Hamburg. 17,8 Prozent haben eine Auffrischungsimpfung erhalten. Sogar Krebs-Patientin abgewiesen. Dabei ist Omikron auf dem Vormarsch.

In Hamburg wächst das Unverständnis über die Regeln für Auffrischimpfungen gegen das Coronavirus. Es gibt zahllose Beschwerden über Wartezeiten, zu wenig Impfstoff von Biontech und Verwirrung über Regeln für Geimpfte. Gleichzeitig hinkt Hamburg beim Boostern hinterher. Nach Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) liegt die Hansestadt bei den Impfquoten für die Auffrischungen als „Tabellenvorletzter“ aller Bundesländer mit 17,8 Prozent nur vor Sachsen (17,2) und deutlich unter dem Bundesdurchschnitt (21,3).

„Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt weiterhin eine Auffrischungsimpfung nach sechs Monaten, im Einzelfall nach fünf Monaten. Dies setzt Hamburg entsprechend um. Personen ab 60 Jahren können bereits nach fünf Monaten ihre Auffrischungsimpfung erhalten, alle anderen Personen nach sechs Monaten“, sagt Anja Segert, Sprecherin der Sozialbehörde.

Krebs-Patientin beim Boostern abgewiesen

Zur Verwirrung um die Booster-Impfungen tragen unterschiedliche Regeln der Bundesländer und sogar ihre Auslegungen innerhalb Hamburgs bei. Davon kann Gudrun B. (67) ein Lied singen. Sie stellte sich morgens am Wandsbeker Impfzentrum am Friedrich-Ebert-Damm an, um sich einen Moderna-Piks als „Nachimpfung“ abzuholen. Fünf Monate waren seit der zweiten Spritze vergangen.

Gudrun B. sagte: „Da ich Krebspatientin bin, schaffte ich es von der Anmeldung in ein Arztzimmer zur weiteren Entscheidung. Der junge Arzt würde mich sofort impfen, sagte er, müsse das aber digital dokumentieren und verstoße so gegen die Vorgaben und habe in der nächsten Woche keinen Job mehr. Er müsse seine Chefin fragen, was er tun soll.“ Die Impfkandidatin war schlicht entgeistert. Ihr wurde mitgeteilt, die „Chefin“ lasse eine Boosterimpfung nur zu, wenn die Krebstherapie nicht zu lange zurückliege. Gudrun B.: „Ich hatte schon dreimal Krebs, die letzte Diagnose Brustkrebs liegt vier Jahre zurück.“ In einer Ferndiagnose teilte ihr die „Chefin“ mit, Gudrun B.s Immunsystem sei wieder voll belastbar. Eine Boosterimpfung erhalte sie jetzt und hier nicht.

Was Ärzte über die Dauer des Anti-Corona-Schutzes sagen

Was Gudrun B. sagt, steht symptomatisch für verständliche Reaktionen auf die Impfkampagne: „So viel zum Thema ,Wir müssen impfen, impfen, impfen, damit wir die Welle brechen und Impfdurchbrüche verhindern‘. Wenn man die Alten wegschickt, wird das nichts.“ Sie probiert es jetzt woanders.

Mehrere Ärzte bestätigten dem Abendblatt Berichte wie diesen, wiesen aber auf die Stiko-Empfehlung hin. Davon abzuweichen, das müsse begründet wer-den. In einer Praxis sei das leichter. Hinzukommen rein praktisch Dinge: Warum einen Impfkandidaten wegschicken, der einen neuen Termin in zwei Wochen machen müsste? Warum nicht übriggebliebene Dosen nach Terminabsagen verimpfen?

Von Moderna gibt es derzeit ausreichend Impfstoff, Biontech ist zumindest in größerer Menge versprochen. Bisweilen lassen sich auch Patienten von Moderna überzeugen, wenn sie etwas schneller geimpft werden. Ärzte berichten, dass viele Biontech für den „Goldstandard“ halten, alle anderen Vakzine für minderwertig. Dabei sind nach Aussagen von erfahrenen Impfärzten beide Impfstoffe absolut vergleichbar, wirksam und gut verträglich. Doch immer wieder werden Ärzte in Diskussionen um Impfstoffe und ihre vermeintliche Schutzdauer verwickelt.

