Hamburg. Die drei Einrichtungen des Zweiten Bildungsweges sollen zusammengeführt werden. Doch es gibt Kritik von GEW und Linken.
Der Zweite Bildungsweg gibt Erwachsenen auch in Hamburg die Möglichkeit, im Jugendalter nicht erreichte Schulabschlüsse nachzuholen. In Hamburg sollen die in diesem Bereich bestehenden Angebote nun zusammengefasst werden. Das geht aus einem Antrag von SPD und Grünen für die Bürgerschaftssitzung am morgigen Mittwoch hervor.
Danach sollen die bisher drei Institutionen der Erwachsenenbildung, die Abendschule Vor dem Holstentor, das Abendgymnasium mit Abendschule St. Georg und das Hansa-Kolleg an einem zentralen Standort zusammengeführt werden. Laut Angaben des Senats soll zum Februar 2023 am Holzdamm 6 in St. Georg ein zentraler „Campus Zweiter Bildungsweg“ entstehen.
Die Gründe für die Zusammenlegung der Abendschulen
Hintergrund sind zum einen die seit Jahren zurückgehenden Absolventenzahlen und zum anderen die relativ hohe Abbrecherquote in diesem Bereich. So hat der Senat bereits in Antworten auf Kleine Anfragen darauf hingewiesen, dass „beispielsweise die erfreulichen Entwicklungen im ersten Bildungsweg zu einer veränderten Nachfrage der Angebote des Zweiten Bildungsganges“ geführt habe.
Die Anzahl der Schulabgängerinnen und Schulabgänger ohne Abschluss habe kontinuierlich abgenommen und die Zahl der Absolventen mit Abitur steige. Parallel sei die Zahl der jungen Erwachsenen, die das Abitur im Zweiten Bildungsweg nachholten, zuletzt gesunken – von 108 im Schuljahr 2014/2015 auf 75 im Schuljahr 2017/2018. Schon in ihrem Koalitionsvertrag hatten SPD und Grüne 2020 vereinbart, die Erwachsenenbildung zu bündeln.
Neue Interessentengruppe: Migranten
Der aktuelle rot-grüne Bürgerschaftsantrag nimmt dieses Vorhaben nun auf – und weist auf neue Gruppen von Nutznießern des Zweiten Bildungsweges hin. Zwar seien die Zahlen bei der „früheren Zielgruppe der aufstiegsorientierten Berufstätigen in den Schulen des Zweiten Bildungswegs rückläufig“, heißt es in dem Antrag. „Die Nachfrage von Erwachsenen, die eine durch Brüche geprägte Bildungsbiografie aufweisen, wie zum Beispiel Unterbrechung der Ausbildung durch Krankheit oder durch andere besondere Belastungssituationen, steigt jedoch.“
Auch wachse die Nachfrage von „zugewanderten Erwachsenen, die sich unter häufig schwierigen Rahmenbedingungen in Deutschland integriert haben“ – und deren im Herkunftsland erworbenen Abschlüsse nicht anerkannt würden. Diese neuen Interessentengruppen seien in der bisherigen Konzeption nicht genügend berücksichtigt gewesen. Außerdem gehe es nun darum, die Abbrecherquote im Zweiten Bildungsweg zu senken.
