Zweiter Weltkrieg: Riesige Attrappen auf dem Wasser sollten vor 80 Jahren britische Bomberpiloten in die Irre führen.

Das großflächige Wohngebiet im Zentrum Hamburgs mit Häusern, Straßen und Kanälen besteht nicht aus Beton und Asphalt, sondern aus Holzplanken, Tarnnetzen, Stoffbahnen und Reet. Die breite Brücke am Rand ist nicht aus Stein und Eisen, sondern aus Draht und Pappe gebaut. Die Binnenalster liegt scheinbar viel weiter nördlich, und der Hauptbahnhof ist offenbar verschwunden.

Gigantisches Täuschungsmanöver auf der Alster

Vor 80 Jahren, am 18. Juli 1941, überraschen britische Zeitungen ihre Leser mit verblüffenden Bildern. Denn mit neuen Luftaufnahmen ist die britische Aufklärung einem gigantischen Täuschungsmanöver auf die Spur gekommen: Umfangreiche Tarnmaßnahmen verstecken die Binnenalster und lassen weiter nördlich eine gleich große Wasserfläche der Außenalster frei. Dort sollen Bomber ihre tödliche Fracht wirkungslos ins Wasser werfen.

Echt sind nur ein paar kleine, künstliche Inseln in der Mitte der Außenalster. Auf ihnen lauert eine Flakbatterie mit acht Geschützen. Die zwei Meter dicken Betonplatten stehen auf Rammpfählen, sind über Holzstege mit dem Ufer verbunden und bieten freies Schussfeld nach allen Seiten.

Vorbereitung der Tarnaktion begann im Reich schon 1937

Die Tarn-Idee ist nicht neu, die Vorbereitungen laufen schon lange: Bereits 1937 experimentieren die Deutschen auf zwei Versuchsanlagen im westfälischen Hamm in Westfalen und im brandenburgischen Pausin mit Anlagen zur Täuschung von Bomberpiloten. Die Vorschrift „Bau- und Betriebsgrundsätze für Scheinanlagen“, herausgegeben von Hermann Göring als Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, listet die topografischen Vorbedingungen auf und enthält Bauanleitungen von 21 Täuschungsgeräten für die Nacht.

Ein Foto der mit Holzattrappen überbauten Binnenalster.
Ein Foto der mit Holzattrappen überbauten Binnenalster. © Unbekannt | ullstein bild

16 Kilometer elbabwärts steht eine beleuchtete Tarnanlage, die der Hamburger Binnenalster gleicht. Als sich Piloten zu einem Angriff auf die Holzimitation verleiten lassen, wird allerdings Wedel schwer getroffen. Die „Kruppsche Nachtscheinanlage“ bei Velbert wiederum zieht als Attrappe der Essener Krupp-Gussstahlfabrik Sprengbomben und über 5000 Stabbrandbomben auf sich. Denn ihre Scheinsignalraketen ahmen die von den Engländern zur Orientierung abgeworfenen Zielmarkierungen („Christbäume“) perfekt nach.

Auch im Hamburger Umland gibt es Tarn- und Scheinanlagen

Tagesscheinanlagen dagegen sind deutlich schwieriger zu bauen, denn sie erfordern einen ungleich höheren Aufwand. Bei Lauffen am Neckar soll 1940 ein täuschend echtes Gleisvorfeld mit dem Codenamen „Brasilien“ Bomber vom Stuttgarter Hauptbahnhof ablenken. Über 100 Spreng- und 1500 Splitterbomben fallen dort auf Äcker und Wiesen.

Im nördlichen Hardtwald bauen Pioniere die Stadtattrappe „Venezuela“ mit dem bekannten Karlsruher Fächergrundriss auf. Die Scheinanlage zum Schutz des Fliegerhorstes Schwäbisch Hall-Hessental heißt „Costarica“. Und auch die Tarn- und Scheinanlagen am Fliegerhorst Uetersen, auf dem Luftangriffe nach Dänemark und Norwegen starten, verwirren feindliche Flieger immer wieder.

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Luftangriffe der Briten kosten 48.000 Hamburger das Leben

Ähnliche Erfolge erhofft sich die Nazi-Führung auch in Hamburg. Der Aufwand ist beträchtlich. Die gesamte Fläche der Binnenalster mit ihren fast 600 Metern Länge und Breite wird mit großen, bemalten Flößen bedeckt, auf denen Attrappen ein dicht besiedeltes Wohngebiet vortäuschen, wie es die Engländer damals besonders gern attackieren: Die Luftangriffe der Nazis auf London und Industriestädte wie Coven­try forderten rund 50.000 Todesopfer, die britischen und amerikanischen Bomben kosteten 600.000 Deutsche das Leben. Allein in Hamburg gab es über 48.000 Tote.

