Hamburg. Mit einem digitalen Stellwerk sollen mehr und schnellere Bahnen möglich werden: “Ursprung eines neuen Zeitalters“.
„Irgendwann in hoffentlich nicht allzu ferner Zeit werden wir zurück gucken und es für eine Selbstverständlichkeit halten, dass die Züge so fahren“, beschreibt Metin Hakverdi (SPD) und fügt an: „Dann stehen wir am S-Bahnhof, während alle 90 oder 110 Sekunden ein Zug nach dem anderen hineinfährt. Das werden wir alle noch erleben.“ Der 52-Jährige fährt fort: „Die meisten werden das für normal halten. Einige werden dann aber betonen, dass es früher nicht so war. Damals gab es noch eine Person, die geguckt hat, den Zug angestellt hat, losgefahren ist und dabei noch auf den Sicherheitsabstand zum vorigen Zug achten musste.“
Mit diesem Gedankenexperiment veranschaulichte der Bundestagsabgeordnete am Montag im Stellinger S-Bahn-Werk, von welch innovativem Ausmaß die neuen Pläne der Hamburger S-Bahn sind. Das Stichwort lautet Digitalisierung.
Digitales Stellwerk: "Ursprung eines neuen Zeitalters"
Bereits im Oktober 2021 hatten die Stadt Hamburg, die Deutsche Bahn und der Technologiekonzern Siemens mit dem Projekt „Digitale S-Bahn Hamburg“ eine Weltneuheit bekannt gegeben. Auf der Linie S 21 – zwischen den Haltestellen Berliner Tor und Bergedorf – startete erstmals eine vollautomatisch fahrende, digital gesteuerte S-Bahn. Die digitalen Züge fahren zwar hochautomatisiert, aber nicht unbemannt. Ein Lokführer bleibt an Bord, um den Betrieb zu kontrollieren und im Störungsfall eingreifen zu können.
„Die digitale S-Bahn bildet den Ursprung eines neuen Zeitalters. Das System, das wir im Oktober vorgestellt haben, gab es schon in Metroverkehren, aber noch nicht bei der Eisenbahn“, erklärt Kay Uwe Arnecke, Geschäftsführer der S-Bahn Hamburg.
Mehr Kapazität und Verbesserung der Pünktlichkeit
Im Zentrum der am Montag vorgestellten Pläne steht der Bau eines Digitalen Stellwerks (DSTW) im Hamburger City-Bereich. Dadurch sollen die Fahrgäste noch mehr von den Vorteilen digitaler Technologien profitieren. „Mit dem Digitalen Stellwerk Hamburg-City entsteht ein leistungsfähiges Herz für das S-Bahn-Netz von morgen. Das schafft mehr Kapazität und verbessert die Pünktlichkeit. Wir machen damit einen wesentlichen Schritt auf dem Weg zur Digitalisierung“, betont Arnecke.
Das schnelle Fortschreiten der Planung sei besonders wichtig, weil der sogenannte City-Bereich das am stärksten belastestete Gebiet des Hamburger S-Bahn-Verkehrs sei. „Schon heutzutage fahren täglich etwa 1300 Züge in diesem Bereich“, sagt Arnecke. „Wenn zeitnah noch die S 4, die dritte Linie nach Harburg oder der Hamburg-Takt dazukommen, könnte sich das Pensum auf 2000 Züge pro Tag erhöhen.“ Durch den Ausbau des digitalen S-Bahn-Verkehrs könne eine Überlastung vermieden werden, wie Arnecke unterstreicht: „Mit dem digitalen Stellwerk wird allen Hamburgerinnen und Hamburgern geholfen. Es ermöglicht einen qualitativ hochwertigen und gut ausgebauten S-Bahn-Verkehr.“
"Wir planen einen Technikstandort"
Das digitale Stellwerk steht für die neueste Generation von Stellwerken. Es ist technologischer Nachfolger des elektronischen Stellwerks. Statt über weitläufige Kabelstränge und elektrische Schalttechnik laufen Stellbefehle und Signale mittels Ringleitungen aus Hochleistungs-Glasfaserkabeln. Ablösen soll es die alten Stellwerke am Hauptbahnhof und in Altona.
„Man kann sich das digitale Stellwerk nicht wie ein einfaches Gebäude vorstellen“, erklärt Projektleiter Christoph Gonçalves Alpoime. Vielmehr seien es „mehrere Elemente“, wie der 29-Jährige ausführt: „Es ist nicht leicht gewesen, Flächen in Hamburg zu finden. Wir planen einen Technikstandort, der voraussichtlich in Langenfelde sein wird. Die Personen, die für die Steuerung des Fahrbetriebes verantwortlich sind, werden wahrscheinlich in Hasselbrook sitzen. Auch dort gibt es eine Fläche, die wir bereits besitzen.“ Zurzeit würden die Gebiete als Baueinrichtungsstellen für die S 4 genutzt.
