Hamburg. Niedergelassene Mediziner bereiten sich auf Ansturm vor und beklagen die Bürokratie. KV-Chef fordert ein Ende der Priorisierung.

Bastian Steinberg ist Hausarzt – aber seine Gemeinschaftspraxis in Rahlstedt ist derzeit auch eine Art Callcenter. Die Mitarbeiterinnen am Empfang suchen kurzfristig nach Patienten, die gegen Corona geimpft werden sollen. Weiterhin streng nach Prioritätenliste und Alterskohorten. Oft gehe am anderen Ende niemand ran.

Und wenn doch, sind die Patienten oft entweder bereits geimpft oder haben einen Termin im Impfzentrum. „Wir sehen ja, wie viel Angst wir mit den Impfungen nehmen“, sagt Steinberg. „Aber die Terminfindung allein dauert ganze Tage. Das alles nimmt uns den Schwung.“

Hamburg will beim Corona-Impftempo deutlich zulegen

Hamburg will beim Impftempo noch einmal deutlich zulegen – am Montag teilte die Behörde mit, dass nun alle Lehrerinnen der Stadt impfberechtigt sind und aufgerufen werden. Dank großer erwarteter Lieferungen sollen in den kommenden Wochen auch in den Hausarztpraxen geradezu massenhaft Impfungen stattfinden. Nicht nur der Hausarzt Bastian Steinberg, sondern auch der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung in Hamburg (KVHH), Walter Plassmann, sehen auf dem Weg dorthin jedoch noch enorme Probleme.

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Weiterhin stehe die Bürokratie im Weg. „Ich habe Sorge, dass sich die ersten Ärztinnen und Ärzte wieder aus der Corona-Impfung zurückziehen, weil sie auch eine reguläre Versorgung der Patienten gewährleisten müssen“, sagt Plassmann dem Abendblatt. Deutlich plädiert er für eine Aufhebung der Priorisierung bei der Corona-Impfung in Hausarztpraxen. „Sie macht aus Sicht der Ärzte keinen Sinn mehr.“

Impfstoff-Lieferung von Johnson & Johnson storniert

Die KVHH organisiert für die niedergelassenen Mediziner die Bestellungen der verschiedenen Impfstoffe. „Leider hatten wir noch immer keine einzige Woche, in der alles in der Menge und Form geliefert wurde wie vorgesehen“, sagt Plassmann. Erst am vergangenen Freitag habe man etwa die Verteilung einer größeren Lieferung des Herstellers Johnson & Johnson geplant – ehe die Lieferung am Sonnabend plötzlich ohne Angaben von Gründen storniert worden sei.

Im Video: So funktioniert das Hamburger Corona-Impfzentrum

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 Diese Unzuverlässigkeit sorge für eine Reihe von Problemen. „Etwa bei Biontech­ ist es aufgrund der Lagerungsbedingungen wichtig, feste Impfslots planen zu können. Pläne halten aber oft nur einige Stunden.“

Impfzentrum in den kommenden Wochen voll ausgelastet

Die Sozialbehörde erklärt auf Anfrage, dass die Stadt keinen Einfluss auf die Lieferungen an die Ärzte habe. Diese gingen von den Herstellern entweder direkt ans Impfzentrum der Stadt oder über die Apotheken direkt an die Arztpraxen. Die Liefermengen lege der Bund fest, über den auch die Bestellungen liefen.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Einer Aufstellung des Bundesgesundheitsministeriums zufolge sollen von Mai an pro Woche 1,58 Millionen Dosen Biontech nur an Arztpraxen gehen – das wären gut 35.000 für Hamburg. Von Juni an sollen es dann schon rund 3,5 Millionen Dosen pro Woche sein, also rund 80.000 für Hamburg. Hinzukommen die etwas kleineren Lieferungen anderer Hersteller sowie die Lieferungen an das Impfzentrum – das in den kommenden Wochen mit rund 8000 Impfungen pro Tag durchgehend voll ausgelastet sein wird.

Großer organisatorischer Aufwand für die Ärzte

Was für die Bürger ein Segen ist, bedeutet für die Ärzte einen großen organisatorischen Aufwand, wie die Vorsitzende des Hamburger Hausarztverbandes, Jana Husemann, bestätigt: „Wenn es die Zusagen gibt, müssen innerhalb weniger Tage die Termine gemacht werden.“

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

 Neben den Anrufen nach der Prioritätenliste kämen noch viele telefonische Beratungsgespräche mit Patienten dazu, die einen Termin im Impfzentrum bekommen haben und Fragen dazu an die Hausärzte stellen. Sind die Impflinge schließlich in den Praxen, muss der Ablauf neben der normalen Versorgung organisiert werden.

Mediziner arbeiten am Limit

 „Nach der Impfung bleiben die Patienten noch für 15 Minuten zur Beobachtung, Allergiker für 30 Minuten“, sagt Bastian Steinberg. Die Praxis in Rahlstedt habe man für die Corona-Impfung deshalb teilweise umgebaut. Um alles unter einen Hut zu bekommen, werde öfter nun auch am Freitagnachmittag nach der regulären Sprechstunde geimpft.

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KVHH-Chef Plassmann berichtet sogar, dass Hausärzte verstärkt auch auf Sonnabende und Sonntage auswichen. Ohnehin arbeiteten die Mediziner dabei schon am Limit. „Das geht nicht für immer so weiter“, sagt Plassmann. Es sei zwar wertvoll, dass die Mediziner auch Nachrückerlisten unterhalten dürfen, damit etwa bei kurzfristigen Absagen keine Impfdosen verloren gehen. „Insgesamt ist es aber an der Zeit, mehr Flexibilität zu erlauben und die Hausärzte bei den enormen organisatorischen Vorgaben in die Freiheit zu entlassen.“

Großen Ansturm von Patienten vermeiden

Zu der Frage, ob Impfwillige sich proaktiv an ihre Hausärzte wenden sollten, um einen Termin zu bekommen, sagt Plassmann: „Das hängt von der jeweiligen Situation in der Praxis ab. Für die meisten Ärzte ist es angesichts der Belastung aber deutlich besser, selbst die Patienten einladen zu können und sich keinem großen Ansturm ausgesetzt zu sehen.“

Der Hausarzt Bastian Steinberg sagt: „Bitte nicht anrufen. Auch noch einer Flut von Anfragen begegnen zu müssen können wir nicht leisten.“ Die Empfehlung von Jana Husemann vom Hausärzteverband lautet, auf den Websites der Praxen nachzusehen, ob Fragen nach Impfterminen willkommen sind.

Zahl der Neuinfektionen am Sonntag erstmals wieder leicht angestiegen

Nachdem die Zahl der Neuinfektionen am Sonntag erstmals seit zehn Tagen wieder leicht angestiegen war, hat sich der grundsätzlich positive Trend am Montag wieder fortgesetzt: Mit 232 neuen Fällen wurden 38 weniger registriert als in der Vorwoche. Die Sieben-Tage-Inzidenz sank leicht auf 115,2. Aus den Krankenhäusern wurden am Montag keine neuen Daten gemeldet. Daher blieb es dabei, dass dort 295 Covid-19-Patienten behandelt werden, 113 von ihnen auf Intensivstationen. Neue Todesfälle wurden nicht bekannt.

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