Hamburg. Verwehten Geldscheine im Gebüsch, Schießerei auf dem Kiez, Erniedrigung: Der Lohbrügge plant ein unterhaltsames Buch über seinen Job.

Von flitzenden Ratten, freundlichen Dominas und Familienschmuck im Müll kann Frank Fischer reichlich Geschichten erzählen, auch von dem blau geprügelten Kerl, der um 7 Uhr auf dem Bordstein vor dem Club 88 lag: Seit fast 40 Jahren arbeitet der Lohbrügger für die Hamburger Stadtreinigung: „Das ist zwar ne olle Schufterei, macht in einer guten Kolonne aber auch richtig geil Spaß“, meint der 58-Jährige, der jetzt anfangen will, seine Berufsgeschichte aufzuschreiben: Handschriftlich sind es schon 280 Seiten. „Ich habe mir extra eine Schreibmaschine gekauft, denn im Computer habe ich das nie wiedergefunden“, gesteht er.

Nach Lehre zum Maler, Tapezierer und Lackierer blieb der „Barmbeker Jung“ blöderweise arbeitslos – und suchte als 18-Jähriger einen Job: „Mein Vater war 36 Jahre bei der Asche, ich wollte auf gar keinen Fall zu ihm auf den Hof am Bullerdeich. Dann haben sie mich aber – zack – genommen und erst mal für die Gehwegreinigung auf St. Pauli eingesetzt“, erzählt Frank, den alle den Dachs nannten, weil seine kurzen Haare oben blondiert waren. Das war 1984.

Ein Kaffee im Bistro „Zum heißen Reifen“

Morgens um 6 Uhr wurden Karren, Schaufel und Besen beim Bauhof an der Clemens-Schulz-Straße geholt, dann ging es meist schweigend über die Reeperbahn, runter bis zur Großen Freiheit: „Da hatte ein total witziger Homo einen Kiosk an der Ecke, wo wir immer Pause machten.“ Danach ging es auf der anderen Straßenseite zurück über den Hans-Albers-Platz, wo es im Bistro „Zum heißen Reifen“ einen Kaffee gab. „Einmal kam eine hübsche Perle aus einem Saunaclub und entdeckte diesen braun gebrannten Luden in seinem James-Bond-Auto. Der guckte nur auf seine goldene Uhr, gab ihr mit der flachen Hand ’ne ordentliche Backpfeife und meinte, sie hätte noch nicht Feierabend.“ Weiter durch die Herbertstraße, so stand es auf seinem Fegeplan: „Eine Domina war total nett und sagte, dass hier doch die Kehrmaschine komme, ich kein Kopfsteinpflaster fegen müsse.“

Sehr schüchtern sei er noch gewesen und total erschrocken, als sich zwei Zuhälter eine Schießerei lieferten: „Die haben den Cola-Lieferanten mit der Glatze angeschossen. Irgendwie war immer Rambazamba, aber wir von der Mülle kriegten auch oft ein Bier angeboten“, erzählt der Mann, der nicht trinkt und nicht raucht: „So wirst du nie ein Müllmann“, hieß es zwei Jahre später in der Kantine vom Wandsbeker Bauhof an der Rahlau: „Die standen schon mit ’ner Pulle Korn vorm Spint, und ich dachte, das schaffe ich nie.“ Doch bei der Wagenkolonne 12 kam er gut mit „Fick Falk“, dem „Pferdeschädel“ und „Gurke“ zurecht: „Der hat so viel geschwitzt, dass er für uns nur aus Wasser bestand. Alle hatten einen Spitznamen – bis auf den dusseligen Hans, der manchmal verschwunden war, weil er am Hauptbahnhof Züge gucken wollte.“

Fallobst, Bauschutt und Katzenstreu in den schweren Tonnen

Damals gab es noch runde Hauseimer mit zwei Griffen, die getrudelt wurden und über Kopf in die Schüttung kamen. Bei zehn Tonnen war der Wagen voll: Aus dem Keller holen, kippen, wegbringen – so teilten sich die vier Auflader ein, dazu kam der Fahrer, der auch durch Sackgassen lavieren musste, an Baustellen-Absperrungen vorbei und geparkten Autos. „In Meiendorf standen tausend kleine Eimer an der Straße, und die waren vor allem montags immer knüppelvoll und scheiße-schwer, weil die da ja alle Gärten haben“, berichtet Frank Fischer, der auch Fallobst, Bauschutt, mit Wasser abgelöschte Asche und Katzenstreu in den schweren Eimer fand. Doch „gerade die feinen Pinkel in ihren Villen, auch in Duvenstedt, Lemsahl und Marienthal, stellten selbst im heißen Hochsommer nie mal einen Wasserhahn für uns an. Dagegen war das Bramfelder Arbeiterviertel Weltklasse, da stand auf den Müllboxen auch mal ein Tablett mit Kuchen und Wasserflaschen.“

