Hamburg. Tagein, tagaus am Airport – und das seit 30 Jahren. Planespotter Timo Soyke erzählt, warum das Hobby so erfüllend ist.

Was „Schmetterlinge im Bauch“ bedeutet, weiß jeder, der schon einmal verliebt war. Wie sich so eine Redewendung noch steigern lässt, weiß man spätestens seit Herbert Grönemeyers Herz-Schmerz-Ballade „Flugzeuge im Bauch“. Die drei Worte passen allerdings auch zu dem, was Planespotter wie den 37 Jahre alten Hamburger Timo Soyke umtreibt.

Hamburger Abendblatt: Herr Soyke, vielleicht sollten wir eine Frage vorab klären: Was ist ein Planespotter? Vielleicht möchten Sie das am Anfang einmal erläutern?

Timo Soyke: Ja, ich glaube, das macht schon Sinn, weil sich viele Leute darunter nichts vorstellen können. Aber wenn man mal am Flughafen spazieren geht, dann wird man sicherlich den einen oder anderen schon von uns gesehen haben. Wir sind wir diejenigen, die in ihrer Freizeit am Flughafenzaun stehen und Flugzeuge fotografieren. Das ist unser Hobby. Und bei manchem wächst das bis zu einer Art Leidenschaft.

Schon als Kind beim Flughafen Hamburg

Wie kommt man dazu?

Planespotter Timo Soyke am „Coffee to fly“, an dem sich viele Menschen treffen, die einen Blick auf die nördliche Start-und-Lande-Bahn des Hamburger Flughafens werfen wollen.
Planespotter Timo Soyke am „Coffee to fly“, an dem sich viele Menschen treffen, die einen Blick auf die nördliche Start-und-Lande-Bahn des Hamburger Flughafens werfen wollen. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Unbekannt

Soyke: Eigentlich ist meine Mutter schuld daran. Die ersten drei Jahre meines Lebens haben wir in Altona gewohnt, ganz in der Nähe des Bahnhofs. Mein Vater hat mich mit der Kinderkarre immer zum Bahnsteig gefahren. Wir haben uns Züge angeguckt. Ab und zu ist da dann ein Flugzeug über unsere Köpfe nach Finkenwerder geflogen. Und natürlich habe ich da in den Himmel geguckt. Mein Vater ist relativ früh verstorben, und meine Mutter stand dann vor der Frage: Wo ziehen wir hin? Ich habe, so erzählte sie mir später, den Wunsch geäußert: ,Mama, ich möchte zum Flughafen umziehen.‘ Und so sind wir 1988 an der Röntgenstraße in Fuhlsbüttel gelandet. Von unserer Wohnungstür bis zum Flughafenzaun waren es nur 200 Meter. Meine Mutter hat mich im Kinderwagen über die Ampel geschoben, am Zaun dem Flughafen zugewendet und gesagt ,Junge, guck dir die Flugzeuge an, da wolltest du hin.‘ Diese Besuche am Zaun haben wir regelmäßig wiederholt. So habe ich angefangen, mich richtig für Flugzeuge zu interessieren.

Eine Boeing 777-36N(ER) von Emirates landet in Hamburg. Solange der A380 nicht zurückkehrt, ist die Boeing das größte Flugzeug, das Hamburg im Linienbetrieb anfliegt.
Eine Boeing 777-36N(ER) von Emirates landet in Hamburg. Solange der A380 nicht zurückkehrt, ist die Boeing das größte Flugzeug, das Hamburg im Linienbetrieb anfliegt. © Unbekannt | Timo Soyke

Aber bis zum richtigen Planespotter war es noch ein weiter Weg.

