Hamburg. 11.500 Impfgegner demonstrierten am Sonnabend in Hamburg. Sie geben sich gern bürgerlich, doch ihre Parolen sind radikal.

Es gibt derzeit in Hamburg zwei Zahlen rund um die Corona-Pandemie, die nur eine Tendenz zu kennen scheinen, die nach oben: Zum einen die Sieben-Tage-Inzidenz, die sich inzwischen rapide der Marke von 350 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen nähert, ab der Kneipen, Bars und Clubs wieder schließen müssten. Zum anderen die Zahl der Querdenker, Impfgegner und Corona-Leugner, die gegen die vermeintliche "Tyrannei" der Corona-Regeln auf die Straße gehen. Am Sonnabend waren laut Polizei Hamburg 11.500 bei der Demonstration, nach 8000, 5000 und 3000 in den vorangegangenen Wochen.

Nach Einschätzung der Behörden sei der Protest nicht von Radikalen geprägt, sondern habe einen insgesamt "bürgerlichen" Charakter. Tatsächlich sieht der überwiegende Teil aus, wie man eben aussieht als "normaler Deutscher": jung, alt, Familien, viele Einzelpersonen jeder Hautfarbe. Dazu gesellen sich Randerscheinungen wie Neonazis, Esoterik-Hippies, Bibelverteiler und andere christliche Sektierer. Alles andere als bürgerlich ist aber der Tonfall der Demonstranten: Die Forderung "Tschentscher komm raus, wir klären das", die von einem der Lautsprecherwagen schallt, die die Demo nahezu durchgängig mit Halbwahrheiten, wüsten Theorien und aus dem Zusammenhang gerissenen Zahlen versorgen, wird begeistert aufgegriffen.

Corona Hamburg: Querdenker sehen sich als Opfer "der Tyrannei"

Auch der Schlachtruf "Widerstand", den man eher von Demos ganz am rechten Rand kennt, ist vielfach zu hören. In dieselbe Kerbe schlägt der Vergleich eines Redners, Clubs und Geschäfte würden "besser bewacht als unsere Grenzen", was er "volksverachtend" nennt. Es wird die Absetzung des Bürgermeisters und des Senats gefordert, ebenfalls ein Grund zum Jubeln. Hartnäckig wird auch der Opfermythos geschürt, der die an sich ziemlich heterogene Masse zusammenhält: Sie befänden sich als Ungeimpfte in den Fängen der "Tyrannei", der es um nichts weniger gehe als die "totale Kontrolle".

Insgesamt 11.500 Menschen nahmen am Sonnabend an einer Demonstration gegen die Corona-Regeln teil.
Insgesamt 11.500 Menschen nahmen am Sonnabend an einer Demonstration gegen die Corona-Regeln teil. © Markus Scholz

Und auch die Maskenpflicht, die am Sonnabend erstmals bei der Demonstration gilt, ist natürlich nichts als Schikane. Schon vor dem Start der Demo gegen 16 Uhr gibt es via Lautsprecher Tipps wie den, sich einfach ein Stück weit vom Protestzug zu entfernen, "dann seid ihr keine Demonstranten, sondern Passanten". Dass trotzdem zumindest in der ersten Hälfte der Demonstration die Zahl der Maskenträger bei weitem überwiegt, ist dem Vorgehen der Polizei geschuldet.

Maskenpflicht bei Coronaleugner-Demo: Polizei kontrolliert Einhaltung

Die kontrolliert die Blöcke zu je 300 Menschen, in die die Demonstration im Rahmen des Hygienekonzepts aufgeteilt wird, mit insgesamt 800 Beamten. Ist die Zahl der Maskenverweigerer zu groß, geht es für den Block nicht weiter. Speziell zu Beginn des Protestzugs haben auch die Veranstalter ihre Mühe, den Teilnehmern verständlich zu machen, dass der Umzug nicht starten wird, wenn keine Masken aufgesetzt werden. Erst nach sechs Hinweisen darauf, dass man die "sinnlose Maskenpflicht", für die es "keinerlei medizinische Notwendigkeit" gebe, trotzdem einhalten müsse, darf sich die Demonstration um 16.30 Uhr endgültig in Bewegung setzen. Zweieinhalb Stunden später wird der Spuk vorerst beendet sein. Den nächsten Termin Anfang Januar haben sie sich aber bereits gesichert.

