Hamburg. Viele Erzieher haben sich in der Pandemie umorientiert. Nun müssen Kitas Eingewöhnungen absagen. Und das ist erst der Anfang.
Vor Monaten vereinbarte Eingewöhnungen werden abgesagt, Verträge mit Eltern aufgelöst, vereinzelt sogar ganze Gruppen geschlossen: Die Pandemie hat den ohnehin bestehenden Fachkräftemangel in Hamburger Kitas weiter verschärft. „Die Situation ist verzweifelt, unsere Not groß. Und die Hochphase kommt erst noch“, sagt Peter Schmied, Geschäftsführer der Akademie für Kinder, zu der vier Kindertagesstätten gehören. Zehn Prozent der Stellen seien in seinen Einrichtungen derzeit unbesetzt, und es fehle an qualifizierten Bewerbern. „Wir müssen im Prinzip jeden nehmen.“
So sei es perspektivisch „nahezu unmöglich“, die Elternwünsche nach Qualität, den eigenen Anspruch auf pädagogisch wertvolle Arbeit und die Vorgaben des Landesrahmenvertrags, der unter anderem den Betreuungsschlüssel vorgibt, zu erfüllen, so Schmied. Diese Einschätzung deckt sich mit einer bundesweiten Umfrage des Verbands Bildung und Erziehung (VEB), wonach 40 Prozent der Kita-Leitungen angaben, dass sie in den vergangenen beiden Jahren zu mehr als einem Fünftel der Zeit – also an mindestens einem Tag in der Woche – mit „Personalunterdeckung“ gearbeitet hätten.
Kitas in Hamburg: Viele Erzieher orientierten sich um
Im Dachverband Kindermitte, in dem 80 inhabergeführte, freie Hamburger Kitas organisiert sind, sei bereits diskutiert worden, dass man künftig Mitgliedern womöglich empfehlen müsse, einzelne Gruppen zu schließen. „In unserer Kita am Diekmoorweg mussten wir wegen der Personalnot gerade Verträge mit 20 Eltern kündigen, ein ganz schwerer Schritt“, sagt Peter Schmied. „Hamburg droht den qualitativen Vorsprung zu verspielen, den wir uns in der Kita-Betreuung in den vergangenen Jahren hart erarbeitet haben.“
Auch die Elbpiraten, die zwei Kitas in der Stadt betreiben, verzeichnen Abgänge unter den insgesamt 26 Beschäftigten. In Lokstedt verlassen zum Sommer gleich vier Mitarbeiter die Kita, in Bahrenfeld sind es zwei. „Die Pandemie hat den Erziehern viel abverlangt“, sagt Geschäftsführer André Müller. Einige hätten sich daher beruflich neu orientiert, andere litten nach wie vor körperlich unter den Folgen überstandener Covid-Infektionen. „Fast alle meiner Mitarbeiter waren bei einer Impfquote von fast 100 Prozent doppelt infiziert“, sagt Müller, der selbst Arzt ist.
Kitas in Hamburg: „Vergangenen zwei Jahre waren heftig"
2021 seien in seinen Kitas 610 Krankentage zusammengekommen. Vor der Pandemie, im Jahr 2019, seien es nur knapp 200 gewesen. „Manche unserer Mitarbeiter sind noch heute so geschwächt, dass sie die Gruppen-Kinderwagen nicht mehr schieben können.“ Annkatrin Eschler, seit sechs Jahren Leiterin der beiden Elbpiraten-Einrichtungen, hört auf, weil sie sich von den Folgen ihrer Erkrankung erholen muss.
„Die vergangenen zwei Jahre waren heftig. Die oft unklaren Vorgaben, dazu der berechtigte Diskurs mit den Eltern über Teststrategien und Öffnungszeiten, das geht nicht spurlos an einem vorüber, wenn man den Beruf mit Leidenschaft ausübt.“ Auch in der VEB-Umfrage gaben 80 Prozent der bundesweit befragten Kitaleitungen an, dass die unterschiedlichen Regeln während der Corona-Pandemie „das größte Problem“ dargestellt hätten.
Kitas: „Wir werben mit attraktiven Extras"
„Wir wollen alles dafür tun, um unsere hohe Qualität zu halten“, sagt André Müller. Mehr als 2000 Euro habe er bereits für Stellenanzeigen auf den gängigen Jobportalen ausgegeben, doch es sei nur eine Bewerbung eingegangen. Nun werde man vielleicht auf Mitarbeiter von Zeitarbeitsfirmen setzen müssen. „Der Stundenlohn hat sich allerdings bei den Zeitarbeitsfirmen während der Pandemie um 10 Euro auf 42,50 Euro erhöht“, so Müller.