Soyke: Ich konnte mich relativ schnell frei bewegen und bin mit meinem besten Freund statt auf den Spielplatz eben zum Flughafen gegangen. Wir haben uns da auf die Aussichtsterrasse gestellt, wir sind in die Modellschau gegangen und haben bei den Airlines an den Schaltern gefragt, ob sie Postkarten, Poster oder Modelle haben. Die waren natürlich schwer begeistert, wenn da sechs-, sieben- und achtjährige Knirpse am Schalter stehen und sich brennend für Flugzeuge interessieren. So kam es, dass sich mein Kinderzimmer recht schnell füllte. Ich habe wirklich alles gesammelt, was mit Flugzeugen zu tun hatte. Und irgendwann kam dann der Zeitpunkt, an dem ich angefangen habe, mit einer kleinen „Ritsch-Ratsch-Kamera“ zu fotografieren.

Viele Spotter mit Spiegelreflexkameras

Noch schön mit Film.

Soyke: Ja, genau. Meist stand ich auf der Aussichtsterrasse. Und dort traf ich viele gestandene Spotter mit richtigen Spiegelreflexkameras. Das fand ich toll. Mit 10 oder 11 Jahren habe ich meiner Mutter gesagt, dass ich mir so eine Kamera wünsche. Sie hatte eine Spiegelreflexkamera, aber die durfte ich natürlich nicht so ohne Weiteres benutzen. Die war ihr heilig.

Die waren ja auch teuer.

Soyke: Ich erinnere mich genau: Das war eine Pentax mit einem 135-Millimeter-Objektiv. Meine Mutter sagte: ,Du darfst die Kamera haben, aber du musst sie abarbeiten.‘ Ich habe Einkäufe erledigt, den Müll rausgebracht für eine ältere Dame, die bei uns im Haus wohnte, und vieles mehr. Und irgendwann hatte ich die 100 Mark, die meine Mutter als Preis genannt hatte, zusammen. Natürlich wollte meine Mutter das Geld gar nicht. Es ging ihr um den erzieherischen Effekt. Sie gab mir die Kamera – und steckte die 100 Mark in mein Sparschwein. Mit der Kamera habe ich viele Papierfotos und Dias gemacht. Ich habe mein ganzes Taschengeld für Filme und Entwicklungen ausgegeben. Das ging richtig ins Geld.

Neuanfang nach Wohnungsbrand

Gibt es die Fotos noch?

Soyke: Leider nein. Wir sind 1997 nach Norderstedt umgezogen, und ein knappes Jahr später brach ein Feuer im Keller neben unserem aus. Ich hatte zu dem Zeitpunkt fast 12.500 Dias und etwa 8000 Papierfotos im Keller gelagert. Danach existierte nichts mehr davon. Es ist alles beim Brand vernichtet worden.

Das ist ja bitter. Aber es gab einen Neuanfang.

Soyke: Ja, den gab’s. Ich habe aber erst einmal eine Pause gemacht mit meinem Hobby und meine Ausbildung gemacht. 2005 ging es wieder los, und ich habe direkt digital angefangen.

Wie viele Flugzeug-Fotos haben Sie gemacht?

Soyke: Insgesamt habe ich bestimmt mehr als 2,5 Millionen Mal auf den Auslöser gedrückt. Und wie viele unterschiedliche Flugzeuge ich in meiner Sammlung habe? Das ist schwer zu beziffern. Ich habe das nie wirklich nachgezählt. Aber die Zahl liegt bestimmt im sechsstelligen Bereich.

Hamburgs Luftfahrtgeschehen in einem Blog

Mehr als 100.000 unterschiedliche Flugzeuge. Was machen Sie mit all den Bildern?

Soyke: Ich nutze mehrere Möglichkeiten. Ich habe einen Flickr-Account, in den ich meine Bilder hochlade und präsentiere. Außerdem betreibe ich mit einem Freund gemeinsam einen Blog. Er heißt: eddh-airport.de. Die meisten Passagiere verbinden mit dem Hamburger Flughafen ja die Abkürzung HAM – ein Code für Passagierflughäfen. Die Abkürzung eddh ist die offizielle Bezeichnung der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) für den Hamburger Flughafen. Den Blog gibt es jetzt seit 16 Jahren, und mittlerweile enthält er eine riesige Bild-Datenbank. Der Blog beschränkt sich aber nicht nur auf meine eigene Sammlung. Er hat sich weiterentwickelt: Wir dokumentieren darin das Luftfahrtgeschehen am Hamburg Airport.

