Trotz Impfung und bereits durchgemachter Krankheit: Marisa Heyn aus Kiel hat sich mit Covid-19 angesteckt. Wie geht es der Studentin?
Den Moment, als die zwei roten Striche auf ihrem Corona-Test aufleuchteten, wird Marisa Heyn so schnell nicht vergessen. Denn in dieser Sekunde begann eine Odyssee, von der die junge Frau bis heute nicht weiß, wann sie endet. Dies ist die Geschichte einer 21 Jahre alten Kielerin, die längst doppelt gegen Corona geimpft und trotzdem zweimal (!) erkrankt ist. Und die sich zurzeit in einer abenteuerlichen Quarantäne in Österreich befindet ...
Aber der Reihe nach. Bereits Mitte März hatte Marisa Heyn eine Impfung von Astrazeneca erhalten, Ende Mai folgte Biontech. Sie war früh dran, weil sie in einem der mobilen Testzentren der Stadt arbeitete. Trotzdem erkrankte sie Ende August an Covid-19. Angesteckt hatte sie sich bei ihrem zweiten Nebenjob in einem Kieler Restaurant, in dem neun Kollegen positiv auf Corona getestet wurden, fast alle von ihnen waren doppelt geimpft. „Mir ging es wirklich schlecht“, sagt Marisa Heyn. „Jeder Atemzug tat weh.“ Ohne Impfung wäre sie vermutlich eine derjenigen gewesen, die im Krankenhaus landen.
Corona: Studentin erkrankt trotz doppelter Impfung und Genesung
Wenig später zog Marisa Heyn nach Wien, wo sie Kunstgeschichte studiert, „weil man das Fach einfach in einer Stadt wie Wien studieren muss“, wie sie sagt. Übergangsweise lebte sie in einem Hostel, in einem großen Schlafsaal, zusammen mit acht anderen Frauen. Das war günstig, und offensichtlich trotz Corona auch erlaubt. Dabei stiegen die Zahlen in Österreich seit Wochen bedenklich, am Mittwoch lag die Sieben-Tage-Inzidenz landesweit bei 953 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner.
„Hier waren bis vor Kurzem die Hörsäle wieder voll, alles ohne Maskenpflicht, aber natürlich immer mit 2G-Kontrollen. Es gab Partys, Zusammenkünfte, als gäbe es Corona nicht. Auch im Hostel musste ich keine Maske tragen“, sagt Heyn. Sie fühlte sich als doppelt Geimpfte und einfach Genesene sicher, ein Dauerzustand sollte der Aufenthalt im großen Schlafsaal aber natürlich nicht werden.
Zwei Corona-Schnelltest waren klar auch positiv
Marisa Heyn sucht in Wien ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft. Als sie Ende vergangener Woche leichte Erkältungssymptome bemerkt, kam sie wegen ihres dreifachen Schutzes nicht darauf, dass sie sich erneut angesteckt hat. „Ich hatte zusätzlich eine fiese Blasenentzündung, die hat mich viel mehr beschäftigt.“ Am vergangenen Sonntag wollte sie sich ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft ansehen. Die beiden jungen Mitbewohnerinnen baten sie, sich aus Vorsicht einmal zu testen. „Was ich sehr vernünftig fand.“ Das Testzentrum ist um die Mittagszeit allerdings geschlossen, also entschieden die drei, in der Wohnung einen Selbsttest zu machen. „Ich hatte zum Glück die ganze Zeit eine Maske auf“, sagt Marisa Heyn.
Sie habe im Badezimmer den Abstrich gemacht. Zurück am Küchentisch habe sie die Flüssigkeit dann in das Testfeld getropft – und sei sofort zusammengezuckt. „Da leuchtete innerhalb weniger Sekunden der untere Strich auf.“ Ganz kurz habe sie gehofft, dass es in Österreich vielleicht anders herum laufe, dass die Linie also die Kontrolllinie sei. „Aber leider war das nicht so.“ Die beiden anderen Frauen hätten einen zweiten Test besorgt, weil sie einen Fehler vermuteten. „Aber auch der war klar positiv.“
Positiv – trotz doppelter Impfung
Marisa Heyn verließ überstürzt die Wohnung und irrte orientierungslos durch Wien. „In das Hostel konnte ich nicht zurück. Ich kenne aber bisher nur wenige Menschen hier, war komplett ratlos, was ich tun soll.“ Einige Sekunden lang habe sie überlegt, ob sie sich einfach in die Bahn setzen und zurück nach Kiel fahren solle. „Aber das wäre bei der Länge der Strecke ja unverantwortlich gewesen.“ Also sei sie zum nächstgelegenen Testzentrum gefahren und habe um einen Test gebeten. Das Ergebnis: positiv. Zum zweiten Mal, trotz doppelter Impfung.
