Hamburg. Die Hamburger Schulbehörde hat ein 34 Millionen Euro teures Maßnahmenpaket geschnürt. Auch psychische Probleme will man damit angehen.

Schulschließungen, Fernunterricht und coronabedingte Ausfälle haben ihre Spuren hinterlassen, nicht nur beim Lernstand gerade eher schwächerer Schülerinnen und Schüler, sondern teilweise auch in ihrer Psyche. Die Hamburger Schulbehörde hat deshalb nun ein insgesamt 34 Millionen Euro teures Maßnahmenpaket geschnürt, um die Lernrückstände und die psychischen Probleme von Kindern und Jugendlichen überwinden zu helfen.

Mit rund 26 Millionen Euro werden zusätzliche Förderkurse am Nachmittag sowie Lernangebote in den Ferien finanziert. Weitere mindestens acht Millionen Euro stehen für zusätzliche Beratungs- und Unterstützungsangebote für Schülerinnen und Schüler mit sozialen und psychischen Problemen bereit.

Maßnahmenpaket gegen Lernrückstände und psychische Probleme bei Schülern

„Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass die Schulschließungen deutliche Spuren in der Bildung sowie der seelischen und sozialen Entwicklung vieler Schülerinnen und Schüler hinterlassen haben“, sagte Schulsenator Ties Rabe (SPD) bei der Vorstellung des Pakets. „Mit unserem knapp zweijährigen Förder- und Unterstützungsprogramm wollen wir den Kindern und Jugendlichen helfen, die Folgen der Schulschließungen zu überwinden.“

Lehrer berichten von Verhaltensauffälligkeiten bei Schülern

Schulleitungen und Lehrkräfte hätten darauf hingewiesen, dass sich während der Schulschließungen die seelische Belastung und Not von Kindern und Jugendlichen vergrößert hat. Lehrkräfte berichten von Verhaltensauffälligkeiten, Kontaktschwierigkeiten, Problemen bei der Eingliederung in die Klasse und psychischen Belastungen ihrer Schülerinnen und Schüler, so die Behörde. Diese Erfahrungen decken sich mit den Ergebnissen mehrerer Studien. Um Wege aus persönlichen Krisen zu ebnen, weitet die Schulbehörde das bisherige Beratungs- und Unterstützungsangebot für Kinder und Jugendliche aus.

20 Schulpsychologen sollen zusätzlich eingesetzt werden

So soll es 20 zusätzliche Schulpsychologen geben, um die Beratungsangebote der Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) sowie des Bildungs- und Beratungszentrums Pädagogik bei Krankheit (BBZ)  auszubauen. Sie sollen Schülerinnen und Schüler in akuten Krisen Beratungsgespräche anbieten und den Wiedereinstieg ins Schulleben begleiten. Beratungslehrkräfte an den Gymnasien werden in den kommenden eineinhalb Jahren pro Woche mit rund zwei Unterrichtsstunden entlastet, damit sie sich stärker der Begleitung psychisch belasteter Schüler widmen können.

Auch die Zahl der Schulbegleitungen, die Kinder und Jugendliche mit psychosozialem Unterstützungsbedarf durch Schulalltag und Unterricht führen, wird erhöht. Einzelne Schülerinnen und Schüler hätten beispielsweise eine soziale Ängstlichkeit entwickelt, die ihnen eine Rückkehr in die Schule oder Klasse erheblich erschwere, so die Behörde.

Temporäre Lerngruppen für besonders auffällige Schüler

Sie richtet zudem zwei neue „temporäre Lerngruppen“ ein für Jugendliche, die wegen einer psychosozialen Krise oder extremer Verhaltensauffälligkeiten kaum am Regelunterricht teilhaben können. Hier werden in der Regel vier bis sechs Schülerinnen und Schüler außerhalb ihrer Schule von drei Lehrkräften und Pädagogen gezielt begleitet und gefördert, bis sie in die Regelbeschulung zurückkehren können.

Schließlich sollen die Schulen selbst niedrigschwellige Unterstützungsangebote für psychosozial stark belastete Schülerinnen und Schüler einrichten. Mit Unterstützung zusätzlicher Fachkräfte könnten beispielsweise Schülerinnen und Schüler in Krisensituationen an einzelnen Tagen, Wochen oder Unterrichtsstunden die Regelklasse verlassen und stattdessen für einen befristeten Zeitraum individuell gefördert werden.