Die Flughafen-Feuerwehr posiert vor der Antonow An-225 – dem größten Frachtflieger der Welt.
Die Flughafen-Feuerwehr posiert vor der Antonow An-225 – dem größten Frachtflieger der Welt. © Unbekannt | Timo Soyke

Was bedeutet in diesem Zusammenhang „dokumentieren“?

Soyke: Wir versuchen quasi alles, was vom regulären Flugplan abweicht, bildlich zu dokumentieren und mit einem kleinen erklärenden Artikel aufzubereiten. Jeder, der ein ungewöhnliches Flugzeug in Hamburg gesehen hat, kann sich dann bei uns darüber informieren: Was war das für ein Flugzeug – und warum war es hier? Dazu kommt ein kurzer „Lebenslauf“ des Flugzeuges.

Also geht es am Ende beim Planespotting nicht nur darum, das Flugzeug zu fotografieren, sondern auch noch darum, die Geschichte dazu zu erzählen. Dazu gehört ja dann auch eine Menge Recherche.

Soyke: Ja, ich habe jetzt zum Beispiel eine riesige Dia-Sammlung erhalten, die ich digitalisieren darf. Das sind Aufnahmen aus den 80er-Jahren. Ich darf diese Bilder glücklicherweise auch veröffentlichen. Das finde ich persönlich höchst interessant, weil das meine Kinderzeit war.

Favoriten: Boeing 707 oder Tupolew 154

Sind das auch Ihre Lieblingsflugzeuge?

Soyke: Auch wenn der Airbus A320neo schön leise und technologisch sicherlich faszinierend ist: Ich hänge immer an den alten Fliegern – der Boeing 707 oder auch den russischen Tupolew 154 und 134. Das sind so meine Flugzeuge.

Eine Boeing 747-47C der Japan Air Self-Defence Force (JASDF): Mit ihr kamen der japanische Premierminister Shinzo Abe und sein Gefolge zum G-20-Gipfel 2017 nach Hamburg.
Eine Boeing 747-47C der Japan Air Self-Defence Force (JASDF): Mit ihr kamen der japanische Premierminister Shinzo Abe und sein Gefolge zum G-20-Gipfel 2017 nach Hamburg. © Unbekannt | Timo Soyke

Und bei dieser Digitalisierung finden Sie diese älteren Modelle – und recherchieren die Geschichten, die sich hinter den Fotos verbergen?

Soyke: Ja, ich habe jetzt gerade zum Beispiel einen Beitrag geschrieben, in dem es um ein Foto einer McDonnell Douglas MD-11 von Swissair geht. Wenn man das Bild aus dem Jahr 1991 sieht, erwartet man zunächst gar nichts Besonderes. Als ich die Registrierung des Jets gegoogelt habe, ist mir dann aufgefallen, dass dies die Maschine ist, die am 2. September 1998 vor Peggy’s Cove in Kanada in den Atlantik gestürzt ist. Alle 229 Menschen an Bord kamen dabei ums Leben. Wenn man das weiß, betrachtet man das Bild ganz anders – und liest sich da tiefer ein.

Gibt es spannende Geschichten aus der jüngeren Vergangenheit?

Soyke: Im vergangenen Jahr gab es sehr viele coronabedingte Hilfsflüge, gerade zu Beginn der Pandemie. Da mussten ja erst einmal medizinische Geräte, Masken und Schnelltests, die nicht mehr in Deutschland produziert wurden, aus China eingeflogen werden. Und so kam es, dass ganz viele Maschinen gechartert wurden und nach Hamburg flogen. Das kann man natürlich auch alles auf unserem Blog nachvollziehen. Das sind alles Maschinen, die man im Normalfall hier in Hamburg nicht sehen würde. Für mich als Spotter war das total interessant. Das sind die Motive, für die ich zum Flughafen fahre.