Und jetzt? Vor allem: Wohin jetzt? Marisa Heyn war für einen kurzen Moment vollkommen überfordert. „Die Mitarbeiter des Testzentrums waren sehr liebenswert. Sie hatten einen Zettel mit einer Nummer für Menschen in Notsituationen wie mich.“ Für Frauen und Männer ohne richtigen Wohnsitz, wie Touristen, Obdachlose oder Flüchtlinge. Und sie versprachen Hilfe. „Ich sollte warten. Man würde mich abholen und in eine entsprechende Unterkunft am Rande der Stadt bringen.“
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„Bisher habe ich mich nicht getraut, die Dusche zu nutzen“
Wenn Marisa Heyn von den Stunden am vergangenen Sonntag erzählt, dann hört man ihr an, wie belastend diese waren: „Ich wurde von einem Krankenwagen abgeholt. Die Sanitäter trugen Vollschutz. Ich hatte keine Ahnung, was mit mir passiert. Außer dass ich in ein Krankenhaus gebracht würde.“ Marisa Heyn war irritiert, so krank sei sie doch gar nicht, habe sie geantwortet. Vor Ort sei ihr dann klar geworden, dass es sich um eine Notunterkunft am Rande Wiens handelte. „Diese Fahrt werde ich so schnell sicherlich nicht vergessen“, so Marisa Heyn.
Und die Ankunft in der Unterkunft genauso wenig. „Ich wurde komplett untersucht, aber nicht gesundheitlich. Meine Sachen wurden nach Drogen, Alkohol und scharfen Gegenständen abgesucht.“ Schließlich wurde sie registriert, bekam ein Zimmer zugewiesen. „Erst jetzt habe ich herausfinden können, wo ich wirklich war.“ In einem still gelegten Trakt eines alten Krankenhauses. „Der wurde im vergangenen Jahr wiedereröffnet, um hier Menschen in Quarantäne unterzubringen, die kein zu Hause haben.“ Vor allem Obdachlose und Flüchtlinge. Touristen seien bisher nur wenige Male dort gewesen, habe sie sich erzählen lassen. Sie dürfte vermutlich die erste Studentin gewesen sein.
Den ersten Tag in der Unterkunft habe sie viel geweint. „Es ist etwas gewöhnungsbedürftig hier“, sagt die junge Frau – und wenn man die Bilder sieht, die sie via Whatsapp nach Deutschland geschickt hat, weiß man, dass das sehr diplomatisch ausgedrückt ist. Sie habe zwar immerhin ein Einzelzimmer, doch abschließen könne man das nicht. Eine Dusche müssten sich alle Männer und Frauen auf dem ganzen Flur teilen. Auch diesen Raum könne man nicht abschließen. „Bisher habe ich mich nicht getraut, die Dusche zu nutzen“, sagt Marisa Heyn. Vielleicht werde sie es später mal versuchen, aber mit Badeanzug – und einem großen Schild an der Tür: „Besetzt.“
Wie es mit ihr weitergeht, weiß Marisa Heyn nicht
Zum Essen bekomme sie „morgens zwei Brötchen reingestellt. Mit ein wenig Marmelade, Nutella und einer Fleischpastete.“ Mittags und abends gebe es Fertiggerichte, die in der Mikrowelle erwärmt würden. „Jeden Tag zweimal dasselbe.“ Noch nie sei etwas für eine Veganerin dabei gewesen, wie sie eigentlich versuche, sich zu ernähren. Theoretisch könnte sie jemandem zum Einkaufen schicken. Aber dem müsste sie dann Bargeld geben, das sie nicht hat. Oder ihre EC-Karte mit der PIN Nummer ... Die junge Frau sagt, hier erfahre sie hautnah, was es heiße, wenn ein Gesundheitssystem überlastet sei und es dadurch zu solch unwürdigen Umständen käme.
Die Wärter und Betreuer, wie sie die Menschen nennt, die sie mit Essen versorgen und Fieber messen, seien wirklich freundlich und zugewandt. „Aber keiner kann mir sagen, wie genau es mit mir weitergeht.“ Zwei Wochen werde sie vermutlich hier ausharren müssen, habe man ihr gesagt. „Dabei gibt es doch eigentlich die Regelung, wenn man geimpft oder genesen ist, sich nach fünf Tagen freizutesten.“
Marisa Heyn steckt im Corona-Gefängnis
Weil das anscheinend nicht möglich ist, hangelt sich Heyn von Tag zu Tag. Aufstehen, waschen, anziehen, dann für die Uni lernen. „An den Vorlesungen kann ich digital nicht teilnehmen, das Internet reicht dafür nicht aus.“ Vor einigen Tagen wurde der Router geklaut, vermutlich von einem Bewohner. Also lässt sie sich Tonaufnahmen von den Vorlesungen per Whatsapp schicken.
Zumindest ihre persönlichen Dinge habe sie mittlerweile bei sich. Zwei Kommilitoninnen hätten noch am Sonntagabend ihren Spint im Hostel ausgeräumt. Nun hat sie ihren Koffer und ihre Tasche in ihrem Zimmer, das immer noch wie ein Raum in einem Krankenhaus aussieht. Vielleicht habe sie ja Glück und könne in ein paar Tagen wieder raus. Der Schnupfen ist quasi abgeklungen. Wenn jetzt noch ein Test beweist, dass die Viruslast nicht mehr so stark ist, dann, so hofft die junge Frau, kann sie ihr Gefängnis verlassen. Um sich endlich nach einem Zuhause umzusehen. Vielleicht in der WG, in der die Odyssee begann.