Hamburg. Die Zweite Bürgermeisterin zieht eine Lehre aus Covid-19 und benennt, in welchem Bereich es erste Lockerungen geben kann.
Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) hat Corona am eigenen Leib erfahren, im Senat gestaltet sie die Pandemie-Politik von Rot-Grün mit. Wie sie ihre Erkrankung überstanden hat, wann Lockerungen möglich sind, wie sie zur Impfpflicht steht und was der neue Grünen-Bundesvorstand anpacken sollte, erzählt sie im Interview.
Hamburger Abendblatt: Wie geht es Ihnen nach Ihrer Corona-Erkrankung?
Katharina Fegebank: Ich habe sie gut überstanden. Aber wenn mir vorher jemand gesagt hätte, dass dies ein milder Verlauf ist, dann hätte ich gern darauf verzichtet. Das hat mich schon heftig aus der Kurve getragen, und ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann ich mal längere Zeit so darniederlag. Dass die ganze Familie positiv getestet und deshalb zu Hause war, bedeutete eine zusätzliche Herausforderung.
Spüren Sie noch die Folgen von Covid?
Fegebank: Nein, ich habe das Gefühl, wieder voll da und ganz im Alltag angekommen zu sein.
Es gibt ja Menschen, die sich bewusst anstecken wollen, um es hinter sich zu haben und dann immun zu sein. Würden Sie das anhand Ihrer Erfahrungen empfehlen?
Fegebank: Nein, davor kann ich nur warnen. In manchen Fällen kam es da ja auch zu sehr, sehr schweren Verläufen. Es sind hoffentlich nur Einzelfälle, in denen sich Menschen bewusst infizieren. Doch dazu kann ich niemandem raten. Stattdessen sollte man sich impfen lassen – das ist der beste Schutz. Ich bin sehr dankbar für die Impfung: Impfen hilft, Impfen rettet Leben.
Ihre 2018 geborenen Zwillingsmädchen besuchen eine Kita. Wie erleben Sie die Lage dort als Mutter?
Fegebank: In unserer Kita lief es von Beginn an sehr professionell, der Gesundheitsschutz von Kindern und Erziehern stand an erster Stelle, es wird dort viel getestet. Die Organisation ist gut, wir durften das Kitagebäude seit Beginn der Pandemie nicht mehr betreten, sondern geben die Kinder am Eingang ab. Zuletzt gab es auch dort vermehrt Fälle, was durch kürzere Betreuungszeiten aufgefangen wurde. Das stellt Berufstätige natürlich vor Herausforderungen. Aber das Zusammenspiel klappt insgesamt gut.
Wo stehen wir derzeit in der Pandemie, wann sind Lockerungen möglich?
Fegebank: Wir haben durch Omikron wahnsinnig hohe Infektionszahlen – angefangen im Norden, zieht sich das durch die ganze Republik. Wir als Senat spüren natürlich den Druck, Beschränkungen jetzt schrittweise aufzuheben. Aber es wäre fahrlässig, jetzt sofort alle Beschränkungen aufzuheben. Wir wissen nicht, ob wir derzeit wirklich schon eine Trendwende erleben. Der Senat beobachtet die Lage weiterhin sorgfältig. Wir werden alle Grundrechtseinschränkungen sofort zurücknehmen, wenn sie nicht mehr zwingend zum Schutz von Leben und Gesundheit erforderlich sind. Das ist im Übrigen keine pfiffige Idee der FDP, sondern eine Selbstverständlichkeit. Aber aktuell brauchen wir die Beschränkungen noch. Jetzt sofort alles zu lockern, ohne zu wissen, wie sich die Omikron-Welle weiterentwickelt, wäre falsch – geradezu fahrlässig. Denkbar ist, dass wir Anpassungen im Einzelhandel vornehmen. Das besprechen wir im Senat.
Der Scheitelpunkt der Omikron-Welle scheint in Hamburg aber doch erreicht.
Fegebank: Ich sehe die Trendwende noch nicht. Wir haben in etwa gleichbleibende Zahlen, manchmal geht es etwas herunter und dann wieder leicht hinauf. Glücklicherweise gab es keinen dramatischen Anstieg der Patientenzahlen auf den Intensivstationen, aber die Krankenhäuser insgesamt sind sehr beansprucht. Der Expertenrat der Bundesregierung hat sich klar dafür ausgesprochen, die geltenden Beschränkungen noch beizubehalten.
Schleswig-Holstein hat – bei ähnlicher Corona-Lage – gerade Lockerungen in einigen wichtigen Bereichen angekündigt.