Bei den Elbkindern, der Vereinigung der städtischen Kindertagesstätten, sei das Problem des fehlenden Erziehungspersonals ebenfalls „spürbar“, sagt Sprecherin Katrin Geyer. Drei Prozent der etwa 5000 pädagogischen Stellen an den 184 Standorten des öffentlichen Unternehmens seien derzeit unbesetzt. „Wir werben mit attraktiven Extras wie einer arbeitgeberfinanzierten betrieblichen Altersvorsorge, einer HVV-Fahrkarte mit Arbeitgeberzuschuss, vergünstigtem Mittagessen sowie guten beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten um neue Mitarbeiter.“
Corona verstärkte Fachkräftemangel in Hamburg
Dass die Pandemie den Fachkräftemangel an den Hamburger Kitas verstärkt habe, könne sie „ganz klar bestätigen“, sagt Hilke Stein von der Gewerkschaft Ver.di. „Viele Kolleginnen und Kollegen haben sich insbesondere in der ersten Phase der Pandemie sehr von der Politik alleingelassen gefühlt.“ Die Personalnot führe zudem zu einer ständigen Mehrbelastung, die nicht ausgeglichen werde. „In der Folge sinkt die Arbeitszufriedenheit, auch weil die Vor- und Nachbereitung der pädagogischen Arbeit in die Freizeit verlagert wird.“ Nicht selten verließen Erzieher deshalb ihren Beruf.
Die Ursache für dieses „in dieser Größenordnung nie da gewesene Fachkräfteproblem“ allein bei Corona zu suchen, greife jedoch zu kurz, sagt Sarah Stüber, Geschäftsführerin des Dachverbands Kindermitte. „Handelt es sich doch um die Fortführung einer Entwicklung“, sagt die Soziologin. Die Bezahlung sei schlicht immer noch zu gering: „Wenn wir Kitas wirklich als ersten Bildungsort begreifen wollen, dann sollte das Gehalt im besten Fall dem eines Gymnasiallehrers entsprechen.“
Mehr Studienplätze, bessere Vergütung
Auch die Ausbildung solle vergütet und mehr Studienplätze geschaffen werden. Peter Schmied von der Akademie für Kinder, der den Dachverband einst mitgegründet hat, hält zudem Aufstiegsmöglichkeiten für wichtig, um den Beruf attraktiver zu machen. „Kein Mensch kann sich doch heute noch vorstellen, 40 Jahre in derselben Position in einem sehr anstrengenden Job zu bleiben.“
Nun steuere man ja schon gegen, sagt die Sozialbehörde, die in dem Fachkräftemangel an Hamburger Kitas durchaus „eine Herausforderung“ sieht. Es sei bekannt, dass der ein oder andere Träger, vor allem am Stadtrand, aktuell Probleme habe, Personal zu finden. Die Gründe liegen laut Behörde aber auch im Platzausbau und in der Verbesserung des Betreuungsschlüssels in den vergangenen Jahren. So habe sich die Zahl der pädagogischen Mitarbeiter zwischen 2011 und 2021 um mehr als 7000 Kräfte auf insgesamt 18.572 Beschäftigte erhöht.
169 freie Erzieherstellen gemeldet
Tatsächlich seien in kaum einer anderen Berufsgruppe mehr Jobs entstanden, bestätigt Knut Böhrnsen von der Agentur für Arbeit. Aktuell seien 169 freie Erzieherstellen gemeldet, was dem Niveau der beiden Corona-Vorjahresmonate entspreche. Von 2013 bis 2019 seien im Mai sogar zwischen 250 und 300 Stellen unbesetzt gewesen. „Unseren Daten zufolge hat der Beruf des Erziehers also nicht an Attraktivität eingebüßt.“
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„Zweifelsohne hat die Corona-Pandemie aber zu besonderen Belastungen geführt“, heißt es aus der Sozialbehörde. Im Vergleich zu den 15 anderen Bundesländern stehe Hamburg aber dennoch „ganz gut“ da – auch weil Bildungs- und Sozialbehörde bereits vor Jahren Maßnahmen ergriffen hätten. So sei eben die Zahl der Ausbildungsplätze an den Fach- und Berufsfachschulen ausgebaut worden, es gebe berufsbegleitende Weiterbildungsmaßnahmen und Angebote für Quereinsteiger. „Bei der letzten großen Aktion gab es zehnmal mehr an einer Umschulung Interessierte als Plätze“, sagt Knut Böhrnsen.
Hamburger Kitas: „Das Klima ist gut"
Dennoch sei das Angebot für Quereinsteiger noch zu unbekannt, fürchtet André Müller von den Elbpiraten. „Viele wissen nicht, dass sie sich mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium in 80 Stunden zur Erstkraft ausbilden lassen können.“ Müller hofft, dass er für seine familiär geführten Kitas schnell gute neue Mitarbeiter findet: „Das Klima ist gut, bisher gab es bei uns kaum Fluktuation.“