Ohne die Tarnbauten auf der Alster – sogar ein kleines Wäldchen ist dabei – wären es wohl noch mehr Opfer gewesen. Denn obwohl die Tricks bald durchschaut sind, können sie die Piloten besonders bei schlechtem Wetter weiter verwirren und machen es ihnen schwer, aus 4000 bis 6000 Metern Höhe die echten Ziele zu identifizieren.

Flaksoldaten und -helfer sind am Schwanenwik untergebracht

Mitte März 1941 ist die Scheinanlage etwa zur Hälfte, die falsche Lombardsbrücke bereits zum größten Teil fertig. Am 8. April 1941 sind die Tarnmaßnahmen dann endlich komplett. Erst später beginnen die Rammarbeiten für die Betonplattformen der Flakbatterie. Am Freibad Schwanenwik entstehen Fernmelde-, Unterkunfts- und Aufenthaltsbaracken für die Flaksoldaten und die Flakhelfer, oft Oberschüler aus der Umgebung.

Am 27. Mai 1942 sind die Verbindungen auf Rammpfählen einsatzbereit. Bei Alarm hetzen die Mannschaften 800 bis 1000 Meter zu den Geschützen. Jede Stellung ist mit hölzernen Splitterschutzwänden, gefüllt mit Ziegelsteinen, umgeben. Granaten und Geschützrohre reisen auf umgebauten Schuten vom „Kleinen Fährhaus“ in Harvestehude zur Batterie.

Im Winter 1941wurde sogar die zugefrorene Außenalster getarnt. Dort lag auch eine Flakinsel.
Im Winter 1941wurde sogar die zugefrorene Außenalster getarnt. Dort lag auch eine Flakinsel. © Ullstein | Hugo Schmidt-Luchs

Die Flakinsel wird von einem Drahtgeflecht auf einem Lattengerüst getarnt. In den Maschen stecken Blätter aus Blech. Dazu kommen Reetmatten, wie sie damals im Hausbau noch üblich sind. Die Batterie schießt mit sechs 8,8-cm-Geschützen, ab Ostern 1943 mit vier elektrisch betriebenen 10,5-cm-Geschützen. Auf Tiefflieger feuern zwei zentrale 2-cm-Flakgeschütze. Ein weiteres leichtes Flakgeschütz steht auf einem Hochhaus an der Binnenalster.

Gauleitung im späteren US-Konsulat eingerichtet

Der Name „Bürgermeister-Krogmann-Stellung“ verrät einen wichtigen Zweck der Flakinsel: Seit 1933 haben sich am Harvestehuder Weg die Nazis eingenistet. Gauleiter und Reichsstatthalter Karl Kaufmann richtet die Gauleitung in einer großen Villa Am Alsterufer 27, dem späteren US-Konsulat, ein. Die Reichsstatthalterei sitzt in der heutigen Musikhochschule.

Andere Alstervillen dienen dem Reichsgaupropagandaamt, der SS-Gruppenführung, der SA-Obergruppe, Dienststellen der Wehrmacht, der Kriegsmarine und einem Luftwaffenstab als Dienstgebäude. Der Namensgeber der Flakinsel, Carl Vincent Krogmann, tritt 1933 nach seiner Wahl zum Bürgermeister in die NSDAP ein, übergibt die Stadt am 3. Mai 1945 an die Briten, wird drei Jahre lang interniert und macht danach in Hamburg einen Holzgroßhandel auf.

Auch die Angreifer nutzen Täuschungsmanöver

Die Scheinanlage auf der Alster funktioniert nur, bis die Bomber 1943 ihre Zielführung durch die neuen Radargeräte verbessern. Schon vorher machen der Flak Täuschungsmethoden der Angreifer zu schaffen: „Sie haben schon von Stade an Stanniolstreifen abgeworfen und damit unsere damaligen Funkmessgeräte, ähnlich wie Radargeräte, außer Gefecht gesetzt“, erinnert sich ein Flakhelfer.

„Als die ersten Bomben fielen und überall die Brände auftauchten, waren auch die optischen Geräte nicht mehr einsatzbereit. Das heißt also – man darf es heute ruhig sagen –, wir haben in die Luft geschossen ohne eine Ortung.“ Die Bomben legten große Teile der City in Trümmer. Der Hauptbahnhof wurde so stark beschädigt, dass er nach Kriegsende fast abgerissen worden wäre.