Fegebank: Unsere nördlichen Nachbarn haben in der Vergangenheit häufig etwas anders entschieden als wir in Hamburg. Ich will, dass wir einen echten, dauerhaft stabilen Abwärtstrend sehen, bevor wir jetzt grundlegende Lockerungen ermöglichen. Ratsam ist auch der Blick über Hamburg hinaus: Nach meiner Wahrnehmung ist die Welle noch nicht überall angekommen. Es bleibt abzuwarten, was steigende Infektionszahlen im Süden und Osten des Landes auslösen, gerade bei der dort teils größeren Quote Ungeimpfter. Das gehört zur Gesamtbetrachtung dazu. Wenn wir jetzt zu schnell alle Eindämmungsmaßnahmen zurücknehmen, hätte ich Sorge, dass wir einige Lockerungen nach kurzer Zeit rückgängig machen müssten, wenn sich etwa die Lage in den Krankenhäusern in anderen Landesteilen zuspitzt. Hamburgs Kliniken wären mittelbar auch betroffen. Wir müssen herauskommen aus dieser Dauerschleife, die so zermürbend ist und dazu beiträgt, dass Vertrauen in die Politik verloren geht.
Können Sie das konkretisieren: Wann ist es Zeit, über Lockerungen zu sprechen?
Fegebank: Mit Blick auf die nächste Ministerpräsidentenkonferenz am 16. Februar muss ein klarer Fahrplan besprochen werden. Deutschland insgesamt muss durch sein mit der Omikron-Welle, damit wir in einen Lockerungspfad gehen können.
Gastronomen wünschen sich mehr Planungssicherheit, zumindest einen Fahrplan, wann Beschränkungen wegfallen könnten.
Fegebank: Ich bin mir sehr sicher, dass sich in ganz naher Zukunft klare Pfade ergeben werden. Wir haben die klare Erwartung, dass auf der Ministerpräsidentenkonferenz am 16. Februar besprochen wird, welche Voraussetzungen für welche Lockerungsschritte erfüllt sein müssen.
Mitte Februar gibt es also einen Plan, wie es weitergeht?
Fegebank: Wenn wir bis dahin verlässliche Daten zur Lageeinschätzung haben, wäre das meine Erwartung.
Wie können wir aus dem ewigen Kreislauf entspannter Sommer und schwerer Winter herauskommen – von der pandemischen in eine endemische Lage?
Fegebank: Dafür ist es wichtig, dass die Impfpflicht aus dem Bundestag heraus zum Erfolg geführt wird. Das wäre sicher ein Schritt in eine neue Normalität, einem Leben mit Corona. In Dänemark sieht man, dass eine sehr hohe Impfquote auch sehr schnell dazu führt, dass alles wieder normal ist. Die Impfpflicht kann uns hoffentlich helfen, aus dieser Dauerschleife herauszukommen.
Kann sie das alleine?
Fegebank: Je höher die Immunität in der Bevölkerung ist, umso besser kann das gelingen. Es kann natürlich sein, dass es bestimmte Maßnahmen auch weiterhin in bestimmten Situationen geben wird, also etwa Masken, Hygiene und Abstand. Ich habe mich relativ früh für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ausgesprochen. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern haben wir eine noch immer zu geringe Grundimmunität. Ich will, dass wir kommenden Wellen im Herbst vorbeugen.
Die aktuelle Impfung schützt nicht sicher vor Infektionen, und Experten rechnen mit einem baldigen Ende der Omikron-Welle. Ist eine aktuell womöglich nur wenig hilfreiche Impfpflicht es wert, dass man dafür eine wachsende Radikalisierung von Menschen in Kauf nimmt, wie wir sie gerade bei vielen Demonstrationen erleben?
Fegebank: Uns geht es darum, den Gesundheitsschutz ganz nach vorne zu stellen und die Überlastung des gesamten Gesundheitssystems zu vermeiden. Wir haben den Leuten eine ganze Menge zugemutet über die letzten zwei Jahre, auch Einschränkungen in bisher nicht gekanntem Ausmaß. Für mich bedeutet Impfpflicht Freiheit. Und sie ist auch ein Signal an die überübergroße Mehrheit, die alles mitgetragen hat und sich wie selbstverständlich dreimal, jetzt in einigen Fällen auch schon zum vierten Mal hat impfen lassen – auch um andere zu schützen. Ich bin für eine allgemeine Impfpflicht und finde den jetzt vorgelegten Vorschlag überzeugend, aber aus Gesprächen mit Medizinern höre ich, dass auch eine Impfpflicht ab 50 durchaus ihre Begründung hätte, weil sie schwere Verläufe gut verhindert. Da ist eine Offenheit bei mir. Aber es bleibt bei mir der Anspruch: Wir können nur durch das Impfen zur allgemeinen Freiheit zurückkommen.
Heißt das, wir brauchen eine Impfpflicht für alle bekannten und kommenden Varianten?
Fegebank: Bisher wissen wir, dass die Dreifachimpfung einen ziemlich umfassenden Schutz gegen alle bekannten Varianten bietet. Wie es sich mit kommenden Varianten verhält, das wird uns die Wissenschaft sagen. Wir müssen als Politik und auch insgesamt als Gesellschaft wissen, dass wir uns immer wieder neu auf veränderte Bedingungen einstellen müssen.
