Hamburg. Prozess gegen den 50-Jährigen wegen vierfachen Mordversuchs hat begonnen. Notruf der Tochter wird im Gerichtssaal abgespielt.
„Ihr sollt in der Wohnung verbrennen.“ Wie viel Hass muss im Spiel sein, wenn jemand gegenüber seinen engsten Angehörigen so eine Drohung ausspricht? Wenn jemand den eigenen Kindern und der Frau, mit der er viele Jahre verheiratet war, einen grausamen Tod wünscht? Familienvater Kalender E. soll genau dies angekündigt und darüber alles unternommen haben, um seinen Fluch in die Tat umzusetzen. Die Folge: Der Sohn und die geschiedene Frau des 50-Jährigen standen in Flammen und sind nur knapp einem Tod durch das Feuer entkommen. Doch sie sind so massiv verletzt, dass sie wohl den Rest ihres Lebens leiden werden. Auch die Tochter erlitt schwere Verletzungen.
Die Tat vom 1. Mai diesen Jahres, als offenbar eine Familie ausgelöscht werden sollte, hatte in Hamburg für Entsetzen gesorgt. Vor dem Schwurgericht sitzt jetzt mit Kalender E. ein Angeklagter, dem unter anderem mehrfacher versuchter Mord und schwere Brandstiftung vorgeworfen werden.
Prozess: Angeklagter übergoss Sohn und Ex-Frau mit Benzin
Der in der Türkei geborene Mann soll sich seinerzeit durch eine List Zutritt zur Wohnung seiner geschiedenen Ehefrau und der gemeinsamen Kinder an der Luruper Hauptstraße verschafft haben. Dort, so die Anklage, stach der 50-Jährige seiner zehn Jahre jüngeren Ex-Frau in Tötungsabsicht mit einem Rasiermesser dreimal in Hals und Nacken. Der zehn Jahre alte Sohn sprang darauf seinem Vater gegen den Rücken, um seine Mutter aus der Notlage zu befreien.
Nun übergoss Kalender E. nacheinander den kleinen Sohn, seine Frau und die zwölf Jahre alte Tochter mit Benzin und entzündete es. Das Mädchen konnte sich auf den Balkon flüchten, bevor die Flammen sie erfassten. Doch der Sohn und die Mutter gerieten in Brand. Der Zehnjährige konnte das Feuer an seinem Körper selber löschen, indem er sich geistesgegenwärtig auf dem Teppich hin und her rollte und dann in der Badewanne abduschte.
Familienvater verfolgt Anklageverlesung mit starrer Miene
Sohn und Mutter erlitten schwerste Inhalationstraumata und lebensbedrohliche Verbrennungen vor allem am Oberkörper und im Gesicht. Die Tochter, die der Angeklagte noch vom Balkon in die Wohnung hatte zurück locken wollen, um sie ebenfalls zu entzünden, erlitt eine Rauchgasvergiftung. Das Mädchen wurde von Einsatzkräften gerettet.
Mit starrer Miene verfolgt der des mehrfachen Mordversuchs Verdächtige Kalender E. die Anklageverlesung, er trägt eine hoch geschlossene Jacke und eine Mütze. Soll die Kopfbedeckung Wunden verbergen, die der 50-Jährige selber in dem Feuer erlitten hat? Auch der Familienvater selber stand an jenem Tag zuletzt in Flammen. Gut dreieinhalb Monate wurde er in einer Spezialklinik behandelt, seitdem ist er in der Krankenstation des Untersuchungsgefängnisses untergebracht. Derzeit werde sich sein Mandant noch nicht zu den Vorwürfen äußern, sagt Verteidiger Tim Burkert.
Nach Mordversuch: Ex-Frau und Kinder in schlechter Verfassung
Laut Ermittlungen beging der Angeklagte den Mordanschlag auf seine Familie, weil ihm seine geschiedene Ehefrau in den Tagen vor dem 1. Mai wiederholt bestätigt habe, dass die Trennung für immer sei. Am nächsten Prozesstag wird die 40-Jährige als Zeugin gehört werden — aber über Videovernehmung von außerhalb des Verhandlungssaals.
Jenem Mann gegenüber zu treten, der den Ermittlungen zufolge alles dran setzte, um sie in Flammen sterben zu sehen, kann der Frau nach Überzeugung von Ärzten nicht zugemutet werden. Ihr gehe es sehr schlecht, so die Fachleute. Körperlich, nachdem 35 Prozent ihrer Haut verbrannt sind, und auch psychisch. Ihre „Gedanken kreisen ständig“ um das Erlebte, heißt es. Auch die Kinder seien in sehr schlechter Verfassung.
Notruf der Tochter: „Mein Vater ist gekommen, das Haus brennt“
Welchen Terror, welche Angst, welches Entsetzen Kalender E. offenbar am Tattag bei seiner Familie verbreitete, lässt ein Notruf erahnen, mit dem die Tochter die Polizei alarmierte und der jetzt im Prozess abgespielt wird. „Mein Vater ist gekommen, das Haus brennt“, schreit die Zwölfjährige in Panik. „Er hat die Wohnung in Brand gesteckt. Bitte kommen Sie, sofort!“ Dann hört man das Mädchen nur noch schwer atmen. Weitere Notrufe von Nachbarn gingen an die Feuerwehr. „Ein Mann steht auf dem Balkon. Es brennt ein Mann. Er schreit die ganze Zeit“, rufen atemlose Zeugen ins Telefon.
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Ein Polizeibeamter, der als einer der ersten am Tatort war, schildert, wie Nachbarn den Brandanschlag wahrgenommen haben. Sie erzählten dem Beamten, der 50-Jährige habe gerufen: „Ihr sollt in der Wohnung verbrennen!“ Der mit einem Messer bewaffnete Mann soll auch Flüchteten den Weg aus dem Haus versperrt haben. V
Vom Gebäude gegenüber konnte der Polizist schließlich Kalender E. auf dem Balkon der brennenden Wohnung seiner Familie beobachten. Der 50-Jährige sei schwer verletzt gewesen, die verbrannte Haut vor allem am Kopf sichtbar. „Er sprach vor sich hin“, manchmal habe er die Arme erhoben, erinnert sich der Polizist an das Gebaren von Kalender E. Der Mann sei rastlos gewesen, habe sich immer wieder hingesetzt und sei wieder aufgestanden. Und manchmal habe er auch „zum Himmel“ geschrien.