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Was bei Johnson & Johnson gilt

Der ehemalige Sprecher der medizinischen Leiter im Impfzentrum, Dr. Dirk Heinrich, sagte zur Frage der Booster-Frist: „Der Schutz nimmt im Laufe der Zeit nur langsam ab, nicht plötzlich und je älter man ist, desto früher. Daher ist für alle ab dem sechsten Monat der richtige Zeitpunkt. Bei Älteren ab 70 und immungeschwächten Impflingen kann es in Absprache mit dem Arzt auch früher sinnvoll sein.“

Heinrich sagte, die Wissenschaft habe noch keine Erkenntnisse, wann die vierte Impfung angezeigt sei. Das werde man aber rechtzeitig wissen. Wer nach einer Impfung mit dem Einmal-Vakzin von Johnson & Johnson einen Booster mit Biontech oder Moderna bekommen habe, solle sechs Monate danach mit dem gleichen mRNA-Impfstoff erneut geboostert werden.

Hamburg richtet Kinder-Impfzentrum ein

Mitte kommender Woche beginnt die Auslieferung des Impfstoffes für Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren. Neben den Kinderarztpraxen werden von der Stadt Impfangebote an mehreren Standorten sowie ein zentrales Impfzentrum in der Neustadt geschaffen. Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) sagte: „Es ist eine gute Nachricht, dass die Schutzimpfung in Kürze für eine weitere Altersgruppe verfügbar sein wird. Ob die Impfung für das eigene Kind in Frage kommt, ist eine individuelle Entscheidung, die Eltern und Sorgeberechtigte am besten mit Kinderärztinnen und Kinderärzten abwägen können. Diese sind die erste Anlaufstelle für eine intensive Beratung und für die Impfung selbst.“ Vorrangig werde eine Terminvereinbarung zur Schutzimpfung in der Kinderarztpraxis empfohlen. Zu den neuen Impfangeboten gehören sowohl mehrere Klinikstandorte als auch ein Kinderimpfzentrum nahe dem Michel an der Pasmannstraße 1.

Vom 16. Dezember an finden die Impfungen jeweils dienstags bis donnerstags statt sowie sonnabends und sonntags von 10 bis 17, eine Terminbuchung ist erforderlich. Termine über eine neue Plattform gibt es voraussichtlich ab dem 14. Dezember. Bei den Krankenhäusern machen die Asklepios Klinik Nord und das Kinder-UKE den Anfang, die ebenfalls am 16. Dezember starten. Es folgen Impfangebote an zusätzlichen Standorten (unter anderem Altonaer Kinderkrankenhaus, Helios Mariahilf Klinik Harburg, Katholisches Kinderkrankenhaus Wilhelmstift).

Omikron-Fälle in Hamburg

Bei allen Angeboten werden laut Gesundheitsbehörde gemäß Stiko-Empfehlung priorisiert Termine an vorerkrankte Kinder vergeben. Aber auch alle anderen Sorgeberechtigten, die sich mit ihrem Kind für die Impfung entscheiden, können einen Termin erhalten.

Nach den insgesamt fünf Omikron-Fällen von Dienstag und Donnerstag hatte die Gesundheitsbehörde am Freitag keine Kenntnis von weiteren bestätigten Infektionen mit der Mutante. Es gibt laut Sprecherin Segert weitere Verdachtsfälle, eine genaue Zahl konnte sie nicht nennen, diese ändere sich fortlaufend.

Am Freitag erreichte eine Sonderration an Biontech-Impfstoff die Hansestadt. „Der Impfstoff musste von uns aus dem dafür vorgesehenen Lager des Bundes abgeholt werden und ist mittlerweile in Hamburg angekommen. Eine genaue Zahl kann ich nicht nennen – es ist aber ausreichend, um die zuletzt erfolgten Lieferkürzungen auszugleichen“, sagte Segert. Die städtischen Impfangebote, die ohne Terminvereinbarung stattfinden, seien derzeit nicht komplett ausgelastet (Infos: www.hamburg.de/corona-impfstationen).