Hamburg. Bademeisterin Luisa muss nach dem Lockdown mehr Kindern das Schwimmen beibringen als je zuvor. Sie gibt nicht nur Corona die Schuld.
Seit fünf Jahren bringt sie als Bademeisterin Hamburger Kindern bei Bäderland das Schwimmen bei: erst im Midsommerland in Harburg, seit zwei Jahren im Eppendorfer Holthusenbad. Das Abendblatt sprach mit Luisa L. (25), die ihren Nachnamen aus privaten Gründen nicht nennen möchte, darüber, wie sich die coronabedingten Bäder-Schließungen auf die Schwimmfähigkeit von Kindern auswirkten – und was deren Eltern damit zu tun haben.
Hamburger Abendblatt: Gleich beginnt Ihre Schicht. Wie vielen Kindern geben Sie heute Schwimmunterricht?
Luisa L.: Das werden etwa 50 bis 60 sein. Aktuell geben wir hier doppelt so viele Kurse wie sonst.
Versuchen Sie so, den während des Lockdowns ausgefallenen Schwimmunterricht nachzuholen?
L.: Ja. Das waren ja immerhin rund sieben Monate. Für die Schüler, die in der dritten und/oder vierten Klasse insgesamt zwei Halbjahre Schwimmen haben, war das mehr als die Hälfte des Unterrichts. Und auch unsere eigenen Kurse, in denen Kinder ihre Schwimmabzeichen machen können, mussten ja ausfallen.
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Was bedeutet das in Zahlen?
L.: Insgesamt haben in Hamburg rund 15.000 Kinder ihr Seepferdchen nicht gemacht – davon rund 8000 Schüler, die das Abzeichen am Ende des Schulschwimmens erlangt hätten.
Kann das jemals nachgeholt werden? Die nächsten Schwimmschüler stehen ja schon wieder vor der Tür ...
L.: Die Bürgerschaft hat es zur vorrangigen Aufgabe von Bäderland und allen anderen Akteuren erklärt, Schwimmunterricht zu geben und den ausgefallenen Unterricht schnellstmöglich nachzuholen. Für die Grundschüler ohne Abzeichen am Ende der vierten Klasse gibt es Gutscheine, die dann die kostenfreie Teilnahme an allgemeinen Kursen ermöglichen. Daher gibt Bäderland jetzt in den Sommerferien viermal so viele Kurse wie üblich.
Haben die Kinder während des Lockdowns das Schwimmen verlernt?
L.: Die, die noch nicht sicher schwimmen konnten, bestimmt. Das ist verständlich nach sieben Monaten ohne Übung. Vor allem aber ist bei vielen die Angst vor dem Wasser zurückgekehrt. Dass wir wieder bei null in der Wassergewöhnung anfangen müssen, macht es nicht leichter. Den spielerischen Umgang mit Wasser kann man auch zu Hause in der Dusche und Badewanne üben, etwa durch Blubbern ins Wasser oder unter Wasser Augen öffnen. Das erleichtert nachher das Schwimmenlernen enorm.
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Wie schätzen Sie generell die Unterstützung ein, die Eltern ihren Kindern beim Schwimmenlernen geben?
L.: Ich erlebe Drittklässler, die noch nie im Wasser waren – weder im Schwimmbad noch am Meer. Kinder frühzeitig ans Wasser zu gewöhnen liegt ganz klar in der Verantwortung der Eltern. Doch viele wälzen das auf uns und die Schule ab.
Sprechen wir jetzt hier von Familien, zu deren Kultur das Schwimmen nicht gehört?
L.: Nicht unbedingt. In manchen Quartieren mag das der Grund sein. Aber hier bei uns in Eppendorf liegt es eher daran, dass die betreffenden Eltern zu beschäftigt sind. Sie gehören zur „superbusy Hipstergeneration“, die viel arbeitet und selbst in der Freizeit viel Zeit am Handy verbringt. Wir stellen auch in eher gut situierten Stadtteilen fest, dass sich manche Eltern gar nicht um die Wassergewöhnung ihrer Kinder kümmern. Viele haben offenbar selber nie einen Zugang zum Schwimmbad gefunden – und können das ihrem Kind daher auch nicht vermitteln.
Haben Sie schon einmal gefährliche Situationen erlebt, die durch Unachtsamkeit der Eltern ausgelöst wurden?
L.: Gerade erst am Wochenende, als ich privat auf Usedom war. Während eine Gruppe von vier, fünf Erwachsenen in der Sonne lag, folgte mir das zu ihnen gehörende kleine Kind ins Wasser. Es hatte keine Schwimmflügel an, und ich kannte es überhaupt nicht. Ich bin dann zurück an den Strand und habe mir die Mutter vorgeknöpft.
Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:
- Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
- Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
- Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
- Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
- Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).
Und?
L.: Sie war sich der Gefahr überhaupt nicht bewusst. Überhaupt fehlt vielen Eltern das Vorstellungsvermögen. Ein Kollege musste neulich eine Frau zurückhalten, die gerade mit zwei kleinen Kindern und einem Baby im Arm im Freibad Finkenwerder ins Becken stieg – zwar in den Nichtschwimmerbereich, aber da ist das Wasser ja auch schon 80 Zentimeter tief. Und die Kleinen trugen natürlich keine Schwimmhilfen. Dabei kann man sich die bei uns für wenig Geld kaufen oder sogar ausleihen.
Was raten Sie Eltern?
L.: Die Kinder frühzeitig ans Wasser zu gewöhnen und ihnen zu zeigen, wie man unter Wasser die Luft anhält. Sie sollten möglichst noch vor dem Schuleintritt einen Schwimmkursus machen und sich gut über Wasser halten können, bevor die Eltern sie ins Schwimmbad oder ins Meer gehen lassen. Das Allerwichtigste ist aber, die Kinder nie unbeaufsichtigt zu lassen. Eltern haben die Aufsichtspflicht, und bei uns im Schwimmbad bedeutet das, bei Nichtschwimmerkindern maximal eine Armlänge entfernt zu sein!