Norderstedt. Eine Woche lang diskutieren Experten über die Situation von Betroffenen und Angehörigen – online kann jeder dabei sein.

Die Corona-Pandemie machte die Isolation zum gängigen Alltagsprinzip – mit fatalen Folgen für jene, die besonders darunter leiden – Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. „Für die Betroffenen in der Häuslichkeit oder in Pflegeeinrichtungen ist es schwer, die Hygiene- und Abstandsmaßnahmen zu begreifen und zu verinnerlichen“, sagt Swen Staack, Projektleiter des Kompetenzzentrums Demenz in Norderstedt und Geschäftsführer der Alzheimer-Gesellschaft in Schleswig-Holstein. Der Diplom-Sozialpädagoge kritisiert, dass in Heimen trotz erfolgter vollständiger Impfung weiterhin Maskenpflicht gilt und oftmals strengeBesucherregelungen und Kontakteinschränkungen für die Bewohnerinnen und Bewohner untereinander.

Entlastungsangebote und Helferkreise für Menschen mit Demenz, die zu Hause wohnen, seien außerdem noch nicht überall in dem Maße verfügbar wie vor der Pandemie. „Die vermehrte Isolation, der fehlende Körperkontakt und die Reduzierung von Förderangeboten haben Auswirkungen auf den seelisch-geistigen und körperlichen Gesundheitszustand. Als Folge sind die dementiellen Symptome stärker vorangeschritten, Begleiterscheinungen haben sich verstärkt, und die Sicherheit bei der Mobilität hat abgenommen“, warnt Staack.

Die Alzheimer-Gesellschaften in Norddeutschland diskutieren die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Menschen mit Demenz und deren Angehörige gerade bei der Norddeutschen Fachwoche Demenz. Dabei sollen auch die Zukunftsperspektiven für die Unterstützung ausgelotet werden. Experten wie Staack und Fachmediziner kommen derzeit täglich in Online-Konferenzen jeweils zwischen 15 und 17 Uhr zusammen, für Diskussionen und Vorträge zum Thema. 50 bis 60 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland sind an einer Demenz erkrankt. Allein in Schleswig-Holstein leben etwa 60.000 Demente – Tendenz steigend. In einem Flächenland wie Schleswig-Holstein sei es eine besondere Herausforderung, die nötigen Strukturen der ambulanten wie stationären Diagnostik, Behandlung und Pflege aufzubauen. Die strukturellen Hemmnisse hätten sich in der Coronapandemie verstärkt. Das 2011 gegründete Kompetenzzentrum Demenz in Norderstedt – unter Trägerschaft der Alzheimer-Gesellschaft Schleswig-Holstein und der fachlichen Unterstützung der Ärztekammer Schleswig-Holstein (ÄKSH) – will die Versorgungsstrukturen des Landes ausweiten, verbessern und qualitätsgesichert erhalten. Hierbei koordiniert es Projekte und setzt auf die Kooperation aller beteiligter, medizinischer Fachdisziplinen und ehrenamtlicher Unterstützer. „Das Zentrum ist eine wichtige Schnittstelle bei der Gesamtversorgung von Menschen mit Demenz, bei sozialmedizinischen Fragen, und es unterstützt mit Hilfestellungen und Anreizen zur Selbsthilfe,“ sagt Professor Hans Christian Hansen, Arzt für Neurologie und Nervenheilkunde am Friedrich-Ebert-Krankenhaus in Neumünster.

„Mittlerweile sollte jedem klar sein, dass sich die Pandemie auf alle Lebensbereiche in der Gesellschaft auswirkt. Am härtesten trifft sie jedoch die vorerkrankten Menschen oder Menschen, die ohnehin auf Unterstützung angewiesen sind. Daher ist es wichtig, die Auswirkungen auf die Betroffenen zu analysieren und daraus konkrete Lösungen zu erarbeiten“, sagt Professor Henrik Herrmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein (ÄKSH). Die Alzheimer-Gesellschaft Schleswig-Holstein habe ihre Angebote entsprechend verändert und in den digitalen Raum verlegt, selten jedoch verschoben. Das Kompetenzzentrum Demenz konnte zwar einige innovative Ideen nicht umsetzen, dafür haben sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit September auf digitale Fortbildungen eingestellt. Anfang Mai startete ein Projekt, bei dem ein Beratungsmobil für die nächsten drei Jahre in ländlichen Gegenden der Kreise Dithmarschen, Herzogtum Lauenburg und Plön sein psychosoziales Beratungsangebot auf die Marktplätze bringt.

„Versorgung ist kein starres Konzept. Orientiert man sich an den Patientinnen und Patienten, findet die sektorverbindende Zusammenarbeit aller Beteiligten immer einen Weg, gute Versorgung hervorzubringen“, sagt Kammerpräsident Herrmann.

Norddeutsche Fachwoche Demenz: Anmeldung zu den kostenlosen Online-Veranstaltungen: Kompetenzzentrum@alzheimer-mv.de Das Programm ist unter www.alzheimer-sh.de zu finden.