Hamburg. Gutachten: Im Albertinen-Krankenhaus wurde die Patientin mit falschem Thrombosemittel behandelt. Der Fall geht noch weiter.

Es war eine erfolgreiche Operation an den Herzklappen – doch mit den Folgen ihres Aufenthaltes im Albertinen-Krankenhaus in Schnelsen hat eine Hamburgerin noch heute zu kämpfen. Der Frau mussten aufgrund eines Behandlungsfehlers mit einem ungeeigneten Anti-Thrombosemittel nach der OP beide Unterschenkel amputiert werden. Sie ist auf den Rollstuhl angewiesen, kann nicht mehr arbeiten und leidet sechs Jahre nach dem Eingriff auch psychisch.

Aufgrund des Kunstfehlers hat ihr das Landgericht Hamburg nach jahrelangem Rechtsstreit nun ein Schmerzensgeld von 170.000 Euro zugesprochen. Das bestätigte Gerichtssprecher Kai Wantzen dem Abendblatt. Zuvor hatte die „Morgenpost“ berichtet.

Behandlungsfehler: Albertinen-Krankenhaus äußert sich nicht

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, weil das Albertinen noch in Berufung gehen könnte. Ein Sprecher der Immanuel Albertinen Diakonie sagte dem Abendblatt, man könne sich zu dem Fall nicht äußern.

Jetzt geht es noch darum, ob die Folgekosten, die sich aus der Krankheitsgeschichte der Frau ergeben, ebenfalls von der Haftpflicht der Ärzte übernommen werden. Sie dürften sich im Bereich von mehreren Hunderttausend Euro bewegen. Diese Kosten seien noch nicht im Urteil beziffert worden, so Gerichtssprecher Wantzen. Dort sei nur festgestellt worden, dass die Beklagte zu Schadenersatz verpflichtet sei. Einigen sich die Parteien nicht, könnte in einem weiteren Verfahren eine mögliche Höhe verhandelt werden.

Nach Herz-Operation Beine amputiert

Nach der Herz-OP im Albertinen hatte die Frau starke Schmerzen in den Beinen beklagt. Eine Laboruntersuchung hat einen Mangel an Blutplättchen ergeben. Die Patientin wurde mit Schmerzmitteln behandelt, hätte aber nach Auffassung eines Gutachters ein anderes Thrombosemittel gebraucht. Die Ärzte sollen die Ursache des Laborbefundes nicht genau genug untersucht oder die falschen Schlüsse daraus gezogen haben. Als sich die Verfassung der Frau verschlechterte, habe man die Beine unterhalb der Kniegelenke amputieren müssen.

Rechtsanwalt Malte Oehlschläger vertritt die 50-Jährige, die im Bezirk Mitte lebt und ihren Namen nicht nennen möchte, seit vier Jahren vor Gericht. Seine Mandantin, so der Fachanwalt für Medizinrecht, habe „natürlich erst einmal erleichtert“ auf das Urteil des Hamburger Landgerichts reagiert. Die ihr zugesprochenen 170.000 Euro Schmerzensgeld seien aber nur ein kleiner Teil jener 850.000 Euro, die man der Gegenseite – dem Albertinen – zur Abdeckung des sogenannten materiellen Schadens angeboten habe.

Schmerzensgeld nach Behandlungsfehler: Urteil noch nicht rechtskräftig

Unter diesen Gesamtanspruch fallen beispielsweise Positionen wie Verdienstausfall, die durch die Behinderung anfallenden Mehrbedarfe (Pflege etc.) oder auch die Kosten für die Haushaltsführung. Unmittelbar nach dem Verkündigungstermin am 19. Mai habe er den gegnerischen Anwalt deshalb angeschrieben und um die Auszahlung des Schmerzensgeldes sowie um eine Stellungnahme zur Frage einer möglichen Berufung gebeten – eine Antwort stehe noch aus.

„Entweder wir erzielen eine Einigung oder wir werden einen neuen Prozess zur Schadenshöhe führen müssen“, sagt Oehlschläger. Er spricht daher auch nur von einem „Etappensieg“. Prozesse, die wegen ärztlicher Behandlungsfehler geführt werden, dauern regelhaft lange, zumal ja auch immer aufwendige und sehr komplexe Experten-Gutachten beizuziehen sind.

In diesem Fall erstellte die Expertise im Auftrag des Hamburger Gerichts Karl Stangl, Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie an der Berliner Charité. Sein Fazit: Dem Albertinen-Krankenhaus sei ein Behandlungsfehler unterlaufen, und zwar ein „grober“. Es handele sich dabei, so Oehlschläger, um ein „selten eindeutiges Gutachten“.

Ärztekammer: Schlichtungsstelle prüft 10.000 Fälle

Die ganze Geschichte nahm im März 2015 ihren Lauf, im November 2016 reichte die 50-Jährige Klage ein – fünf Jahre, die ihre Spuren hinterlassen haben. Die Betroffene hat lange als Hilfskraft für Büroeinrichtung und als Servicemitarbeiterin gearbeitet. Jetzt ist sie arbeitsunfähig und in Früh-rente. Sie benötige Prothesen und mitunter auch einen Rollstuhl, generell sei sie psychisch stark beeinträchtigt, sagt Malte Oehlschläger.

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Die Hamburger Ärztekammer hat eine eigene Schlichtungsstelle, an die sich Patienten wenden können, wenn sie den Verdacht haben, falsch behandelt worden zu sein. Auch Fragen zu Rechnungen können hier geklärt werden.

Bundesweit waren es 2019 insgesamt 20 Millionen Krankenhausbehandlungen und 10.700 Schlichtungsverfahren. Davon bezogen sich 2988 auf mögliche Fehler bei Operationen, 1031 auf mutmaßlich falsche medizinische Bewertungen von bildgebenden Verfahren, also zum Beispiel Röntgenbilder oder Computertomografien.