Die Stiko empfiehlt jetzt die vierte Impfung ab 70 und für vulnerable Gruppen. Ist Hamburg darauf vorbereitet oder werden wir so schlecht abschneiden wie beim Boostern, wo Hamburg lange ganz hinten lag?
Fegebank: Es werden ja jetzt schon vierte Impfungen bei niedergelassenen Ärzten angeboten. Und das ist natürlich etwas, das auf der Agenda steht und auch Teil der Absprachen der Gesundheitsminister ist. Deswegen gehe ich davon aus, dass wir gut vorbereitet sein werden. Aktuell ist es übrigens so, dass wir Impfstoff übrig haben. Wir haben mehr Impfstoff als Nachfrage.
Welche Perspektiven haben die Hochschulen in dieser Lage?
Fegebank: Es ist unbedingter Wille, das Sommersemester in Präsenz starten zu lassen, und darauf bereiten sich die Hochschulen auch vor. Auch die Studierenden sind seit zwei Jahren mit dieser Ausnahmesituation konfrontiert, die mit vielen Belastungen und Einschränkungen verbunden ist. Wir müssen unbedingt wieder zu einem echten Campusleben kommen.
Zur Bundespolitik: Olaf Scholz ist erstaunlich wenig präsent, mancher kritisiert bereits mangelnde Führungsstärke. Sie kennen Scholz ja sehr gut. Wie bewerten Sie diese Zurückhaltung?
Fegebank: Ich bin mir sehr sicher, dass er zu jeder Zeit alles tut, um innenpolitisch und außenpolitisch seine Rolle als deutscher Bundeskanzler gut auszufüllen. Er ist jemand, der nichts dem Zufall überlässt, der viel spricht und abstimmt und im richtigen Moment dann auch meistens die richtigen Entscheidungen trifft.
Meistens?
Fegebank: Meistens habe ich gesagt, ja. Das stimmt mich sehr optimistisch, dass das auch hier der Fall sein wird. Ich bin mir sicher, dass er den einen oder anderen Kritiker in den nächsten Wochen noch ziemlich überraschen wird.
Gegen den alten Bundesvorstand der Grünen wird wegen der Auszahlung von Corona-Boni ermittelt. Ist das eine Belastung für die Partei?
Fegebank: Das muss natürlich vollumfänglich aufgeklärt werden. Der neue Bundesvorstand hat ja seine Mitwirkung angekündigt und will alle Unterlagen und Daten zur Verfügung stellen. Das wird sehr ernst genommen, aber ich sehe das nicht als Belastung für den Start der neuen Parteispitze.
Was erwarten Sie politisch vom neuen Bundesvorstand?
Fegebank: Ich erwarte, dass er die Scharnierfunktion zwischen Regierung und Partei richtig wahrnimmt. Das ist keine leichte Rolle. Denn Regieren heißt, Kompromisse einzugehen und in Teilen Abstand nehmen zu müssen von der reinen Lehre der Parteiprogrammatik. Das muss eine Führung in der Partei erklären und vertreten – und gleichzeitig die hohen Erwartungen und Hoffnungen aus der Parteibasis in den Regierungsalltag tragen. Außerdem müssen bei uns die Strukturen modernisiert werden. Die sind teilweise immer noch so wie bei einer Acht-bis-zehn Prozent-Partei. Wir werden in den kommenden Jahren auch zeigen müssen, dass wir keine Ein-Themen-Partei sind, sondern ein politisches Vollsortiment haben. Das ist alles zusammen eine große Aufgabe.
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Selbstbewusst ist die neue Führung ja. Sie hat schon angekündigt, 2025 wieder um die Kanzlerschaft kämpfen zu wollen. Finden Sie das richtig? Und müssten dann nicht die Grünen auch bei der Bürgerschaftswahl 2025 wieder mit einer Bürgermeisterkandidatin antreten?
Fegebank: In Hamburg sprechen wir darüber, wenn es so weit ist.
Die Bundesgrünen haben jetzt schon drüber gesprochen.
Fegebank: Ich finde es richtig, diesen Anspruch zu formulieren. Wir haben ja im Wahlkampf gesehen, was vielleicht hätte drin sein können. Gesellschaft ändert sich ständig und stetig. Aber grüne Themen werden uns noch über viele Jahre begleiten – allen voran die Frage, wie wir beim Klimaschutz auf den 1,5-Grad-Pfad kommen und was es dafür braucht. Der Anspruch, aus der Regierung heraus zu liefern und zu zeigen, dass man es in allen Politikfeldern kann – den zu erfüllen wird wichtig sein, um in der Frage der Kanzlerschaft auch weiterhin mitzuspielen.
Und in Hamburg auch in der Frage der Ersten Bürgermeisterin?
Fegebank: Wir sind hier ja alle hanseatisch zurückhaltend unterwegs. Das entscheiden wir, wenn es so weit ist.