Kiel. Der Ministerpräsident spricht über Verschärfungen im Norden, die Neuaufstellung der CDU und einen Gefühlsausbruch.

Schleswig-Holstein ist vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen. Die Inzidenzen sind eher gering, die Belastung der Kliniken nicht so schlimm wie anderenorts. Daniel Günther, der sich im Mai zur Wiederwahl als Ministerpräsident stellt, wirbt trotzdem für eine generelle Impfpflicht. Er sagt: „Manche Menschen können mit Eigenverantwortung nicht umgehen. Als Staat darf man nicht auf jede Befindlichkeit zu viel Rücksicht nehmen.“

Herr Günther, mit wie vielen Menschen werden Sie Weihnachten feiern?

Daniel Günther: Es wird ein kleiner Kreis sein, aber nicht nur coronabedingt. Wir feiern traditionell den Heiligen Abend zu sechst – mit meinen Schwiegereltern und uns Vieren.

Das heißt, Sie müssen zum Fest keine Familienmitglieder oder Freunde aufgrund der Corona-Lage ausladen?

Daniel Günther: Nein, dadurch dass wir alle geimpft sind, gelten die einschränkenden Regeln für uns nicht.

Im November haben Sie vor dem Hintergrund steigender Inzidenzen und stagnierender Impfquoten angekündigt, den Druck auf Ungeimpfte zu erhöhen, sie von weiten Teilen des öffentlichen Lebens auszuschließen. Was hat diese 2G-Regelung in der Freizeit gebracht?

Daniel Günther: Die verschärften Regeln haben einen Teil der Menschen, die wir im Blick hatten, offenkundig dazu bewogen, sich doch impfen zu lassen. Die Zahl der Erst- und der Zweitimpfungen ist wieder deutlich gestiegen, auch das Interesse an der Booster-Impfung ist sehr hoch.

In Schleswig-Holstein gilt jetzt 2G plus, für alle die nicht seit mindestens 14 Tagen geboostert sind. Was kann danach noch an Verschärfungen folgen, sollten die Belastung in den Kliniken oder die Inzidenz weiter steigen?

Daniel Günther: Bislang gilt 2G plus nur für einen sehr eingeschränkten Bereich: So etwa für Bars, Diskotheken oder private Hotelübernachtungen. Diese Testpflicht könnte man auf andere Bereiche ausweiten. Die Zahlen in Schleswig-Holstein sind die gesamte Zeit der Pandemie nie aus dem Ruder gelaufen, auch die Krankenhäuser hatten die Lage im Verhältnis zu den anderen Bundesländern sehr, sehr gut im Griff. Im Moment haben wir keine Anzeichen, dass sich daran etwas ändert. Aber wir haben immer unter Beweis gestellt, dass wir sehr konsequent reagieren, wenn sich die Lage verschärft.

Also könnte es bei einer Verschärfung der Lage auch zu 2G plus beispielsweise in Restaurants kommen?

Daniel Günther: Es gibt keine Vorfestlegung. Und wir sind von der Inzidenz her weit von einer weiteren Verschärfung entfernt. Wir müssen uns bei allen Maßnahmen darauf konzentrieren, wo sich die Menschen anstecken. Infektionsgeschehen spielt sich eher im privaten Bereich ab. Unser Expertenrat ist beim Thema zusätzliche Testungen für Geimpfte sehr zurückhaltend. Deshalb haben wir uns auch bislang bewusst gegen die Regelung für Restaurants entschieden.

Schließen Sie einen neuerlichen Lockdown aus?

Daniel Günther: Das Bundesinfektionsschutzgesetz lässt die Möglichkeit für Länder mit besorgniserregender Inzidenz zu. Dem habe ich mich nie in den Weg gestellt. Und das werde ich auch weiterhin nicht tun. In dramatischen Situationen braucht man diesen Instrumentenkasten. Aber: In Schleswig-Holstein sind wir weit davon entfernt und tun alles dafür, dass das auch so bleibt.

Wie stehen Sie zur generellen Impfpflicht: Sind sie dafür oder dagegen?

Daniel Günther: Ich bin deutlich dafür. Ich habe sehr begrüßt, dass wir Ministerpräsidenten und die Bundesregierung uns darauf geeinigt haben, die Abstimmung im Bundestag freizugeben. Wie viele andere habe ich meine Meinung dazu auch geändert. Ich war nie klar gegen eine Impfpflicht, sondern lange eher zurückhaltend.

Erklären Sie uns Ihre Motivation gern ausführlich.

Daniel Günther: Zunächst hatten die Experten angenommen, dass eine Impfquote von 70 oder 75 Prozent genügend Schutz bietet, die Pandemie in den Griff zu bekommen. Jetzt wissen wir, dass sie – auch aufgrund der neuen Variante – deutlich höher sein muss. Selbst in Schleswig-Holstein sind wir noch nicht ganz da, wohin wir müssen. Wir müssen uns dauerhaft vor dem Virus schützen. Und das wird ohne eine hohe Impfquote und Auffrischungen für alle Bürgerinnen und Bürger nicht gehen. Deshalb ist es richtig, dass der Staat daraus eine Verpflichtung macht.