UKE-Studie "Copsy": Fast jedes dritte Kind ist psychisch auffällig

In der bundesweit ersten Langzeitstudie namens „Copsy“ hatten UKE-Forschende vor einem Jahr nachgewiesen, wie sehr Kinder und Jugendliche unter den coronabedingten Einschränkungen leiden. Die Ergebnisse einer zweiten Erhebungswelle zeigten damals, dass fast jedes dritte Kind psychische Auffälligkeiten zeigte. 85 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen fühlten sich durch die Pandemie belastet. Ihre Sorgen und Ängste hatten im Vergleich zum ersten Lockdown im Frühjahr 2020 noch einmal zugenommen, auch depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden beobachteten die Experten verstärkt.

Die Kinder und Jugendlichen trieben im Durchschnitt weniger Sport, verbrachten mehr Zeit an Handy, Tablet sowie Computer und litten häufiger unter Kopf- und Bauchschmerzen, wie Studienleiterin Prof. Ulrike Ravens-Sieberer, Forschungsdirektorin der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik des UKE, damals berichtete. Vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund waren betroffen. Ihre Schulsituation mit dem Distanzlernen empfanden 45 Prozent der Befragten als noch anstrengender als im ersten Lockdown.

34.009 Schülerinnen und Schüler nutzten Lernferien

Doch auch was ihren Lernstand angeht, haben Hamburger Kinder und Jugendliche erheblichen Aufholbedarf. Deshalb werden die Lernferien mit kostenlosen Kursen in kleineren Lerngruppen von acht Schülerinnen und Schüler vor allem in den Kernfächern Deutsch, Mathe und Englisch in den Sommer-, Herbst- und Frühjahrsferien fortgeführt. Durchschnittlich 6000 bis rund 11.000 Kinder und Jugendliche hätten das 2020 eingeführte Angebot an 230 bis 260 Schulen bisher genutzt, so die Behörde – insgesamt 34.009 Schülerinnen und Schüler.

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Die allgemeine Lernförderung an Schulen, die seit 2012 als eine Art verpflichtende schulische Nachhilfe für Schüler bietet, die in einem Fach die Leistungsziele nicht erreichen, wird ausgeweitet. Die Zahl der Kurse wird so erhöht, dass alle Schülerin und jeder Schüler, die dies möchten, einen Kurs besuchen können.

"Anschluss": Besonderes Förderangebot für Viertklässler

Um besonders die Viertklässler, die vor dem Übergang in die weiterführende Schule stehen, fit zu machen, hat die Schulbehörde gemeinsam mit der Zeit-Stiftung das Förderprogramm „Anschluss“ aufgelegt, wie das Abendblatt bereits berichtete. Bisher konnten mehr als 490 Mentorinnen und Mentoren gewonnen werden, zumeist Lehramtsstudierende, die an allen Grundschulen nachmittags für bis zu 20 Prozent besonders förderbedürftige Viertklässler Lernkurse in kleinen Gruppen mit vier Stunden in der Woche organisieren. Derzeit werden 2847 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 4 in 628 Lerngruppen gefördert.

Die Lernfördermaßnahmen für die berufsbildenden Schulen bündeln sich unter dem Titel „Ich pack‘s an“.  Sie richten sich an Jugendliche in der Ausbildungsvorbereitung mit pandemiebedingten Lernrückständen und fehlender beruflicher Orientierung, die aus Jahrgang 10 der allgemeinbildenden Schulen in die Ausbildungsvorbereitung gewechselt sind, sowie Schülerinnen und Schüler, die diese wiederholen müssen.

Schwächere Schüler werden gezielt eingeladen

Die Teilnahme an den Förderkursen ist freiwillig. Leistungsschwächere Schüler werden aber gezielt von den Lehrkräften eingeladen, kündigte Rabe an. Die Basis bilden Lernstandserhebungen wie „Kermit“ oder „Schnabel“. Im Lernmanagementsystem lms.lernen.hamburg werden zur Unterstützung Lern- und Fördermaterialien, Lernaufgaben, didaktische Tipps oder Lernvideos eingestellt. Die Förderkurse sollen in der Regel von den Pädagoginnen und Pädagogen der Schule erteilt, um so eine enge Verzahnung mit dem Unterricht und eine Abstimmung mit Klassenleitungen oder Fachlehrkräften zu gewährleisten.

Er freue sich, dass in verhältnismäßig kurzer Zeit zahlreiche Förder- und Beratungsangeboten auf- und ausgebaut würden, sagte Rabe. „Entscheidend für den Erfolg ist allerdings, dass die Schulen jetzt offen bleiben und nicht erneut geschlossen oder im Wechselunterricht organisiert werden.“