Hamburg. Hamburgs Verwaltung prüft das neue Verfahren – Mitglieder müssten dann nicht mehr auf dem Standesamt oder vor dem Notar erscheinen.
Der Austritt aus der katholischen und evangelischen Kirche könnte möglicherweise bald per Mausklick erfolgen. Damit wäre ein persönlicher Termin beim Standesamt oder vor einem Notar nicht mehr notwendig. Die Hamburger Verwaltung prüft nach Abendblatt-Informationen gegenwärtig ein solches digitales Verfahren. Dabei sind auch rechtliche Hürden wie das Hamburger Gesetz über den Austritt aus Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts vom 5. März 1962 zu beachten.
Das Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen (Onlinezugangsgesetz) verpflichtet Bund, Länder und Kommunen jedenfalls, bis Ende des Jahres ihre Verwaltungsleistungen auch digital anzubieten. Zu den knapp 575 behördlichen Leistungen gehört auch der Kirchenaustritt.
Online-Termin: Kirchenaustritt in Hamburg künftig per Mausklick?
„Derzeit wird die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes vorbereitet. In diesem Zusammenhang wird geprüft, welche Leistungen der Verwaltung online erbracht werden können. Diese Prüfung umfasst auch den Kirchenaustritt“, sagte Ekkehard Wysocki, religionspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, dem Abendblatt. Ergebnisse dieser Prüfung, die bald abgeschlossen sein sollte, liegen dem Vernehmen nach noch nicht vor. Der Hamburger SPD-Religionsexperte Wysocki betont: „Wir haben zu Kirchenaustritten bundesweit ein einheitliches Verfahren, das halte ich für sinnvoll.“
Die ersten Hamburger Politiker fordern unterdessen, die bisherigen Modalitäten des Kirchenaustritts endlich zu digitalisieren. Anna von Treuenfels-Frowein, FDP-Abgeordnete in der Hamburger Bürgerschaft, sagt: „Weder das persönliche Erscheinen beim Amt noch die Gebühr von 31 Euro sind zeitgemäß. Im digitalen Zeitalter muss so etwas mit ein paar Klicks und ohne Kosten machbar sein.“ Michael Gwosdz, religionspolitischer Sprecher der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, schlägt vor, dass die Kirchen dafür die Gebühren übernehmen. „Wenn jemand aus der Kirche austreten möchte, sollte das gebührenfrei möglich sein. Das Standesamt übernimmt hier eine Aufgabe stellvertretend für die Kirchen. Entstehen dadurch Kosten, sollten die Kirchen diese ausgleichen, nicht die ausgetretene Person.“
Kirchenaustritt Hamburg: Bisher nur mit persönlichem Termin
Der Austritt aus einer Religionsgemeinschaft öffentlichen Rechts muss bislang beim zuständigen Standesamt persönlich erklärt werden. So schreibt es das Hamburger Gesetz über den Austritt aus Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts vor. Alternativ ist auch eine öffentlich durch einen Notar beglaubigte schriftliche Erklärung möglich. Der Austrittswillige sei somit nicht gezwungen, mit einer Organisation in Kontakt zu treten, mit der er keine Verbindung mehr wünsche, erklärt Maren Warnecke, Sprecherin in der Bischofskanzlei Hamburg/Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland, das gängige Verfahren. „Das Standesamt ist ein neutraler Ort.“
Ein persönliches Erscheinen ist nach geltender Rechtslage allerdings erforderlich, weil es sich um ein verfassungsmäßig hoch gewichtetes Grundrecht, nämlich die Religionsfreiheit, handelt. Der persönliche Termin stellt zudem sicher, dass Bürger wie religionsmündige Jugendliche oder sehr betagte Menschen nicht ohne ihr Wissen aus einer Religionsgemeinschaft abgemeldet werden können. „Auch bei anderen wichtigen Rechtsterminen ist ein persönliches Erscheinen vor einer Behörde oder einem Notar verpflichtend, etwa bei Eheschließungen und Grundstückskäufen“, sagt Maren Warnecke. Es gebe daher keine kirchlichen Pläne, die bisherigen Austrittsmodalitäten zu ändern.
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Wie Manfred Nielen, Sprecher des Erzbistums Hamburg, ergänzt, dürfe der Staat nach dem Kirchenaustritt keine Rechtsfolgen mehr verknüpfen. Das betreffe vor allem den Einzug der Kirchensteuer. „So wird die negative Religionsfreiheit des Austrittswilligen beachtet.“ Das bedeutet: Wer seinen Austritt erklärt hat, muss selbstverständlich keine Kirchensteuern mehr zahlen.
Kirche: Missbrauchsskandal beschleunigt Austrittswelle
Wer allerdings in diesen Tagen die Mitgliedschaft beenden will, muss bundesweit, aber auch in Hamburg etliche Tage und sogar Wochen auf einen Termin im Standesamt warten. Im Bezirk Altona liegt die Wartezeit bei rund drei Wochen. Hintergrund für die gegenwärtige Entwicklung ist die Austrittswelle in der katholischen Kirche infolge der Missbrauchsskandale und des fragwürdigen Umgangs kirchlicher Vorgesetzter mit den Tätern.
Das alles hat einen neuen Ansturm auf die Standesämter ausgelöst. „Die aktuellen Berichte über den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche sorgen auch in Hamburg bei den christlichen Kirchen für mehr Austritte“, bestätigt Ekkehard Wysocki. „Die Kirchen stehen jetzt in der Pflicht, die Entwicklungen zu reflektieren und über Reformen nachzudenken.“
Kirchenleute fordern: Kirche muss ihre Privilegien abbauen
Noch liegen keine aktuellen statistischen Zahlen über die Kirchenaustritte in Hamburg vor. Im Jahr 2020 erklärten 3607 Katholikinnen und Katholiken in der Hansestadt ihren Austritt. Im ganzen Erzbistum waren es im genannten Zeitraum 6096. Dieser Zahl stehen rund 1000 Taufen, 106 Wiederaufnahmen und 66 Konversionen (Konfessionswechsel) gegenüber. Auch in der evangelischen Kirche setzt sich der Abwärtstrend bei den Mitgliederzahlen fort.
Von 2018 bis 2020 haben 38.307 Hamburger die evangelische Kirche in den beiden Kirchenkreisen Hamburg-Ost und Hamburg-West/Südholstein verlassen. Im Erzbistum waren es im gleichen Zeitraum 12.941. Die Zahl der Eintritte in die evangelische Kirche lag für den Zeitraum von 2018 bis 2020 in Hamburg bei 2889.
Kirchenleute wie Benediktiner-Pater Nikodemus Schnabel fordern jetzt die Kirche vehement auf, ihre Privilegien abzubauen. Die katholische Kirche sei „unfassbar unattraktiv“, sagte er in einem Podcast von Radio Hamburg. „Wir müssen Sehnsuchtsexperten werden und endlich weg von der Moral-Agentur kommen.“