War es ein politischer Fehler, die generelle Impfpflicht zunächst auszuschließen?

Daniel Günther: Wir müssen selbstkritisch sagen, dass die Kommunikation in dieser Frage nicht so überzeugend war. Seit wir wissen, dass die 70, 75 Prozent Impfquote nicht reichen, hätten wir sehr viel stärker erklären müssen, warum diese Position nicht mehr zu halten ist. Die Position radikal zu verändern, ohne das ausreichend zu erklären, kostet in der Krise Vertrauen.

Fürchten Sie nicht, dass eine generelle Impfpflicht das Land weiter spalten wird?

Daniel Günther: Es ist keine Spaltung in dem Sinne, dass sich zwei etwa gleich große Blöcke gegenüberstehen. Denjenigen, die sich an alle Regeln halten, die sich impfen lassen, die solidarisch mithelfen, die Pandemie zu bekämpfen, denjenigen müssen wir das Gefühl geben, dass der Staat an ihrer Seite ist. Die das nicht tun, isolieren sich selbst. Manche Menschen können mit Eigenverantwortung nicht umgehen und brauchen eine klare Ansage wie die Impfpflicht. Als Staat darf man nicht auf jede Befindlichkeit zu viel Rücksicht nehmen.

Ihr Geduldsfaden mit den Menschen, die sich nicht impfen lassen, sei gerissen und Sie hätten kein Verständnis mehr für teils abstruse Begründungen, sich nicht impfen zu lassen, haben Sie im November gesagt. Selten zeigt ein führender Politiker Emotionen wie Sie an dieser Stelle. Wie haben die Schleswig-Holsteiner darauf reagiert?

Daniel Günther: Ein großer Teil der Menschen hat sich gefreut, dass das mal offen ausgesprochen wurde. Einer große Mehrheit der Gesellschaft geht es auf den Senkel, dass eine Minderheit sich verweigert und damit die Pandemie am Laufen hält. Aber klar: Es gab auch gegenteilige Reaktionen. Offenkundig hat der Gefühlsausbruch manch einen bewegt, sein Verhalten zu ändern. Insofern hatten die emotionalen Aussagen offensichtlich einen positiven Effekt.

Bundestag und Bundesrat haben eine sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht beschlossen. Von Mitte März an müssen unter anderem Kranken- und Altenpfleger ihren Impfschutz nachweisen. Riskieren Sie mit dem Beschluss nicht, den Pflegenotstand noch zu verschärfen?

Daniel Günther: Nein. Die Ansage war richtig, viele Menschen werden reagieren und sich impfen lassen. Klar ist doch: Wer in einem Pflegeberuf als Nicht-Geimpfter zum Überträger des Virus wird, der kann dort einfach nicht arbeiten. Es mag auch hier harte Impfgegner geben, die dann den Beruf wechseln wollen. Nur: Allein durch die allgemeine Impfpflicht wird vielen dann klar werden, dass der Jobwechsel ihnen gar nichts bringt.

Wir vermissen Sie in den Talkshows, die sich Abend für Abend mit der Pandemie, mit den Folgen der Bundestagswahl oder mit dem Zustand der CDU beschäftigen sind Sie nicht anzutreffen. Haben Sie zu den Themen nichts zu sagen?

Daniel Günther: Ich bin da ja auch vor der Pandemie nicht gewesen. Daran hat sich nichts geändert. Ich nutze die Zeit lieber, um den Menschen in Schleswig-Holstein in anderen Formaten unsere Politik zu erklären. Zum Beispiel mit einem Interview in Ihrer Zeitung, von der ich weiß, dass sie auch in Hamburgs Umland auf schleswig-holsteinischer Seite viele Leserinnen und Leser hat.

Die neu gewählte Ampelkoalition verbreitet recht geschickt das Narrativ vom Aufbruch und Ruck, der durch Deutschland geht, die CDU beschäftigt sich hingegen weiter vor allem mit sich selbst. Der Trend spricht eher gegen eine Fortsetzung der Jamaika-Koalition nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein im Mai. Wie wollen Sie diesen Trend umkehren?

Daniel Günther: Man muss das sportlich sehen. Eine neue Regierung hat immer einen gewissen euphorischen Start. Aus eigener Erinnerung würde ich sagen, dass wir in der Euphorie, die wir 2017 in Schleswig-Holstein verbreitet haben, um Längen besser waren als jetzt die „Ampel“...