Alarm in der App Flightradar24

Wie erfährt man eigentlich als Spotter rechtzeitig, ob solche besonderen Flüge anstehen?

Soyke: Ich gebe Ihnen einmal ein kurzes Beispiel: Es gab im vergangenen Jahr einen Airbus A340, der bestimmt an die 20- bis 30-mal nach Hamburg geflogen. Nach der ersten Landung habe ich mir in der App Flightradar24 einen Alarm gesetzt. Wenn die Maschine mit Ziel Hamburg an ihrem Start-Flughafen in China abfliegt, bekommt man einen Alarm auf das Handy. Dann dauert es 13 Stunden bis Hamburg, und man kann sich entsprechend vorbereiten. Passenderweise kam der Jet auch ein paarmal aus Wuhan.

Die Boeing VC-25A – auch Air Force One genannt –, aufgenommen am 6. Juli 2017 am Hamburg Airport. Es war eine von zwei baugleichen Maschinen, die kurz hintereinander landeten. In einer davon saß US-Präsident Donald Trump.
Die Boeing VC-25A – auch Air Force One genannt –, aufgenommen am 6. Juli 2017 am Hamburg Airport. Es war eine von zwei baugleichen Maschinen, die kurz hintereinander landeten. In einer davon saß US-Präsident Donald Trump. © Unbekannt | Timo Soyke

So lange gibt es solche Apps noch nicht. Wie war das früher? Kontakte?

Soyke: Kontakte schaden nur dem, der sie nicht hat. Und ich hatte z. B. das große Glück, dass einer meiner Nachbarn am Flughafen gearbeitet hat. Er hat mich früher auch mal mit rausgenommen aufs Vorfeld. Damals war das ja alles noch ein bisschen entspannter, und es gab am Infostand einen Sonderflugplan auf Papier. Wenn man ganz freundlich gefragt hat, dann hat man den mindestens zu sehen bekommen. Manchmal war der oder die Mitarbeiterin am Schalter auch so nett und hat den Plan kopiert. Die Informationen wurden aber auch unterein­ander getauscht. So nach dem Motto: ,Du, fahr jetzt noch nicht nach Hause, da kommt in einer halben Stunde noch ein interessanter Flieger.‘ So war das vor der Internetzeit. Manchmal wünsche ich mir das zurück – das war um einiges entschleunigter. Es ging nicht darum, wer als Erstes das Foto von dem Flieger im Internet hat. Man konnte ein bisschen lockerer planen. Wenn ich damals vom Spotten nach Hause gefahren bin und es landete noch ein Highlight, dann war das halt so. Heute sitze ich im Bus, schaue noch mal auf das Smartphone und denke: ,Verdammt, da kommt ja noch ein Flieger.‘ Und dann fahre ich auch schon mal zum Flughafen zurück.

Dieser Airbus A320-214 der Brussels Airlines landete am 1. Juni 2017 in Hamburg Airport – mit einer Sonderbemalung, anlässlich des Tomorrowland-Festivals in Belgien.
Dieser Airbus A320-214 der Brussels Airlines landete am 1. Juni 2017 in Hamburg Airport – mit einer Sonderbemalung, anlässlich des Tomorrowland-Festivals in Belgien. © Unbekannt | Timo Soyke

Es klang ja gerade an, dass die Planespotter eine richtige Community sind. Wie groß ist die in Hamburg?

Soyke: Den harten Kern schätze ich inzwischen so auf 200 bis 300 Spotter. Gerade in den vergangenen vier bis fünf Jahren sind viele dazugekommen. Die kamen irgendwie alle auf einen Schlag – als ob die sich verabredet hätten. Wenn man die Leute, die gelegentlich rausfahren, dazuzählt, sind wir vielleicht so bei 1000 Spottern.

G-20-Gipfel zog viele neue Spotter an

Da gibt’s ja ein richtiges Gedränge am Flughafen-Zaun.