Allerdings musste man auch vorsichtig sein – wegen Vorteilnahme im Amt und so: „Ein Café-Wirt an der Langen Reihe musste mal Strafe bezahlen, weil er uns in der Pause häufig ’nen Pott Kaffee und belegte Brötchen schenkte“, erinnert sich der Müllwerker ebenso wie an die Wandsbeker Zuhälterkneipe Corner 57, wo wöchentlich eine Kiste Whisky bereitstand: „Dafür sollten wir aber auch die alten Nachtspeicherheizungen mitnehmen. Asbest kannte zu der Zeit ja noch keiner.“

Einer fragte: „Haste nix inne Mauken?“

Mal suchte eine Schneidermeisterin nach 100 Mark, die sie versehentlich weggeschmissen hatte. Mal war ein junger Mann verzweifelt, da er den Familienschmuck der Mutter vermisste: „Der kam dann mit zur Kippe und hat in zwölf Tonnen Müll nichts gefunden.“

Lassen wir lieber mal die Geschichte von den Maden im Müll des China-Mannes, vom sommerlichen Monster-Geruch auf dem Hamburger Schlachthof oder dem Typen, der fragte: „Haste nix inne Mauken?“ Dabei war sein Müllcontainer randvoll mit abgelaufenen Konservendosen. Ganze zwölf Jahre lang blieb Frank Fischer derselben Kolonne treu: „Wir haben uns angeschrien, geschubst, gestreichelt und gelacht. Aber nie hat einer was gepetzt, bei guten Kollegen bleibt halt alles am Wagen“, so der 58-Jährige, der täglich acht bis 15 Kilometer hinter sich brachte, abends noch ins Bergedorfer Fitnessstudio ging – und heute zwei neue Hüften hat.

In harten Wintern begann der Dienst um 3 Uhr

Die erinnern an Schlepperei und harte Winter, in denen das Telefon neben dem Bett lag, um Frau und Tochter nicht zu wecken: „Bei Eisregen gab es nachts um 3 Uhr einen Sofortruf. Da musste ich schnell aus den Federn, um als Erstes die Brücken abzustreuen“, sagt Frank, der sich über seinen Beruf nie beschwert hat. „Aber einmal haben wir gestreikt und standen mit unseren Wagen versetzt auf der Bergedorfer Straße. Das gab einen richtig langen Stau bis nach Geesthacht.“

Die Pausen mit Karten-Kloppen (natürlich um Geld) seien super gewesen, aber eigentlich gab es auch immer genug zu tun: Parkplätze reinigen, Grünanlagen, kilometerweise Straßen, dazu kam manchmal ein bisschen Pech: „Am Steindamm hatte ich immer die Seite mit dem Wind, da lag am meisten Dreck, während mein Kollege drüben schon fertig war.“ Da muss man sich beeilen, denn Überstunden seien verpönt gewesen. Aber am Wochenende kam noch der Sperrmüll dazu: „Der war in Harburg oft haushoch aufgetürmt. Und da fanden wir sogar Waffen, Schwerter, Taschenmesser und Geld“, berichtet Frank, der auch gern die Geschichte von den verwehten Dollarscheinen im Gebüsch erzählt oder von den „alten Hasen“, die nach dem Hafengeburtstag oder Alstervergnügen sogar die Roste vom Boden hochhoben: „Das fand ich übertrieben und hatte erst gar nicht verstanden, dass dort Münzen lagen.“

Heutzutage ist Müllentsorgung akademischer

Eimer und 130-Kilo-Eisencontainer mussten gewaschen werden, „auch die Griffe habe ich repariert“, erzählt der Müllwerker, dessen nächste Station der Recyclinghof am Lademannbogen im Hummelsbüttel war – und der nie vergisst, als da mal Nitroglycerin abgestellt wurde und der ganze Hof evakuiert wurde.