…Das war aber auch vor der Pandemie…

Daniel Günther: Das stimmt. Aber es ist kein Wunder, dass eine Partei, die aus der Bundesregierung rausgewählt wurden, einigen Klärungsbedarf hat. Wie es aber bei der Landtagswahl im Frühjahr in Schleswig-Holstein läuft, ist etwas ganz anderes. Die Zustimmungswerte zur Landesregierung sind hoch, und die Koalition mit Grünen und FDP arbeitet ausgesprochen harmonisch zusammen. Von der aktuellen Stimmungslage auf Bundesebene können Sie heute wirklich keine Rückschlüsse auf das Ergebnis der Landtagswahl im Mai 2022 ziehen.

Die FDP hat sich ja schon recht deutlich für eine Fortsetzung von Jamaika im Norden positioniert. Wie wollen Sie die von der SPD stark umworbenen Grünen überzeugen, weiterzumachen?

Daniel Günther: Mit einem hervorragenden CDU-Ergebnis.

Wenn Sie vor der SPD liegen, gibt es eine realistische Chance für Sie, die Koalition fortzusetzen?

Daniel Günther: Ich bin Realist. Und ich stelle fest, dass wir gut zusammenarbeiten. Das hat zuletzt auch die grüne Finanzministerin in der Landtagssitzung deutlich gemacht. Jeder kämpft im Wahlkampf für sich selbst. Und je besser das CDU-Ergebnis ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass wir weiterregieren.

Und mit welchen Themen wollen Sie die Wahl gewinnen?

Daniel Günther: Nun ist die Wahl erst in fünf Monaten. Wir wissen nicht, welche Rolle die Pandemie dann noch spielen wird. Klar ist schon jetzt, dass wir in Schleswig-Holstein drei zentrale Punkte setzen: 1. Kinder und Jugendliche haben unter der Pandemie sehr stark gelitten. Da sind Nachholprozesse nötig, hier werden wir einen deutlichen Schwerpunkt setzen. 2. Wir werden den Ausgleich zwischen Stadt und Land im Blick behalten. Auch die ländlichen Räume müssen attraktive Lebens- und Arbeitsräume bleiben und ihre Entwicklungschancen weiter nutzen können. 3. Wir müssen aus dem Erreichen von Klimazielen und der Energiewende Wertschöpfung machen. Die Rohstoffe dafür haben wir mit Wind und Sonne quasi vor der Tür. Hier hat unser Land ein erhebliches Potenzial.

Kommen wir noch einmal zur CDU. Hatten Sie mit dieser Entscheidung zu Gunsten von Friedrich Merz für den Parteivorsitz gerechnet?

Daniel Günther: Das Ergebnis für Friedrich Merz ist mit über 60 Prozent deutlicher ausgefallen als ich es erwartet habe. Dieses Votum lässt keinen Zweifel daran, dass die Parteibasis ihn als Vorsitzenden favorisiert. Begeistert bin ich von der Wahlbeteiligung, die mit fast zwei Dritteln unserer Mitglieder die Erwartungen übertroffen hat. Damit hat Friedrich Merz den nötigen Rückenwind für die Aufgabe als künftiger Vorsitzender der CDU Deutschland.

Ist Friedrich Merz der richtige Mann für den Erneuerungsprozess der CDU?

Daniel Günther: Ich bin sicher, dass Friedrich Merz den Blick nach vorne richten wird und die Partei auf diesem Weg mitnehmen wird. Wir müssen dabei als Volkspartei der Mitte erkennbar bleiben und gemeinsam daran arbeiten, die CDU nach dem für sie schwierigen Ergebnis bei der Bundestagswahl wieder auf die Erfolgsspur zu bringen. Die nötige Power dazu hat er.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Hatten Sie auf einen der beiden anderen Bewerber gesetzt?

Daniel Günther: Der Mitgliederentscheid war, wie Sie wissen, eine geheime Wahl. Dabei soll es auch für mich bleiben. Ich freue mich nun auf die Zusammenarbeit mit dem künftigen Parteivorsitzenden.

Welche Rolle sollte Ihre Bildungsministerin Karin Prien an der Spitze der „neuen“ CDU spielen?

Daniel Günther: Karin Prien ist nicht nur eine starke Stimme für eine gute Bildungspolitik. Das hat sie in der Landesregierung über die vergangenen viereinhalb Jahre deutlich unter Beweis gestellt. Karin Prien steht auch für eine CDU der Mitte. Da gehört die Union hin, dafür wird Karin Prien stehen.

Warum spielen Sie bei der Neuaufstellung der CDU keine Rolle?

Daniel Günther: Das tue ich doch. Als Ministerpräsident bin ich Mitglied des CDU-Präsidiums. Mein Ziel ist, die Landtagswahl zu gewinnen. Darauf konzentriere ich mich. Ich bin fest davon überzeugt, dass es gut für dieses schöne Bundesland ist, wenn die CDU auch in den nächsten fünf Jahren den Ministerpräsidenten stellen wird. In der Zeit, die ich dann noch aufbringen kann, will ich helfen, dass sich die CDU in Deutschland positiv entwickelt. Aber das ist für mich im Moment nicht die erste Priorität.