Soyke: Allein ist man da nicht mehr. Das ist eigentlich seit dem G-20-Gipfel 2017 so. Da waren ja eine Menge Flugzeuge hier, die man sonst nicht sieht. Entsprechend viele Spotter waren da – und natürlich auch viele Zugereiste. Aber es sind auch ganz viele neue Spotter dazugekommen, die auch geblieben sind. Am Hamburger Flughafen verteilt sich das aber gut. Wir haben in Hamburg ungefähr 30 gute Foto-Positionen. Natürlich nicht gleichzeitig, weil wir ein Gekreuzte-Bahn-System haben. Aber wir sind da sehr gesegnet, im Gegensatz zu anderen Flughäfen.

Ist das eine Besonderheit, dass es in Hamburg so viele Fotomöglichkeiten gibt?

Soyke: Absolut. Das gibt es an anderen Flughäfen nicht.

Wie sieht für Sie ein gutes Motiv aus?

Soyke: Ich mag es, den Flieger von der Seite aufzunehmen, und zwar so, dass sowohl der Name der Airline als auch die Registrierung lesbar sind. Mit der Registrierung lässt sich das Flugzeug später identifizieren – und eben die Geschichte recherchieren. Also fotografiere ich die Flugzeuge klassisch von der Seite, am liebsten mit der Sonne in meinem Rücken. Nach Möglichkeit möchte ich auch einen blauen Himmel haben, weil …

Das kann in Hamburg schwierig werden.

Soyke: Ja, aber wenn das Wetter nicht passt, dann fahre ich auch nicht los. Dafür habe ich zu viele andere Sachen, um die ich mich kümmern muss. Ich habe zum Beispiel noch so viele unbearbeitete Fotos. Sobald die Sonne zu weit rum ist und ein Teil des Flugzeugs in den Schatten fällt, drücke ich nicht mehr auf den Auslöser. Im Zweifel wechsle ich dann die Position.

Mehrere Stunden pro Tag für das Hobby

Wie viel Zeit investieren Sie in Ihr Hobby?

Soyke: Wenn es nach meiner Frau geht? Zu viel! Nein, im Ernst: Die trägt das natürlich mit. Also wenn ich jetzt alles mit einberechne … Letztlich beginne ich morgens auf dem Weg zur Arbeit. Da sitze ich schon am Handy und fange an zu recherchieren und zu nachzuprüfen, ob irgendetwas Interessantes anliegt. Und das geht eigentlich – wenn ich nicht arbeite – bis in den Abend hinein. Also, das sind auf jeden Fall mehrere Stunden pro Tag – in der Summe bestimmt vier bis fünf Stunden, die ich täglich in mein Hobby investiere.

Das ist eine Menge Zeit für ein Hobby. Auf Ihrem Blog sind 30 unterschiedliche Positionen für Planespotter am Hamburger Flughafen aufgeführt und beschrieben. Haben Sie einen Lieblingsplatz?

Soyke: Ja, beim Anflug auf die Landebahn 05/23 – das ist die zwischen Fuhlsbüttel und Niendorf – stehe ich unwahrscheinlich gerne auf unserem Spotterbalkon auf dem Parkhaus P1.

Ein Balkon extra für Planespotter?

Soyke: Ja, der ist tatsächlich für uns gebaut worden. Also – so wurde mir das zumindest vom Flughafen mitgeteilt. Es wurden zwei Türen eingebaut, und wir können dort jeweils links und rechts eine Rampe hochgehen und können uns dort verteilen. Leider wurde der Spotterbalkon inzwischen geschlossen. Zu verdanken haben wir dies Personen, die keinen Re­spekt vor fremden Eigentum haben und dort für Vandalismusschäden gesorgt haben. Ob diese Position für uns noch einmal zugänglich gemacht wird, das bleibt abzuwarten.

Gibt es für die andere Landebahn auch einen Lieblingspunkt?