Bund finanziert Projekt mit 31,5 Millionen Euro
Der Bund finanziert die Planung des Digitalen Stellwerkes in Hamburg mit 31,5 Millionen Euro. Für das bundesweite Projekt „Digitale Schiene Deutschland“ fließen insgesamt 400 Millionen Euro. Hamburg sei einer der Vorreiter der Digitalisierung, wie Hakverdi, der auch Mitglied des Haushaltsausschusses ist, betont: „Wir hatten schon die autonom fahrende S 21 in Bergedorf und sind in vielen Bereichen gut in der Entwicklung. Deshalb gehören wir zu den Ersten, die dieses Projekt planen dürfen.“
Vor Kurzem seien unter anderem Vertreter der brasilianischen Eisenbahn in Hamburg gewesen, um sich ein Bild vom Digitalisierungsstand zu machen. Künftig würden auch Besuchergruppen aus verschiedenen Bundesländern erwartet.
„Wenn Politik auf Technik trifft, muss die Kooperation stimmen"
„Wenn Politik auf Technik trifft, muss die Kooperation stimmen. Ich bin froh, dass das so gut geklappt hat“, bilanzierte Hakverdi. Zugleich kritisierte er, dass die Bedeutung der Digitalisierung in der Öffentlichkeit zu wenig adressiert würde. Dies liege auch daran, dass die Inhalte möglicherweise zu technisch seien. „Wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen, müssen wir erheblich in unsere Verkehrsinfrastruktur investieren. Digitalisierung der Schiene bedeutet, die Kapazität und die Zuverlässigkeit zu erhöhen.“
Tatsächlich versprechen die vorgestellten Planungen zahlreiche Vorteile für den Hamburger S-Bahn-Verkehr. Eine im Oktober vorgestellte Machbarkeitsuntersuchung hatte ergeben, dass sich durch die Digitalisierung 30 Prozent mehr Kapazität auf den bestehenden Gleisen realisieren ließe. Außerdem würde die Pünktlichkeit um bis zu fünf Prozent erhöht, wodurch Folgeverspätungen um bis zu 40 Prozent vermindert würden. „Wir wissen dadurch nicht nur, dass Digitalisierung gut ist, sondern haben auch einen wissenschaftlichen Nachweis“, sagt Gonçalves.
Auch Streckenkapazität soll erhöht werden
Darüber hinaus soll auch die grundsätzliche Streckenkapazität in Zukunft erhöht werden. Das Hamburger S-Bahn-Netz soll in den nächsten Jahren durch die S 4 und die S 32 ergänzt werden, was eine Erhöhung von sechs auf acht S-Bahn-Linien bedeutet. Außerdem wird die S 21 bis zur Endhaltestelle Kaltenkirchen erweitert. Gonçalves: „Wir erwarten dadurch auch steigende Fahrgastzahlen. Zusammengefasst sprechen wir über eine Steigerung des Zugangebotes und der Fahrgastzahlen um bis zu 50 Prozent – und dafür brauchen wir ein starkes Herz, das digitale Stellwerk Hamburg-City.“
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Digitales Stellwerk Hamburg-City ermöglicht engere Taktung
Im Detail dürfen die Hamburgerinnen und Hamburger vor allem drei Vorteile erwarten: Häufigkeit, Stabilität und Pünktlichkeit. Durch die kürzeren Folgezeiten könne mehr Platz geschaffen werden, sodass mehr Züge fahren. Die kurze Zugabfolge werde zugleich ermöglichen, dass Störungen den Verkehr nicht mehr allzu empfindlich beeinträchtigen. Dadurch könnten auch auftretende Verspätungen schneller abgebaut werden.
„Wir fangen nicht bei Null an, sondern haben schon die Grundlagenermittlung fertiggestellt. Wenn wir unsere Planungsleistungen abgeschlossen haben, können wir in die Ausschreibung gehen und mit dem Bau beginnen“, betont der Projektleiter. Dafür müsse aber auch eine Anschlussfinanzierung sichergestellt sein. Anvisiert ist der Baubeginn für 2027, die Inbetriebnahme für das Jahr 2029. Der Gesamtkostenrahmen belaufe sich auf ungefähr 400 Millionen Euro.
Digitales Stellwerk: Mehr Personal erforderlich
Der Ausbau des S-Bahn-Netzes erfordert zudem auch mehr Personal. „Unser Ziel ist es nicht, mit diesem Projekt den Lokführer überflüssig zu machen“, sagt Arnecke. Im Gegenteil: „Wir werben zurzeit intensiv um die Ausbildung zum Lokführer. Durch die Erhöhung des Fahraufkommens brauchen wir zusätzlich 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Darauf müssen wir uns jetzt schon vorbereiten.“