Viele derer, die kontrolliert werden, weil sie keine Maske tragen, haben laut Polizeisprecher Holger Vehren ein Attest dabei, das ihnen bescheinigt, aus medizinischen Gründen von der Maskenpflicht befreit zu sein. Die Atteste, deren Echtheit unmöglich spontan zu überprüfen ist, werden von den Beamten dokumentiert. Wer kein Attest vorweisen kann und sich trotzdem weigert, wird von der weiteren Teilnahme an der Demo ausgeschlossen und muss mit Bußgeldern rechnen.

Je später der Abend, desto häufiger verrutscht die Maske

So groß ihr Durchhaltevermögen beim irrationalen Protest gegen die Corona-Impfung ist: Was das Tragen der Masken angeht, knickt der gemeine Querdenker schon nach kurzer Zeit ein. Sind keine Polizeibeamten mehr in Sicht, wandert die Maske rasch unters Kinn oder wird gleich ganz abgenommen, diese Tendenz lässt sich spätestens nach der Hälfte der rund drei Stunden, die die Demo dauert, beobachten. Das ist die wohl am weitesten verbreitete Form des "Widerstands" der Demonstranten.

Gegen 19 Uhr beendete der Veranstalter die Demonstration.
Gegen 19 Uhr beendete der Veranstalter die Demonstration. © HA | Alexander Josefowicz

Widerstand gegen den Umzug gibt es kaum auf der Straße: Zwar sind vier Gegendemonstrationen angemeldet, doch mehr als ein paar Dutzend Teilnehmer hat keine. Eine Gruppe von 15 bis 20 Störern hat laut Polizei den Demozug an der Ecke Jungfernstieg/Neuer Jungfernstieg attackiert. Bei der anschließenden Flucht haben die Täter eine unbeteiligte 90-jährige Frau überrannt, die stürzte und sich ein Bein brach. Insgesamt seien zwei Personen vorläufig fest-, zwei weitere in Gewahrsam genommen, so die Polizei. Abgesehen davon bleibt die Demonstration friedlich; zumindest, was körperliche Auseinandersetzungen angeht.

"Impfzwang ist Faschismus" – die radikale Rhetorik des "bürgerlichen" Protests

Rhetorisch stehen die Zeichen jedoch auf Sturm: Eine Gruppe angeblicher Pflegerinnen trägt ein Transparent mit der Aufschrift "Lieber gefeuert als geimpft", ein anderer hat ein Schild, auf dem das "Ende der Demokratie" für den 1. Februar 2022 prophezeit wird. "Stoppt den Pharma-Terrorismus", "Covid 1984" oder "Impfzwang ist Faschismus" steht auf weiteren. Kostenlos versorgt mit großen Bannern mit Parolen wie "Nur wir können es beenden" oder "Glaube wenig – prüfe alles – denke selbst", die an der Spitze der Blöcke gezeigt werden, werden die Demonstranten von den Organisatoren.

"Glaube wenig – prüfe alles – denke selbst" steht auf einem Transparent. © HA | Alexander Josefowicz

Aber, das betonen die Stimmen aus den Lautsprechern immer wieder, sei man ja "friedlich". Provozieren, das würden nur die anderen, keinesfalls aber die Menschen die "Frieden - Freiheit - Selbstbestimmung" rufen – und danach einem Redner applaudieren, der die Medien als "Goebbels Erben" bezeichnet und der Polizei vorwirft, sie würde "seit zwei Jahren einen Staatstreich unterstützen". Das geht nun auch seinen Mitstreitern zu weit, die den echauffierten Nachwuchs-Demagogen bremsen und betonen, das gelte natürlich nicht für die Hamburger Polizei. Die sei ganz toll und eine große Hilfe. Ganz bürgerlich eben, diese Impfgegner, Querdenker und Corona-Leugner, die am vierten Adventssonnabend durch Hamburg laufen und anwesenden Journalisten gern empfehlen, sie sollten "endlich weniger Scheiße schreiben".