Soyke: Also für mich ist das auf jeden Fall am Ostfalenweg. Dort gibt es eine Position am Flughafenzaun neben dem Hundesport-Verein. Diese Position ist aber nur mit einer Leiter nutzbar. Etwas weiter im Norden gibt es noch einen guten Standort: am Zaun direkt über dem Krohnstiegtunnel.

„Coffee to fly“ nur bis 10:30 Uhr geeignet

Das „Coffee to fly“ an der Holtkoppel verbinden die meisten Hamburger mit den Flugzeug-Fotografen. Da stehen immer viele Leute gucken und fotografieren. Aber das ist aus Ihrer Sicht keine Top-Position?

Soyke: Das ist nicht schlecht. Für uns Planespotter ist diese Position aber nur frühmorgens von 6 Uhr bis spätestens 10.30 Uhr nutzbar, weil dann das Licht nicht mehr optimal ist. Das heißt, wir Planespotter sind hier allerspätestens zum Mittagessen weg. Das ist eine tolle Location – aber nur frühmorgens.

Welche Rolle spielt für die Planespotter die Lufthansa Technik am Flughafen?

Soyke: Die Lufthansa Technik ist für uns ein Segen. Hätten wir die Lufthansa Technik nicht, dann wäre es für uns sehr viel langweiliger. Wir waren natürlich nicht darüber begeistert, dass die Lufthansa ihre Line-Maintenance in Hamburg schließen will. Das bedeutet: Die Lufthansa bringt keine konzerneigenen Maschinen mehr nach Hamburg zur Wartung. Das wird dann nur noch im Ausland gemacht, weil es eben dort günstiger ist. Das ist für uns sehr schade. Denn das war schon toll, als die Lufthansa beispielsweise ihre A380 nach Hamburg zum ersten großen Check geflogen hatte. Solche Flugzeuge, die sonst Hamburg nicht im Liniendienst anfliegen, bekommen wir jetzt nicht mehr vor die Linse.

Fast 30 Jahre sind Sie jetzt Planespotter – was waren die besonderen Momente, die unvergessen bleiben?

Soyke: Da gibt es einiges: Am 16. September 1995 stand ich auf der Aussichtsterrasse und habe mit meinem Fernglas die Flugzeuge angeschaut. Ich war damals elf Jahre alt. Zu diesem Zeitpunkt gab es eine Flugverbindung von Delta nach New York und Atlanta. Der Flug DL 069 war startbereit. Die Boeing 767-332 (ER) von Delta Airlines nach Atlanta rollte zum Start auf die Bahn 15/33 über den damaligen Taxiway Romeo. Und in dem Moment – um 14.15 Uhr –, in dem der Pilot die Triebwerke zum Start hochfuhr, machte es Rumms. Und das komplette rechte Hauptfahrwerk schoss durch die Tragfläche. Die ganze Maschine lag quasi eingeknickt mit dem rechten Flügel auf dem Asphalt.

Die Boeing 767-332 (ER) von Delta sollte am 16. September 1995 von Hamburg nach Atlanta fliegen. Beim Start brach das Fahrwerk ein.
Die Boeing 767-332 (ER) von Delta sollte am 16. September 1995 von Hamburg nach Atlanta fliegen. Beim Start brach das Fahrwerk ein. © Unbekannt | Timo Soyke

Das klingt dramatisch.

