Hamburg. Corona-Impfungen verzögern sich. Termine müssen abgesagt werden. Hausärzte warnen vor neuem, besorgniserregenden Trend.

Ein Fläschchen Biontech, ein Fläschchen Astrazeneca: macht zusammen rechnerisch 16 Dosen an Impfstoff für die Patienten. Das war die magere Ausbeute einer Hamburger Praxis an einem Tag in der vergangenen Woche. Es gab rund 37.000 Impfungen bei allen niedergelassenen Ärzten in der Stadt laut Robert-Koch-Institut seit dem Impfstart vor gut zehn Tagen und keine Aussicht auf Besserung – das bringt die Mediziner zu Recht in Wallung. Die Belieferung mit Impfstoff an die Praxen stockt, und das liegt kaum am Willen und schon gar nicht an den Bestellungen in den Apotheken. Die fragen beim Großhandel nach mehr, doch die Bundesregierung, die die Kontingente zuteilt, liefert bislang erheblich weniger als gedacht.

Kommt der als „Gamechanger“, als Wendebringer in der dritten Welle der Corona-Pandemie gelobte Einsatz der Hausärzte in der Impfkampagne ins Stocken, ehe er richtig begonnen hat?

Hamburger Hausärzte: Zu wenig Impfstoff, Termine abgesagt

Die Vorsitzende des Hamburger Hausärzteverbandes, Dr. Jana Husemann, sagte dem Abendblatt: „Wir haben erfahren, dass uns zunächst 20 Prozent weniger Impfstoff zugeteilt werden soll. Das Bundesgesundheitsministerium hat zwar versprochen, dass die Liefermenge wieder erhöht wird in den kommenden Wochen. Aber die geringe Menge spiegelt nicht den Aufwand wider, den wir betreiben, um in den Praxen zu impfen.“

Mehrere Praxen berichteten dem Abendblatt von „erschütternd geringen Mengen“, die man erhalten habe: mal 40 Dosen, mal 50. Wochenlang haben die Ärztinnen und Ärzte Patienten aus ihren Karteien herausfischen lassen und angerufen, damit die besonders zu schützenden Gruppen die ersten Spritzen zur Immunisierung bei den Ärzten ihres Vertrauens erhalten können. Etliche Termine mussten wieder abgesagt werden, berichten Leserinnen und Leser des Abendblattes. „Das ist ja schon ein Termin-Chaos wie im Impfzentrum“, schimpften einige.

Angst vor Infektion: Patienten mit verschleppten Krankheiten

Dort allerdings hat sich das Termin-Management erheblich verbessert. Manch Arzt mutmaßt gar, das Impfzentrum werde bevorzugt. Dafür gibt es keine Belege. Die Bergedorfer Allgemeinmedizinerin Dr. Silke Lüder vertraut sogar der Einrichtung in den Messehallen besonders.

Sie sagte, viele Praxen seien nicht in der Lage, neben dem „Alltagsgeschäft“ massenhafte Coronaimpfungen  mit dem sensiblen Vakzin von Biontech/ Pfizer durchzuführen, da diese im Vergleich zu anderen bekannten Impfungen deutlich komplizierter seien.

Zudem müssten eigene Sprechstunden eingerichtet werden. Der Aufwand sei immens. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) hatte erwartet, dass bis zu 2500 Niedergelassene in Hamburg impfen werden. Wie viele es aktuell sind, lässt sich nicht genau ermitteln. Die Abrechnungsdaten liegen erst in mehreren Monaten vor.

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In diesen Tagen werde erkennbar, so die Hausärztin Lüder, dass plötzlich Menschen mit „verschleppter Diabetes“ in die Praxis kämen oder Krebskranke, die besondere Aufmerksamkeit bräuchten. Die große Unsicherheit der Patienten nach dem Beginn der Pandemie im vergangenen Jahr und die Sorge vor einer Infektion in einer Arztpraxis mündeten jetzt in auffällig verschlimmerten Krankheitsbildern. „Das alles überfordert uns komplett“, warnte Lüder. Hinzukomme, dass der Impfstoff von Astrazeneca noch immer ein so schlechtes Image genießt, dass die Patienten ihn häufig trotz langer Diskussionen ablehnten.

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Das bestätigte auch Hausverbands-Chefin Husemann: „Dabei ist das ein guter Impfstoff für die Zielgruppe der über 60-Jährigen.“ Sie sagte, die Patienten erwarteten, dass die Hausärzte jetzt Tempo bei der Impfung machten. Doch wie solle das ohne ausreichend Impfstoff geschehen? Das Ziel sei nach wie vor, bis zur Jahreshälfte die Corona-Schutzimpfung komplett in die Regelversorgung zu über-führen. Dann könnte theoretisch das Impfzentrum schließen oder auf „kleiner Flamme“ weitermachen, wie es zuletzt hieß. In den Messehallen werden die, die die erste Spritze dort erhielten, auch die zweite bekommen. Und bei Astrazeneca liegt das Impf-Intervall bei zwölf Wochen.

Nach Zahlen des RKI liegt Hamburg beim „Impftempo“ fast genau im Bundesdurchschnitt von 19,1 Prozent derjenigen, die überhaupt geimpft werden können. Schleswig-Holstein ist mit 20,3 Prozent schneller, Bremen mit 22,3 Prozent bundesweit spitze. Hier gibt es auch nur geringe Dosen in Reserve.

Die KV hatte errechnet, dass etwa bis Mitte Juli oder Anfang August alle impfwilligen erwachsenen Hamburger zweimal den ersehnten Piks bekommen haben können. Ob sich dieses Ziel halten lässt, ist bei den Lieferungen an Impfstoff fraglich.