Hamburg. UKE-Arzt und Forscher Prof. Ansgar Lohse beklagt, dass Datenschutz und Bürokratie Studien über Covid-19 verhindern. Das hat Folgen.
In der Behandlung von Covid-Patienten und bei politischen Entscheidungen über Lockerungen oder Lockdown in der Corona-Pandemie könnten Hamburg und Deutschland deutlich weiter sein. Das sagte der UKE-Arzt und renommierte Forscher Prof. Ansgar Lohse dem Abendblatt. Bürokratie in der Wissenschaft und ein falsches Verständnis von Datenschutz sorgten dafür, dass das Wissen über Corona nach wie vor so gering sei.
„Fast alles, was wir über das Management von Covid-19 gelernt haben, bis auf die verdienstvollen Arbeiten von Prof. Püschel (ehemaliger Leiter der UKE-Rechtsmedizin, die Red.), wissen wir aus britischen Studien, zum Beispiel aus Oxford. In Großbritannien fließt ein fester Anteil der Ausgaben des National Health Service in die klinische Forschung, und in allen Krankenhäusern sind somit Forschungsstrukturen etabliert worden. Unsere Krankenkassen hingegen dürfen klinische Forschung gar nicht richtig finanzieren.“
UKE-Studie über Wirkung von Corona-Impfungen
Das erlebe Lohse in seiner täglichen Arbeit. Er plane eine Studie mit Kollegen aus Mailand, Barcelona und Oxford über die Wirkung von Corona-Impfungen bei Leber-Patienten. Dabei erschlage ihn die Bürokratie. Es müssten zu viele Anträge gestellt werden, der Datenaustausch mit dem Nicht-EU-Land Großbritannien sei fraglich, ihm laufe die Zeit davon. „Geimpft wird jetzt, die Effekte müssen wir jetzt erforschen.“ Lohse nennt das erschreckend und deprimierend.
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Zuletzt habe es eine Studie aus Zürich über das Infektionsgeschehen an Schulen gegeben. Dabei habe man festgestellt: Innerhalb der Klassen waren nur ein oder zwei, selten mehr Schüler erkrankt. Lohses Schlussfolgerung: „Das Virus kommt also von außen in die Schulen, nicht umgekehrt. Solch eine wichtige Studie könnte man in Deutschland nicht machen. Das verhindert der Datenschutz – und das ist frustrierend.“
Prof. Lohse hat bereits vor 15 Jahren eine Stiftung gegründet
Prof. Lohse hat bereits vor 15 Jahren eine Stiftung gegründet, die Stipendien und Preise für Wissenschaft vergibt. Neben den Spenden wurde sie finanziert von Patenten, die Lohse anmelden konnte, weil er mit einer Arbeitsgruppe Wegweisendes über Antikörper herausgefunden hatte. Diese YAEL-Stiftung hat ihren Namen aus dem Y als Symbol für Antikörper und dem AEL für „Autoimmune Erkrankungen der Leber“.
Der Hepatologe hat zuletzt mit dem Journalisten Ulf C. Goettges ein gut lesbares Buch vorgelegt („Das Schweigen der Leber“), das an Bestseller wie „Darm mit Charme“ (Giulia Enders) anknüpft. Es fängt da an, wo Günther Jauch aufhört.
"Beipackzettel oft gefährlicher als das Medikament"
Man könnte ein Quiz daraus machen mit je vier Antwortmöglichkeiten auf Fragen wie: Was hat der Ultraschall einer Leber mit Käse zu tun? Oder: Wie viel Promille hatte der Butler James aus „Dinner for One“ wohl intus? Lohse rechnet einen Wert von 3,92 hoch. Das Buch holt die Leser da ab, wo sie mit Alltagswissen und Mythen um die Leber stehen. Es führt sie in die wissenschaftliche Tiefe, in der sich Fachleute wie Lohse tummeln.
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Für viele Leser genügen auch die glockenklar formulierten Erklärungen zu manchen Thesen des 270-Seiten-Buches: „From your lips to your hips“. Was man isst und trinkt, landet in der Leber. „Ein Apfel ist gesund – zwei machen die Leber fett.“ Lohse schreibt pointiert. Alle Organe haben eine Art Selbstheilungskräfte. Aber nur die Leber kann nachwachsen, wenn sie dazu gezwungen wird.
Beipackzettel seien oft gefährlicher als das Medikament, so Lohse. Sie führten dazu, dass man über der Angst vor entfernt möglichen Nebenwirkungen ein Medikament erst gar nicht nehme, das man aber unbedingt brauche. So ähnlich verhält es sich aktuell mit dem Corona-Impfstoff von Astrazeneca.
Astrazeneca: Seltene Nebenwirkungen lassen Impfwillige zurückschrecken
Mögliche, aber extrem seltene Nebenwirkungen lassen Impfwillige vor „Astra“ zurückschrecken. Lohse spielt im Buch mit den Klischees, enttarnt die Irrtümer und belegt die medizinischen Grundlagen für alles, was die Leber zu dem „Zentralorgan“ macht. Auch wenn dieser Begriff dank Erich Honecker historisch belastet ist – für Internist Lohse bleibt er im Innersten wahr.
Unser Bild von der Leber und der Blick der Ärzte darauf hilft gerade in der Corona-Pandemie weiter. „Wir können nichts an der Leber vorbeimogeln: Was wir essen, welche Medikamente wir nehmen, zum Teil sogar, was wir einatmen, geht über die Leber.“
Gegen das Coronavirus wurde binnen Monaten ein Impfstoff entwickelt. Gegen die Fettleberentzündung gibt es bis heute kein Medikament. „Dabei ist sie eine der häufigsten Erkrankungen weltweit“, sagt Lohse. „Sie ist Folge unseres Lebensstils.“
Lohse fordert Gründung eines Instituts für Pandemieforschung
Als Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Hamburg hat Lohse mit deren Präsidenten Prof. Edwin J. Kreuzer in einer Stellungnahme, die dem Abendblatt vorliegt, die Gründung eines Instituts für Pandemieforschung gefordert. „Die nächste Pandemie kommt bestimmt“, schreiben Lohse und Kreuzer.
Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:
- Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
- Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
- Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
- Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
- Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).
„In der jetzigen Pandemie haben wir schmerzhaft erfahren müssen, wie sehr uns Wissen fehlte. Wie trotz rasanter Fortschritte in der virologischen Diagnostik und der Impfstoffentwicklung wir gleichzeitig massive Wissenslücken hinsichtlich der epidemiologischen Ausbreitung und geeigneter Gegenmaßnahmen, ihrer Wirksamkeit und Risiken sowie der geeigneten Form der Kommunikation und Schadensbegrenzung wahrnehmen mussten.“
Forscher-Vorbild Bayern
In Bayern habe man („mal wieder schneller“) mit Geldern vom Bund „je 40 Millionen Euro bereitgestellt, um in der Nähe von München mit der Fraunhofer-Gesellschaft, der Ludwig-Maximilians-Universität und in Kooperation mit Roche ein solches Institut aufzubauen“. Dort aber fehle, was man in Hamburg besser machen könne: Ein Institut für Pandemie-Forschung solle neben medizinischen auch wirtschaftliche und juristische Fragen untersuchen.