Hamburg. Die Hansestadt hat die schlechteste Ausbildungsquote in Norddeutschland. Warum sich immer weniger Jugendliche interessieren.
Zweieinhalb Monate vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres am 1.
August schlägt Hamburg Alarm. Zwar gibt es bei den gemeldeten
Ausbildungsstellen eine leichte Verbesserung gegenüber dem Vorjahr
aber im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 fehlen über 1700
Lehrstellen in den Hamburger Betrieben.
Insgesamt gibt es jetzt
7900 gemeldete Ausbildungsstellen. Noch dramatischer ist
allerdings, dass sich immer weniger Jugendlichen um eine
Ausbildungsplatz bemühen und die Beratungs- und Vermittlungshilfe
der Jugendberufsagenturen in Anspruch nehmen. Offenbar auch eine
Folge der Corona-Pandemie, in der die Beratung nur sehr
eingeschränkt erfolgen konnte.
Über 1700 Lehrstellen fehlen in Hamburg
Im April zählte die Arbeitsagentur Hamburg
fast 5300 Ausbildungsbewerber, das sind 13 Prozent weniger als im
Vorjahr. Im Vergleich zum April 2019 ist die Lücke mit minus 25
Prozent noch größer. Es fehlen fast 1800 Bewerber, von denen man
nicht weiß, ob sie sich um eine Ausbildung bemühen.
Das liegt nicht
an weniger Schulabgängern. Vielmehr befürchten Experten, dass die
Verunsicherung bei der Berufswahl immer größer wird und auch
weniger Hilfe in Anspruch genommen wird. Inzwischen gibt es zwei
Schuljahrgänge, die wegen der Corona-Pandemie nicht über Praktika
in die Betriebe gehen konnten, um ihre beruflichen Interessen zu
testen.
Duale Ausbildung oder Studium als Konkurrenzmodell
Auch die hohe Abiturientenquote in Hamburg von über 50
Prozent spielt eine Rolle. Viele schließen dadurch eine duale
Ausbildung aus und konzentrieren sich von Anfang an auf ein
Studium. Bis zu den Sommerferien bietet die Berufsberatung der
Arbeitsagentur noch über 3000 Beratungstermine für Hamburger
Jugendliche an, die ihre Chance auf einen Ausbildungsplatz in
diesem Jahr nutzen wollen.
„Mit Blick auf die Corona-Pandemie gab
es zwei Jahre eine erhebliche Unsicherheit bei jungen Menschen, die
ihre persönliche Berufswahl zu treffen hatten. Diese Zeit bessert
sich merklich, auch wenn unsere Zahlen das noch nicht abbilden“,
sagt Sönke Fock, Vorsitzender der Geschäftsführung in der
Agentur für Arbeit Hamburg, auf der gemeinsamen
Ausbildungs-Pressekonferenz mit wichtigen Partnern des Hamburger
Ausbildungsmarktes.
Spitze bei Beschäftigung –
Schlusslicht bei der Ausbildung
Er warnte vor der Fachkräftelücke: „Innerhalb
der nächsten sieben Jahre verlassen 73.400 Fach- und
Führungskräfte aus Altersgründen Hamburger Unternehmen,
innerhalb der nächsten zwölf Jahren sind es sogar 176.500.
Branchenübergreifend gilt es diese Lücken auch mit
Nachwuchskräften zu ersetzen.“
Seit Jahren nimmt die Zahl der
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Hamburg zu, aber
die der abgeschlossenen Ausbildungsverhältnisse ab. Gegenwärtig hat
die Hansestadt mehr als eine Million sozialversicherungspflichtige
Jobs, aber auf die Ausbildung hat das keine Auswirkungen. Im
Gegenteil: Die Ausbildungsquote – das Verhältnis von Azubis zu
Beschäftigten – sinkt. Mit vier Prozent für 2019 (neuere Zahlen
liegen nicht vor) hat Hamburg den niedrigsten Wert der westlichen
Bundesländer und liegt etwa auf dem Niveau der östlichen
Bundesländer Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt mit je 3,9
Prozent.
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Auch alle norddeutschen Bundesländer einschließlich Bremen
(5,0 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (4,2 Prozent) weisen eine
höhere Ausbildungsquote auf. In Niedersachsen und
Schleswig-Holstein liegt sie bei rund 5,5 Prozent.
„Die aktuelle
Ausbildungstätigkeit der Betriebe reicht bei Weitem nicht, um dem
Fachkräftebedarf etwas entgegenzusetzen“, sagt Tanja Chawla,
Vorsitzende des DGB in Hamburg. Um junge Menschen gut auszubilden,
müsse man investieren. „Diese Chance und Verpflichtung darf die
Wirtschaft nicht verstreichen lassen und stattdessen deutlich mehr
qualitativ hochwertige Ausbildungsplätze anbieten“, forderte die
Gewerkschafterin.