als er dann zu der Wohnung seiner von ihm getrennt lebenden Familie kam, dachte der Sohn zunächst freudig, der Vater wolle ihn für eine Unternehmung abholen. Doch der Mann hatte Böses im Sinn, Zerstörerisches.
Durch einen Trick erreichte er, dass seine Ex-Frau ihm arglos die Tür öffnete, dann verletzte er sie zunächst mit einem Rasiermesser am Hals, wobei es nach Überzeugung des Gerichts nur dem Zufall zu verdanken ist, dass er nicht ihre Schlagader durchtrennte. Dann übergoss er die Frau und den Sohn mit dem Benzin, schließlich auch sich selbst und zündete alle an. „Alles wegen deiner Mutter“, meinte er noch zu seinem Jungen. Das zeigt, dass er die Schuld für das Drama nicht bei sich sucht – sondern bei anderen.
Richter: "Unmenschlich, herzlos und grausam"
„Mein Vater will meine Mutter umbringen“, rief die schockierte Tochter seinerzeit vom rettenden Balkon aus in einem Notruf an die Polizei. „Er hat sie in Brand gesteckt.“ Der kleine Sohn erstickte die Flammen, die seinen Körper erfasst hatten, geistesgegenwärtig, indem er sich auf dem Teppich hin und her rollte und sich dann unter die Dusche flüchtete. Alle Familienmitglieder konnten schließlich von Rettungskräften aus dem brennenden Haus gerettet werden.
Familiendrama: Vater zündet Sohn und Ex-Frau an
Kalender E. hatte über seine Tat gesagt, er habe sich selber umbringen wollen. „Ich habe mich wertlos gefühlt und dachte, alles verloren zu haben“, hatte er geschildert. Er habe indes niemals den Tod seiner Familie gewollt. Er habe sie nur in Brand gesetzt, um sie zu verletzen. Plötzlich sei sein Verstand ausgeschaltet gewesen. Dies wertet das Gericht als Schutzbehauptung. „Nicht der Verstand war ausgeschaltet“, so der Richter, „sondern das Herz blieb ausgeschaltet und stumm.“ Wer andere mit Benzin überschütte und anzünde und Menschen bei lebendigem Leib brennen sehen wolle, der handele „unmenschlich, herzlos und grausam“.