Antrag für flexiblere und individuelle Bildungsverläufe
„Der sogenannte Zweite Bildungsweg ist ein wichtiger Baustein in unserer Bildungslandschaft und ermöglicht Menschen, den Schulabschluss als Grundlage für ihre berufliche Laufbahn nachzuholen“, sagte Sina Aylin Demirhan, Grünen-Sprecherin für Weiterbildung. „Mit einem zentralen Campus der gut an den öffentlichen Nahverkehr angebunden ist, können wir bessere Rahmenbedingungen schaffen.“
Dass Handlungsbedarf bestehe, zeigten die Zahlen der Bildungsbehörde, nach denen im Zweiten Bildungsweg weniger als die Hälfte der Schüler die allgemeine Hochschulreife erreiche. Auch beim ersten bzw. mittleren Bildungsabschluss seien es nur knapp 60 Prozent. „Mit unserem Antrag wollen wir dafür sorgen, dass Menschen ihre Bildungsverläufe flexibler und besser an ihre individuelle Berufs- und Lebenssituation anpassen und ihre Ziele erreichen können.“
Kritik von Linken und GEW
SPD-Schulpolitiker Nils Hansen, betonte, dass alle bisherigen Angebote erhalten bleiben sollten. „Auch weiterhin sollen alle Abschlüsse auf dem Zweiten Bildungsweg erworben werden können“, so Hansen. „Mit dem neuen Campus wollen wir vielmehr die Qualität steigern und den Unterricht digitaler und modularer gestalten. Damit passen wir die Erwachsenenbildung an die geänderte Lebenswirklichkeit an und wollen die Quote der erfolgreichen Absolventinnen und Absolventen erhöhen. Außerdem sollen die Beratungsangebote zu Beginn und beim Abschluss der Bildungsgänge ausgeweitet werden.“
Kritik an den Plänen kommt von der Linken und aus der Bildungsgewerkschaft GEW. „Die Schulbehörde zäumt das Pferd von hinten auf: Statt der gemeinsamen Entwicklung des Zweiten Bildungsweges mit den Schulgemeinschaften werden Tatsachen geschaffen“, sagte Linken-Fraktionschefin Sabine
Boeddinghaus. „Das ist immer schlecht. Wesentliche Bestandteile für eine erfolgreiche Weiterentwicklung fehlen: eine fundierte Analyse des Zustands des Zweiten Bildungsweges, gemeinsame Absprachen und Planungen zwischen den Beteiligten sowie ein gemeinsam entwickeltes pädagogisches Konzept.“
Es sehe so aus, als solle vor allem das Gebäude der Abendschule Vor dem Holstentor zügig geleert werden, um es neu zu vermieten, so die Linken-Politikerin. Boeddinghaus warnt auch davor, „durch eine verbindliche Eingangsberatung den Zugang zum Zweiten Bildungsweg zu erschweren“. Die Hürden seien so schon hoch genug, neben der Arbeit zur Schule zu gehen. „Die Stadt muss hier eher Wege öffnen, Hindernisse ebnen statt Türen zu schließen.“
Die Schulbehörde wies die Kritik zurück. „Offenbar kann oder will die Linke nicht verstehen, dass die Interessen und geänderten Lebensbedingungen der Schülerinnen und Schüler im Fokus dieser Reform stehen und sie es sind, die davon profitieren werden“, sagte Behördensprecher Peter Albrecht. „Die Vorwürfe der Linken sind schlicht abwegig.“
GEW fordert Debatte über Abendschulen
Widerstand kommt indes auch von der GEW-Betriebsgruppe der Abendschule Vor dem Holstentor. „Wir fordern eine wissenschaftliche und alle Kollegien einbeziehende Debatte, wie die Erwachsenenbildung besser gestaltet werden kann“, hieß es am Montag von der Gruppe. „Der von Behörde und Senat favorisierten Neugründung liegt kein ausgearbeitetes Konzept zugrunde, wie die Abbruchquote wirklich und nachhaltig gesenkt werden kann. Es fehlt gerade eine Analyse, was die wirklichen Gründe für die Herausforderungen der Erwachsenenbildung sind. Die Neugründung gefährdet die erfolgreiche Arbeit von Kollegien und Teilhabe der Schüler*innen.“
CDU-Schulpolitikerin Birgit Stöver sagte, es sei „an sich eine gute Idee, einen Campus der Erwachsenenbildung an einem Ort zu schaffen“. Dies müsse jedoch „mit einer wirklichen Neuausrichtung bzw. deutlichen Attraktivitätssteigerung des Campus verbunden sein“.