Soyke: Oh, ja. Die Maschine war voll betankt. Es war wirklich ein Glück im Unglück, dass da nichts zu einer Explosion geführt hat. Ich bin dann reingerannt und habe allen erwachsenen Spottern zugerufen: ,Die Delta ist eingeknickt! Die Delta ist eingeknickt!‘ Und dann sind wir so was von schnell gerannt. Runter von der Aussichtsterrasse, in die Ankunftshalle vom alten Terminal 2. Davor hielt damals der Shuttlebus zum Holiday-Parkplatz. Wir sind alle in den Bus gestürmt. Einer hat dem Busfahrer einen 10-Mark-Schein in die Hand gedrückt und gesagt: ,Halt nirgendwo! Gib Gas!‘ Und dann ist der Bus bis zum Lufthansa-Mitarbeiter-Parkplatz am Weg beim Jäger gerast. Als der Fahrer die Tür öffnete, sind wir alle rausgestürmt. Die Feuerwehr war schon da. Und wir haben natürlich Fotos gemacht. Die Passagiere wurden in Sicherheit gebracht. Niemand wurde verletzt. Das war so ein ganz besonderes, unvergessliches Erlebnis. Die Maschine wurde dann später mit Luftkissen angehoben und zur Lufthansa Technik geschleppt. Der Jet wurde dort tatsächlich wieder flugtauglich gemacht. Und: Die Maschine ist nach wie vor als „aktiv“ gelistet, aber pandemiebedingt seit dem 31. März 2020 geparkt.

Aber sie war nie mehr in Hamburg, oder?

Soyke: Nein, ich glaube nicht. Delta hat ein paar Wochen später die Strecke nach Hamburg aufgegeben. Aber das hatte wohl nichts mit dem Zwischenfall zu tun.

Besonderes Ereignis: Uefa-Europa-League-Finale

Gibt es weitere besondere Erinnerungen?

Soyke: Beeindruckend war auch das Uefa-Europa-League-Finale im Jahr 2010 in ­Hamburg. Da wurde ja die Landebahn zwischen Langenhorn und Niendorf kurzerhand in einen Flugzeug-Parkplatz umgewandelt. Überall standen Flugzeuge aus England und Spanien rum. Das war für uns natürlich auch eine schöne Vielfalt.

Gibt es ein Foto, auf das Sie besonders stolz sind?

Soyke: Das stammt auch aus dem Jahr 2010. Damals war die Antonow An-225 das erste und bislang einzige Mal in Hamburg. Die Antonow ist das größte Transportflugzeug der Welt – mit sechs Triebwerken und zwei markanten Buckeln auf dem Rücken. Es gibt nur diese eine Maschine dieses Typs. Die Maschine wurde eigentlich dafür konzipiert, den russischen Raum-Transporter Buran im Huckepack vom Landepunkt zum Startplatz zu fliegen. Der Raum-Transporter ist nie wirklich zum Einsatz gekommen. Die Antonow stand dann nach dem Zerfall der Sowjetunion viele Jahre ungenutzt in ­Kiew. Jetzt fliegt sie extrem große und schwere Fracht.

Air Force One vor der Linse

Was hat sie damals in Hamburg gemacht?

Soyke: Sie hat eine lasergesteuerte Schweißanlage nach China geflogen. Ich hatte damals das Glück, dass ich aufs Vorfeld konnte. Ich war sehr nah an der Maschine. Und dann gab es diesen besonderen Moment: Die Flughafen-Feuerwehr kam und hat sich mit ihren Fahrzeugen für ein Foto vor der Maschine positioniert. Das war mega-beeindruckend. Ich durfte das im Bild festhalten, und das ist mit Sicherheit eines meiner besten Bilder. Daneben bin ich auch stolz auf das Bild von der Air Force One beim G-20-Gipfel in Hamburg. Den Flieger bekommt man hier wahrscheinlich nie wieder zu Gesicht.

Fliegen Sie besonderen Flugzeugen für ein Foto hinterher?

Soyke: Nein, ich bin fast nur in Hamburg-Fuhlsbüttel unterwegs. Also selbst nach Finkenwerder ist es mir schon zu weit. Das ist für mich fast in Italien …

2020 war ein gutes Jahr für das Fotografieren

Wie waren Lockdown und Corona-Pandemie für Sie als Planespotter? Da war ja relativ wenig los am Flughafen.

Soyke: Wenn man sich nur auf die besonderen Flugzeuge konzentriert, dann war es nicht schlechter als in den Jahren zuvor.

Das ist überraschend.

