Hamburg. Sie hinterließ ein großes Vermögen: Ein neues Buch erinnert an die zurückhaltende Mäzenin, deren Namen in der Stadt nur wenige kennen.

Viele reiche Menschen sind heutzutage landesweit bekannt. Sie tragen große Namen, drängen in Talkshows, machen sich in den sozialen Medien als „Stars“ wichtig oder fallen durch kostspielige Extravaganzen auf. Viel interessanter sind aber eigentlich diejenigen, die in der Zurückgezogenheit gelebt haben und deren Namen auch nach vielen Jahrzehnten kaum bekannt sind.

Eine davon war Wilma Süllau, geborene Hartmann, über die Franz Wauschkuhn jetzt ein Buch geschrieben hat. Bereits Der Titel „Die Familie von nebenan“ verdeutlicht die fast unglaubliche Unauffälligkeit, die alle vom Autor Beschriebenen trotz erheblichen Wohlstands über Jahrzehnte pflegten.

Neues Buch über Hamburgs Multimillionärin Wilma Süllau

Begonnen hatte der Aufstieg der Familie mit dem besonderen Spürsinn des 1860 geborenen Heinrich Hartmann. Als die verkehrstechnische Erschließung im Norden Barmbeks voranging, kaufte Hartmann im September 1888 zwei Grundstücke an der heutigen Ecke Fuhlsbüttler Straße/Hellbrookstraße. Vorab war es dem selbstständigen Maurermeister gelungen, sechs Geldgeber zu überzeugen, ihm dafür insgesamt 20.000 Goldmark anzuvertrauen – eine ungeheure Summe.

Heinrich Hartmann bebaute das Grundstück mit einem Mehrfamilienhaus, kaufte zusätzliches Land, baute weiter. Nach dem Tod des Seniors übernahmen seine Söhne Otto und Ernst das Unternehmen, das sie mit der Zeit zu einem Immobilien-Imperium entwickelten. Es entstanden Wohnblocks an der Fuhlsbüttler Straße, an Schwalben- und Drögestraße – immer in Barmbek Nord, immer in Eigenregie. 1929 wurde Ernst Hartmanns Tochter Wilma geboren – als einzige Nachfahrin der Brüder.

Hartmann-Familie spart eisern

Otto und Ernst Hartmann steuerten das Unternehmen sicher durch die Jahrzehnte und mehrten ihr Vermögen. Wie viele Menschen, die Kriege und Inflationen erlebt haben, sparten die Hartmann-Brüder und ihre Ehefrauen eisern – obwohl stets genug Geldmittel vorhanden waren. Die Brüder, die zeitlebens zusammenhielten, teilten sich ein Auto und fuhren gemeinsam (inklusive ihrer Angetrauten) in kleinere Urlaube, die sie stets an der See oder in den Bergen verbrachten. Gewohnt wurde selbstverständlich im eigenen Bestand in wenigen Zimmern.

Die Brüder Ernst (l.) und Otto Hartmann gönnten sich keinerlei Luxus.
Die Brüder Ernst (l.) und Otto Hartmann gönnten sich keinerlei Luxus. © Heinrich Hartmann Stiftung

Das im Buch abgebildete Foto ihres „Wohnbüros“ vermittelt ein Bild der unglaublichen Anspruchslosigkeit dieser Familie. So karg und einfach war die Einrichtung, dass der Gesamteindruck schon fast deprimierend wirkt.

Wilma Hartmann und ihr Mann: „Gemeinsam einsam“

„Für die Hartmanns waren persönlicher Konsum und Unterhaltung Luxus“, schreibt Franz Wauschkuhn. „Bescheidenheit war Zierde der ganzen Familie.“

Nach dem Tod von Onkel und Vater in den 1960er-Jahren übernahm Wilma Hartmann, die schon lange in der Firma mitgearbeitet hatte, die Geschäfte ganz. 1959 hatte sie den gut aussehenden Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Hugo Süllau geheiratet, mit dem sie allerdings nur wenig zusammen war. Wie Franz Wauschkuhn schreibt, verbrachte Süllau seine Freizeit vor allem mit Tennis- und Kartenspielen, außerdem fungierte er als Chauffeur seiner Frau. Ansonsten lebte man „gemeinsam einsam“, so Wauschkuhn über diese seltsame Ehe, in der es schließlich nicht einmal mehr gemeinsame Urlaube gab.

Haspa legt Geld erfolgreich an

Umso mehr Zeit investierte Wilma Süllau in die geerbten Häuser. Und genauso sparsam und anspruchslos wie ihre Vorfahren verfuhr auch die Multimillionärin selbst. Rund 150 Wohnungen in Barmbek-Nord verwaltete sie im Alleingang, nicht einmal Hausmeister wurden angestellt. Jeden gemeldeten Schaden dokumentierte sie persönlich, und für Instandsetzungsarbeiten beauftragte sie jahrzehntelang immer dieselben Traditionsfirmen aus der Gegend, die ihr absolutes Vertrauen hatten. Die Buchführung erledigte sie, das überrascht kaum, per Hand. Es gibt ein paar Fotos von unspektakulären Urlauben: Wilma Süllau, die stets unscheinbar und scheu wirkt, mal beim Wandern, mal bei einem Eisbecher oder einer Karaffe Wasser im Café sitzend. Gelegentlich mal ein Gläschen Sekt – das war’s dann auch schon.

1986 verkaufte Wilma Süllau ihren gesamten Immobilienbestand an den Allianz-Versicherungskonzern. Für sie war es, wie Wauschkuhn schreibt, „nach drei Jahrzehnten der Hausverwaltung Zeit, einen Punkt zu setzen“. Das Geld wurde dann von der Haspa, welche die Familie über Jahre begleitet hatte, erfolgreich angelegt. 2010 starb ihr Mann Hugo, weitere Angehörige gab es nicht. Schon Otto und Ernst Hartmann hatten erwogen, ihr Vermögen in eine wohltätige Stiftung einzubringen – eine Idee, die ihre einzige Erbin nun umsetzte. Die „Heinrich-Hartmann-Stiftung“, deren Name auf ihren Wunsch hin an den Firmengründer erinnert, wurde unter dem juristischen Dach der Haspa-Hamburg-Stiftung etabliert­. 2014 nahm sie ihre Tätigkeit auf, 2019 starb Wilma Süllau in ihrer Wohnung – so still, wie sie gelebt hatte.

Wilma Hartmann: Die anspruchslose Millionärin

Die Stiftung verfügt heute über ein Vermögen von rund 40 Millionen Euro. Zuwendungen gehen unter anderem an den Jugendsport, Kindergärten, Wissenschaft und Forschung sowie Tierschutz. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Gegend, die das Leben von drei Generationen Hartmann geprägt hat: Barmbek. Alleine in den vergangenen zwei Jahren wurden unter anderem der Barmbeker Verein für Kultur und Arbeit, der Schulverein der Stadtteilschule Barmbek und der Sportverein Barmbek-Uhlenhorst v. 1923 gefördert.

Auf diese Weise ist Wilma Hartmann, die anspruchslose Millionärin, die zu Lebzeiten nur wenige kannten, heute noch auf vielfältige Weise präsent.