Heutzutage sei alles viel komplizierter: Da gibt es sogar eine Abladestation für durchimprägniertes A4-Holz auf dem „Reci“, andere Plätze sind nur für Farbreste, Biomüll oder Altpapier: „Da muss man fast schon für studieren, wenn man da abrechnen muss, was davon privater oder gewerblicher Müll ist“, meint der 58-Jährige, der ab und an auch auf dem Bergedorfer Recyclinghof am Kampweg aushalf, wenn jemand krank wurde: „Da gibt es mitten in der Männerdomäne die Einteilerin Carmen. Die hat mir zum Geburtstag mal einen Kuchen geschenkt, da habe ich in der Kantine einen ganz schön roten Kopf bekommen.“

Manchmal von oben herab behandelt worden

Doch nicht alles sei liebenswert gewesen: „Hallo Holz“, rief ihm mal ein Schnösel zu und winkte mit einem Brett. „Ich habe ,Hallo Handschuh‘ geantwortet, weil ich welche anhatte. Kann doch nicht sein, dass so einer keinen ganzen Satz spricht“, meint der „Mann von der Mülle“ – der sich nicht an der Ehre kratzen lässt. Wobei das als junger Mann mal anders war, als er die Tonnen vor der Schule an der Koppel leerte: „Die haben einfach Sachen aus dem Fenster geschmissen. Ich fühlte mich total erniedrigt, wie ein Mensch zweiter Klasse.“ Zum Glück aber habe der Rektor dann den Kids von St. Georg die Leviten gelesen.

Auch bei der Stadtreinigung seien sehr skurrile Leute gewesen, „aber die haben sich alle toleriert und akzeptiert“, sagt Frank, der großen Wert auf Anstand legt: „Ich habe ja auch die Alstertreppen gefegt und gedacht, der Bürgermeister kontrolliert mich vielleicht mit einem Fernglas.“ Da habe er vorsichtshalber immer zum Rathaus gewinkt: „Ist ja mein Chef, und ich bin ja auch ein netter Kerl.“

  • Die Hamburger Stadtreinigung in Zahlen

Natürlich hat sich viel verändert, seitdem Frank Fischer 1984 bei der Hamburger Stadtreinigung angefangen hat. Heute zählt sie 3397 Mitarbeiter, die sich im Geschäftsjahr 2020 um insgesamt 978.021 Tonnen Abfall kümmerten, allein 777.489 Tonnen stammten aus Privathaushalten (davon 437.292 aus den schwarzen Restmüllbehältern). Der Umsatz des Unternehmens belief sich auf 379 Millionen Euro.

Gereinigt werden gut 7700 Kilometer Fahrbahnen mit Kehrmaschinen. Zudem gibt mehr als 6000 Kilometer Gehwege. „Auf mehr als 3000 Kilometern davon sorgen wir gegen Gebühr für Sauberkeit“, so die SRH, die zuletzt 16.133 Tonnen Kehricht zählte, zudem im Herbst 19.339 Tonnen Laub von Fahrbahnen, Gehwegen und aus Gärten sammelte.

Zu den Straßen kommen rund 3080 Grünflächen, 2304 dieser Flächen sind Parks – samt 774 Spielplätzen: Es gilt, mehr als 32 Quadratkilometer Fläche sauber zu halten. Damit dies gelingt, wurde vor genau 25 Jahren die Hotline „Saubere Stadt“ eingeführt, die allein im Jahr 2020 insgesamt 111.957 Meldungen zu Verschmutzungen erhielt.

Der Winterdienst ist bei Schnee- und Eisglätte mit bis zu 850 Kräften in 360 Wagen im Einsatz, räumt und streut 3200 Kilometer auf verkehrswichtigen Routen, 660 Kilometer wichtige Gehwege ohne winterdienstpflichtige Anlieger, 8400 Zebrastreifen und 4250 Bushaltestellen.

In der ganzen Stadt sind 19.500 rote Papierkörbe aufgestellt. An 900 Orten finden sich Depotcontainer für Altpapier, Glas und Leichtstoffverpackungen. Dazu kommen zwölf Recyclinghöfe, die von 1.444.390 Kunden angesteuert wurden, die 111.663 Tonnen an Sperrmüll, Wert- und Problemstoffen ablieferten. Weitere 34.899 Kunden bestellten eine Sperrmüllabfuhr.