Soyke: Ich würde sogar fast behaupten, 2020 war besser als die Jahre zuvor, weil diese besonderen Flugzeuge eben doch sehr herausstechen aus der Masse, die nicht vorhanden war. Normalerweise machen wir mit dem Flughafen zusammen Spotter-Touren auf dem Gelände. Die sind wegen Corona natürlich komplett ausgefallen. Das war für mich eine Katastrophe. Die Touren auf dem Vorfeld sind das i-Tüpfelchen für uns als Spotter. Da kommt man normalerweise nicht hin – und das gibt es auch nicht an vielen Flughäfen in Deutschland.

Da können auch normale Interessierte daran teilnehmen?

Soyke: Wenn es einem nicht ums Fotografieren geht, empfehle ich die Rundfahrten der Modellschau, also die offiziellen Rundfahrten. Da wird wirklich alles erklärt.

Für Einsteiger: Auch iPhone reicht

Für alle, die jetzt von Ihrer Begeisterung mitgerissen wurden: Was brauche ich, wenn ich Planespotter werden möchte? Was brauche ich an Ausrüstung? Was nimmt man mit? Wo kann ich mich informieren?

Soyke: Also, was die Ausrüstung angeht: Man kann Fotos auch mit dem iPhone machen. Man wird aber dann irgendwann selber gut einschätzen können, wenn man seine Fotos mit anderen vergleicht, ob einem das reicht. Die Frage ist: Was ist mein eigener Anspruch? Deswegen würde ich dazu raten, direkt mit einer spiegellosen Systemkamera oder mit einer digitalen Spiegelreflexkamera einzusteigen. Hier in Hamburg braucht man Brennweiten von 18 Millimeter bis ungefähr 400 Millimeter. Mehr braucht man definitiv nicht.

Lesen Sie auch:

Weil man in Hamburg vergleichsweise dicht an die Landebahnen herankommt?

Soyke: Ja, ich habe zu 90 Prozent ein 70- bis 300-Millimeter-Objektiv auf meiner Kamera. Und damit bin ich eigentlich immer gut ausgestattet.

Was braucht man noch – außer der erwähnten App Flightradar24?

Soyke: Man braucht Kontakte. Man sollte, wenn man da wirklich einsteigen will, freundlich auf die Leute zugehen. Dann kommt man ins Gespräch, und dann fließen auch irgendwann Informationen.

Informationen können sensibel sein

Von Spotter zu Spotter …

Soyke: Das ist wie überall im Leben eine Sache des Vertrauens. Wenn mich jemand am Flughafen anspricht nach dem Motto: ,Hey du, was kommt denn da?‘, dann frage ich erst einmal: ,Wer bist du überhaupt?‘ Informationen können nun mal sensibel sein. Deswegen verweise ich da auch immer auf die App Flightradar24. Da kann jeder selbst recherchieren.

Dann braucht man wahrscheinlich noch eine Leiter für bestimmte Positionen?

Soyke: Es ist ganz nett, die zu haben – aber nicht zwingend. Auf dem Blog haben wir eine Karte, auf der alle Fotopunkte aufgelistet und beschrieben sind, die mit und ohne Leiter nutzbar sind. (siehe auch Grafik)

Also keine Leiter …

Soyke: Aber man braucht Geduld – und nach Möglichkeit ein Auto. Das hilft, wenn man die Position schnell wechseln muss. Mir ist es schon ein paarmal passiert, dass die Flugsicherung kurzfristig die Landebahn gewechselt hat.

Seit 30 Jahren: Planespotting am Flughafen Hamburg

Weil der Wind gedreht hat?

Soyke: Genau. Ich bin da mittlerweile entspannt. Ich setze mich dann in den Bus und fahre nach Hause. Dann kriege ich den Flieger halt nicht.

Beim nächsten Mal vielleicht.

Soyke: Und wenn ich ihn beim nächsten Mal auch nicht vor die Linse bekomme – mein Gott, dann ist das halt so. Ich bin da nicht mehr so verbissen. Das habe ich mir in 30 Jahren, die ich dieses Hobby jetzt betreibe, abgewöhnt.